Jung und Alt halten sich gegenseitig für kompetent, trauen sich aber nicht, miteinander darüber zu reden. Grund genug für Führungskräfte, der Sprachlosigkeit entgegenzuwirken, meint Benjamin Notheis, Vice President, Global Talent Development bei SAP. Wie können Unternehmen die Kommunikation zwischen den Generationen fördern?
Die Berufswelt war schon immer ein Ort, an dem Menschen unterschiedlichen Alters zusammenkommen – die „Jungspunde“ gibt es in jedem Unternehmen ebenso wie die „alten Hasen“. Im Zuge des demographischen Wandels dürften die Belegschaften in dieser Hinsicht in Zukunft jedoch noch heterogener werden, denn um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, wird es für Unternehmen immer wichtiger, nicht nur junge Talente anzulocken.
Ebenso ist es in vielen Fällen empfehlenswert, möglichst intensiv von erfahrenen Mitarbeiterinnen / Mitarbeitern und deren Expertise zu profitieren. Mit zunehmender Spannbreite im Alter der Belegschaft wird ein funktionierendes generationenübergreifendes Arbeiten zur Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Geschäftsbetrieb.
Gegenseitige Stereotype behindern Kommunikation
Doch das ist mitunter leichter gesagt als getan. Die Vorurteile und Stereotype, die Alt und Jung zuweilen übereinander pflegen, sind nicht nur harmlose Klischees, sondern können ganz konkrete Auswirkungen auf den Arbeitsalltag haben. So führte LinkedIn kürzlich eine Umfrage unter mehr als 2.000 Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer durch, von denen jeweils die Hälfte zwischen 18 und 26 Jahre alt („Gen Z“) und die andere Hälfte zwischen 26 und 80 Jahre alt war. Beide wurden zu ihrer Sichtweise auf die jeweils andere Altersgruppe befragt. Das Ergebnis zeigt eine erschreckende Sprachlosigkeit zwischen den Generationen. So hatte mehr als jeder zehnte Befragte aus der Gen Z seit über einem Jahr kein direktes Gespräch mit Kollegen geführt, die 50 Jahre oder älter sind.
Interessant wird es, wenn man auf die Gründe für diesen Mangel an Kommunikation schaut. In besagter Umfrage äußerten Vertreterinnen / Vertreter beider Generationen häufig die Ansicht, dass die jeweils andere Generation über mehr Wissen verfüge als sie selbst, sie sich jedoch nicht trauten, sie aktiv darauf anzusprechen – aus Angst, sich zu blamieren, missverstanden zu werden oder einem generellen Unwohlsein dabei, andere um Hilfe zu fragen.
Das Unterlegenheitsgefühl der Älteren gegenüber den Jüngeren ist dabei gar nicht so außergewöhnlich, wie es für manche klingen mag. Durch meine langjährige Tätigkeit in einem Softwareunternehmen weiß ich aus eigener Erfahrung, dass gerade in Branchen mit hohem Innovationstempo häufig den Jüngeren zugeschrieben wird, fachlich mehr up-to-date zu sein als die älteren Jahrgänge.
Dieses Erkenntnis deckt sich mit Forschungen aus den USA bezüglich „Meta-Stereotypen“ zwischen verschiedenen Altersklassen, also der Vorstellung, was andere über uns aufgrund unserer Alterszugehörigkeit denken. Dabei stellte sich heraus, dass sowohl jüngere als auch ältere Berufstätige glauben, dass die jeweils andere Altersgruppe schlechter über sie denke, als sie es tatsächlich tut.
Sprachlosigkeit überwinden – Alt und Jung können viel voneinander lernen
Es ist schon paradox: Jung und Alt halten sich gegenseitig für kompetent, trauen sich aber nicht, miteinander darüber zu reden. Dementsprechend leiden Informations- und Erfahrungsaustausch und damit die Arbeitskultur und letztlich Produktivität und Innovationskraft. Grund genug für Führungskräfte, der Sprachlosigkeit entgegenzuwirken und die Kommunikation zwischen den Generationen zu fördern – und zwar in beide Richtungen.
Weitergabe von Soft Skills
Weit verbreitet ist das klassische Mentoring: Erfahrene Mitarbeitende teilen ihren Erfahrungsschatz mit den jüngeren Kolleginnen/Kollegen und stehen ihnen mit gutem Rat zur Seite. In vielen Unternehmen ist diese Form des Mentoring seit Langem fest etabliert und häufig mit entsprechenden Mentoring- und Coaching-Programmen institutionalisiert. Jedoch sollten sich solche Programme nicht allein auf die rein fachliche Weitergabe von Wissen beschränken. Ebenso wichtig für eine ausgewogene Arbeitskultur ist die Weitergabe von Soft Skills.
Im intergenerativen Kontext bedeutet dies, dass die Jüngeren von den Älteren, Erfahreneren einiges über Frustrationstoleranz und den gelassenen Umgang mit neuen, ungewohnten und stressigen Situationen lernen können – also dem, was man gemeinhin unter „Resilienz“ zusammenfasst. Dies kann bereits durch das informelle Teilen von anekdotischem Wissen geschehen – wie ist man mit einer ganz konkreten, bereits erlebten herausfordernden Situation umgegangen und hat sie erfolgreich bewältigt?
Kennenlernen neuer Sichtweisen
Derzeit noch weniger verbreitet ist das sogenannte Reverse Mentoring, also die Wissensvermittlung von jüngeren bzw. hierarchisch tiefer gestellten an ältere bzw. höhergestellte Kolleginnen / Kollegen. Wie das Mentoring hat auch das Reverse Mentoring eine fachliche und eine zwischenmenschliche Komponente. Fachlich betrifft sie typischerweise das Wissen über neue Technologien wie digitale Anwendungen oder den Umgang mit Social Media. Auf menschlicher Ebene können ältere Mitarbeitende durch den Perspektivwechsel und das Kennenlernen neuer Sichtweisen profitieren. Ebenso kann das direkte Erfahren von Wertschätzung durch die Jüngeren den erwähnen negativen Meta-Stereotypen entgegenwirken.
Sowohl beim Mentoring als auch beim Reverse Mentoring geht es also nicht nur um die ebenso altbekannte wie richtige Forderung nach „lebenslangem Lernen“. Es geht letztlich auch um gelebten Respekt und Wertschätzung. Führungskräfte können den generationenübergreifenden Austausch formell durch entsprechende Programme und Workshops fördern. Daneben bietet aber vor allem die gelebte Zusammenarbeit im Berufsalltag sowie nicht zuletzt eine Unternehmenskultur, in der Diversität, Offenheit und Wertschätzung gelebt werden, die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche intergenerationelle Zusammenarbeit. Oder wie wir bei meinem Arbeitgeber sagen: „Aging is natural, ageism is not.“
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Benjamin Notheis ist Vice President, Global Talent Development bei SAP. In dieser Rolle setzt er sich für die persönliche und fachliche Förderung von Tausenden von SAP-Mitarbeitenden ein. Sein Team kümmert sich um die Talententwicklung sowohl aus der zentralen HR- als auch aus der Unternehmensperspektive, indem es eine starke, vielfältige und transparente Talentpipeline aufbaut. In früheren Positionen bei SAP war er Head of Board and Customer Office sowie Executive Business Assistant für zwei Vorstandsmitglieder.