Plötzlich keine Kommunikation mehr und einfach abgetaucht. Jutta Perfahl-Strilka, CEO von hokify, gibt Tipps, wie Recruiterinnen und Recruiter Ghosting vorbeugen und verhindern können.
Endlich ist eine vielversprechende Kandidatin gefunden, das Bewerbungsgespräch ist vereinbart und die Chancen, die offene Stelle endlich zu besetzen, steigen. Doch dann kommt es ganz anders: Die Kandidatin erscheint einfach nicht zum Gespräch. Oder, noch schlimmer, sie taucht nicht zum ersten Arbeitstag auf. Das ist nicht nur frustrierend für Recruiterinnen / Recruiter, sondern es kostet auch Zeit und Geld – ganz abgesehen davon, dass eine Stelle weiterhin offen bleibt.
Unerwarteter Kontaktabbruch schadet beiden Seiten
“Ghosting” kommt aus dem Dating und bedeutet, dass eine(r) der Gesprächspartnerinnen / Gesprächspartner ohne Vorwarnung oder Erklärung den Kontakt abbricht. Auch im Recruiting hat sich dieser Begriff mittlerweile etabliert, meist in Bezug auf Bewerbende, die nicht zum vereinbarten Termin erscheinen.
Bei einer hokify-Umfrage unter Recruiterinnen / Recruitern gaben im letzten Jahr 40 Prozent an, regelmäßig von Bewerbenden-Ghosting betroffen zu sein. Nachdem die ghostenden Kandidatinnen / Kandidaten nicht mehr nach ihren Gründen gefragt werden können, lässt sich über die Ursachen des Phänomens nur mutmaßen. Auch wenn oft von Faulheit oder Unhöflichkeit ausgegangen wird, sind die Gründe für einen Abbruch des Bewerbungsprozesses vielfältig.
Arbeitnehmerinnen / Arbeitnehmer haben die Wahl
Durch den Arbeitnehmermarkt können viele Jobsuchende sich derzeit ihre Arbeitgeber aussuchen. Hat man bereits bei einem Job zugesagt, bekommt aber ein besseres Angebot, kann es oft unangenehm sein, abzusagen oder nachzuverhandeln. Dass dieses Verhalten meist eine Türe für eine mögliche zukünftige Zusammenarbeit schließt, ist vielen Bewerbenden jedoch nicht bewusst.
Eigene Erfahrungen normalisieren Ghosting
Haben Jobsuchende selbst bei Bewerbungen keine Antwort bekommen oder wurden geghostet, kann Ghosting als normales Verhalten im Recruiting interpretiert werden. Schlechte Erfahrungen oder unbeantwortete Bewerbungen minimieren die Hemmung, selbst nicht mehr zu reagieren. Zusätzlich wird Unverbindlichkeit (leider) in der Gesellschaft immer akzeptierter und begünstigt das Verhalten.
Vergessene bzw. übersehene Kommunikation
Besonders wenn Kommunikationskanäle genutzt werden, die Jobsuchende im Alltag wenig nutzen, kann es gut sein, dass Nachrichten untergehen oder übersehen werden. Auch Vereinbarungen, die mündlich geschlossen wurden, können vergessen oder falsch verstanden werden.
Geduld im Prozess verloren
Müssen Bewerbende durch zwei Vorstellungsgespräche, ein Assessment Center und zwei Case Studies, die sie in Summe drei Monate kosten, ist es nur verständlich, dass ihnen irgendwann die Geduld ausgeht. Auch wenn Assessment Center und Case Studies grundsätzlich wertvolle Recruitinginstrumente sein können, muss der Gesamtprozess trotzdem effizient funktionieren. Lange Wartezeiten, vor allem auf Bewerbungsgespräche oder zu hohe Anforderungen während des Bewerbungsprozesses begünstigen Ghosting.
Wie das Recruiting Ghosting vorbeugen kann
Wie können Recruiterinnen und Recruiter Ghosting vorbeugen und im besten Fall verhindern? Vor allem eins: Den Bewerbungsprozess so kandidatenzentriert gestalten, wie irgendwie möglich. Dazu sollte beim Bewerbungsprozess zwischen Job-Levels differenziert und der Prozess dementsprechend angepasst werden, um zu lange oder komplexe Prozesse zu vermeiden.
