Wie wir die Arbeitsmoral stärken? Indem wir weniger tun.

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Arbeitsmoral und Motivation werden allzu oft verdeckt von ungünstigen Arbeitsbedingungen und schwacher Führung, sagt Patrick Wiederhake, Managing Director bei Profil M. Seine Forderung: Wir müssen die Menschen wieder in die Lage versetzen, ihre Arbeit zu erledigen. Schaffen wir ab, was Inspiration und Impulse verhindert.

Als HR-Profis stellen wir uns oft die Frage: Wie lässt sich die Zusammenarbeit in Teams besser gestalten? Denn der Fachkräftemangel hat dazu geführt, dass neben der Business-Strategie auch die People-Strategie in den Vordergrund gerückt ist. Alle reden davon, dass wir uns in Zeiten multipler Krisen befinden, dass „der Faktor Mensch“ entscheidend sein wird, diese zu meistern. Wir hören, dass wir uns reinhängen müssen, dass wir die Zukunft gestalten sollen.

Und dann sehen wir Führungskräfte, die unsere Retention-Initiativen nicht unterstützen und ins Micro-Management verfallen. Und Statistiken, die aufzeigen, dass deutsche Erwerbstätige deutlich weniger arbeiten als Menschen in anderen EU-Ländern. Wo ist also die Energie hin? Existiert neben dem Fachkräftemangel ein Mangel an Arbeitsmoral?

Aus meiner Sicht gibt es keinen Mangel an Einsatzbereitschaft. Zumindest zeigen die Statistiken der Krankenkassen, dass wir uns nach wie vor bis an die Grenzen beanspruchen – oder auch darüber hinaus. Auf LinkedIn liest man zudem von tollen Teamevents, der Freude an neuen Herausforderungen und inspirierenden Ideen. Strahlende, motivierte Gesichter von Mitarbeitenden erscheinen also energiegeladen und teamorientiert. Und dennoch geht es vielen Unternehmensentscheider/-innen nicht schnell genug voran. Die Motivation droht zu schwinden.

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Weg von „Pseudo-Produktivität“

Foto Frau arbeitet am Laptop
Twenty20/@vegasworld

Arbeiten wir vielleicht gar nicht zu wenig, sondern zu viel? Oder einfach falsch? Haben wir vielleicht gar kein Problem mit der Arbeitsmoral, sondern mit der Umsetzung? Der Selbstmanagement-Autor Cal Newport (im Hauptberuf Professor für Computer Science) beschreibt in seinem neuen Buch „Slow Productivity“ das Phänomen der „Pseudo-Produktivität“ – der Soziologe Hartmut Rosa nennt es „rastloser Stillstand“. Beide meinen: wir sind wahnsinnig beschäftigt und stecken dennoch fest. Wir sind in zahllosen Besprechungen, tun aber zu wenig.

Wir bedienen die Schalter unserer Organisationen – erfahren aber zu wenig, dass wir etwas bewegen. Zudem reden wir von Zukunft, verabschieden uns aber nicht vom Etablierten. All das erzeugt Schwere. Wir addieren, statt zu fokussieren. Wir ersticken in kommunikativem, organisatorischem, historischem Ballast.

Was wir in dieser Situation nicht brauchen: die nächste große Motivations- oder Retention-Kampagne. Stattdessen geht es um die Reduktion von De-Motivation innerhalb der eigenen Belegschaft. Arbeitsmoral und Motivation werden allzu oft verdeckt von ungünstigen Arbeitsbedingungen und schwacher Führung. Alles steht und fällt daher mit den richtigen Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, um Produktivität und Identifikation mit dem Unternehmen und seinen Zielen zu erreichen.

Arbeitsmoral stärken – folgende Tipps helfen dabei:

1. „Zuhör-Tour“ statt „Rafting-Tour“

Wie wir die Arbeitsmoral stärken? Indem wir weniger tun.
Envato/nenetus

Führungskräfte sollten sich von oberflächlichen Maßnahmen zur Mitarbeitermotivation verabschieden. Quellen der De-Motivation müssen identifiziert werden, um diese gezielt zu eliminieren. Wichtiger als die öffentlich zelebrierte Rafting-Tour ist deshalb die von außen kaum wahrnehmbare „Zuhör-Tour“. Verantwortliche sollten sich fragen, ob sie wirklich verstanden haben, was ihre Mitarbeitenden daran hindert, Bestleistungen zu bringen.