1. Bewerbungsprozess einfach gestalten
Klingt simpel, ist es aber oft nicht: Der Bewerbungsprozess muss unkompliziert sein. Das beginnt bei den ersten Kontaktpunkten, zieht sich über die Bewerbung bis hin zum Onboarding. Dabei hilft meist, den eigenen Prozess selbst durchzuspielen und zu analysieren: Was fällt mir leicht, was nicht? Wo würde ich selbst aufgeben? Was ist unklar? Die negativen Aspekte zu minimieren ist ein guter erster Schritt hin zu einem kandidatenzentrierten Prozess.
2. Zeiteffizienz und Transparenz
Immer noch warten Bewerbende teils Wochen, bevor sie eine Antwort auf ihre Bewerbung bekommen. Der gesamte Prozess, aber auch die Kommunikation muss schnell, unkompliziert und transparent sein – das bedeutet auch, zu Beginn den Ablauf und Zeitraums des Bewerbungsprozesses zu kommunizieren und diesen einzuhalten. Dafür muss auch in den Fachbereichen Recruiting stärker priorisiert werden, um lange Wartezeiten auf Bewerbungsgespräche oder Rückmeldungen zu verhindern.
3. Mit gutem Vorbild vorangehen
Stellen Sie sich vor, Sie warten auf eine wichtige Antwort, bekommen jedoch wochenlang keine Information dazu und auf Ihre Nachfragen wird nicht geantwortet – wie fühlen Sie sich? Genauso geht es auch Jobsuchenden, wenn Unternehmen nicht auf ihre Bewerbung reagieren. Leben Unternehmen Ghosting selbst, indem sie nicht antworten, etabliert das die Praxis weiter. Wird von Kandidatinnen / Kandidaten eine Absage erwartet, wenn sie den Prozess abbrechen wollen, muss das auch in die andere Richtung so gehandhabt werden. Wichtig dabei: wertschätzende und respektvolle Kommunikation sowohl bei Zusagen als auch bei Absagen oder Änderungen.
4. Passende Kommunikationskanäle nutzen
Die E-Mail-Postfächer einiger Kandidatinnen / Kandidaten enthalten so viele Newsletter, dass “normale” E-Mails schlichtweg übersehen werden, dafür wird auf WhatsApp Nachrichten schnell geantwortet. So unterschiedlich Kandidatinnen / Kandidaten sind, so verschieden sind auch ihre bevorzugten Kommunikationskanäle. Im besten Fall kann mit den Kandidatinnen / Kandidaten selbst besprochen werden, wie die Kommunikation für beide Seiten passt. Auch SMS sind eine Möglichkeit, DSGVO-konform zu kommunizieren, ohne in der E-Mail-Flut unterzugehen.
5. Aktive Pre-Onboarding-Kommunikation
Zwischen Zusage und erstem Arbeitstag kann viel passieren. Deswegen ist es wichtig, aktiv die Kommunikation aufrechtzuerhalten. Wie wird der erste Arbeitstag aussehen? Was muss mitgebracht werden? Wer sind die beiden wichtigsten Ansprechpersonen? Eine aktive Kommunikation vor und im Onboarding-Prozess vermeidet nicht nur Missverständnisse, sondern zeigt, dass die neuen Mitarbeiterinnen / Mitarbeiter wirklich willkommen im Unternehmen sind. Eine starke Willkommenskultur ist ein wichtiger Baustein bei der Eingliederung von neuen Mitarbeiterinnen / Mitarbeitern und verhindert gleichzeitig, dass Talente untertauchen, bevor sie überhaupt zu Mitarbeiterinnen / Mitarbeiter werden können.
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Jutta Perfahl-Strilka ist CEO von hokify und ehrenamtlich Vorstandsvorsitzende von Zukunft.Frauen Alumnae Club. Sie verfügt über langjährige Expertise und ein breites Wissenspektrum aus 25 Jahren Erfahrung in den Bereichen Sales & Marketing, HR & HR Business Solutions sowie Recruiting. Sie war unter anderem Geschäftsführerin und C-Level bei PwC Österreich Workforce Transformation und XING E-Recruiting im DACH Raum.