Müssen sich Führungskräfte mit geringer Qualität zufriedengeben? Auf keinen Fall! Müssen sie Mitarbeitenden jeden Wunsch erfüllen? Bloß nicht! HR-Verantwortliche sollten ihre Führungskräfte dazu ermutigen, hohe Standards im Team zu etablieren. Sie müssen aber auch darin unterstützt werden, Regeln und Prozesse abzuschaffen, die keinen Mehrwert bringen.

Zudem gilt es gemeinsam zu überlegen, wie Informationen zielgenau zur Verfügung gestellt werden. Ein weiterer wichtiger Hebel ist die Stärkung relevanter Skills von Mitarbeiterinnen / Mitarbeitern als Teil des Arbeitsalltags. Hier ist also eine on-hand Mentalität notwendig. Schließlich liegt es aber auch an den Führungskräften selbst, sich auf die Tätigkeiten zu konzentrieren, die die Produktivität erhöhen.

2. Klare Spielregeln für mehr Raum

Foto Menschen im Büro
Envato/davidpereiras

Es braucht klare übergeordnete Ziele, konsequent fokussierte Prioritäten und Entscheidungsspielraum dort, wo die Arbeit erledigt wird. Statt neuer Buzzwords kommen einfache Spielregeln zum Zug. Die Aufgabe der Führung bestand immer darin, Kräfte effektiv zu bündeln, so dass große Ziele erreicht werden. Die Leistung dahinter besteht heute vor allem darin, Räume zu gestalten, in denen dies auf konzentrierte Art möglich ist.

Wir müssen die Menschen wieder in die Lage versetzen, ihre Arbeit zu erledigen. Sie wollen beitragen, im Team erfolgreich sein. Was sie dazu benötigen, sind transparente, stabile Rahmenbedingungen, Vertrauen sowie Feedback und Unterstützung. Führung bedeutet heute vor allem: Richtung weisen, Freiräume organisieren und begleiten, wo es notwendig ist.

3. Vorbildfunktion wahrnehmen

Alles, was Führungskräfte definieren, müssen sie auch vorleben. Sie sollten daher als Vorbild agieren – auch für das Selbstverständnis, dass sie im Team etablieren wollen. Sie müssen für sich klare Schwerpunkte finden und Werte, die sich im Alltag umsetzen lassen. Es ist wichtig, Energie in die Etablierung von Beziehungen im Team zu stecken – und dann mit gutem Beispiel vorangehen, wie diese Beziehungen auch Fehler und Kritik aushalten. Was aber für die eigenen Mitarbeitenden gilt, um Motivationslöcher zu vermeiden, trifft ebenso auf Chefinnen / Chefs zu.

Motivation ist keine komplizierte Sache

Foto Jugendliche mit Smartphone
Envato/DisobeyArtPh

„Does it spark joy?“ fragte die Aufräum-Expertin Marie Kondo, wenn die Entscheidung anstand, einen Gegenstand zu behalten oder nicht. „Does it help focus?“ wäre eine vergleichbare Frage, die sich Führungskräfte stellen sollten, wenn sie auf Prozesse und Praktiken in ihrem Unternehmen blicken. Der Fokus kann dann je nach Rolle weit sein (Strategie, Business-Development) oder eng (Expert-Rollen) – aber er sollte stets den Kern einer Rolle betreffen. Sich auf das zu konzentrieren, wofür man sich mit der Auswahl einer Rolle entschieden hat – das ist motivierend und setzt Energie frei.

Ein Selbstverständnis, das zu einem passt. Eine sinnvolle, herausfordernde Aufgabe. Vernünftige Rahmenbedingungen. Wertschätzung und die Möglichkeit, eigene Motive in der Arbeit befriedigen zu können. Mehr braucht es nicht, um Motivation dauerhaft auszulösen. Sie ist ein evolutionär verankertes Prinzip der Energetisierung. Machen wir es also nicht zu kompliziert. Geben wir ihr wieder Raum zu entstehen. Schaffen wir ab, was Inspiration und Impulse verhindert. Machen wir es einfach.

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Foto Patrick Wiederhake

Patrick Wiederhake ist Managing Director bei Profil M, einem Beratungsunternehmen für Human Resources Management. Er unterstützt Organisationen bei der Weiterentwicklung und Ausgestaltung der Talent-Strategie sowie der Förderung moderner Führungs- und Entwicklungskultur. Foto: Sven Kaemmerling

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