Woran erkennen Sie Wellness-Washing? Welche Unternehmen kümmern sich wirklich um ihre Angestellten? Ronald Franke, Geschäftsführer von LINC, stellt vier negative und vier positive Indikatoren vor.
Der Begriff Greenwashing bezeichnet das Bestreben von Unternehmen, sich durch vorgeschobene Aktivitäten als besonders umweltbewusst darzustellen. In Wirklichkeit handelt es sich dabei häufig lediglich um eine geschönte Fassade, hinter der das Profitstreben weiterhin an erster Stelle steht.
Analog dazu hat sich der Begriff Wellness-Washing etabliert. Auch hier geht es darum, einen Eindruck zu erwecken, ohne das dazugehörige Mindset verinnerlicht zu haben. Konkret geht es beim Wellness-Washing darum, der Öffentlichkeit, etwaigen Bewerberinnen / Bewerbern und der eigenen Belegschaft zu suggerieren, das Unternehmen würde sich ernsthaft für das körperliche und geistige Wohlbefinden ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einsetzen, obwohl bei genauerer Betrachtung oftmals keine substanzielle Grundlage dafür vorhanden ist.
Die Ernsthaftigkeit eines Unternehmens hinsichtlich der Bemühungen um die Gesundheit seiner Mitarbeitenden lässt sich anhand bestimmter Indikatoren erkennen. Im Folgenden finden sich einige Anhaltspunkte und Hinweise, die bei der Beurteilung in Sachen Wellness-Washing hilfreich sein können.
Vier Indikatoren für Wellness-Washing im Unternehmen
1. Diskrepanz zwischen Unternehmenswerten und tatsächlichem Verhalten
In zahlreichen Unternehmen hat das (Top-)Management das Mindset hinter Begriffen wie New Work nicht verstanden oder verinnerlicht. Zwar wird wahrgenommen, dass sich die Arbeitswelt und die Anforderungen der Bewerberinnen und Bewerber wandeln, doch werden diese Veränderungen oft als kurzlebige Trends abgetan, die von arbeitsscheuen Individuen befeuert werden. Unter dem gesellschaftlichen Druck der Legitimation wird dann meist nur das Minimum an Maßnahmen zur Steigerung des Wohlbefindens der Mitarbeiterschaft umgesetzt, wie etwa der klassische Obstkorb.
In Krisensituationen, wenn die Interessen der Mitarbeitenden mit denen des Unternehmens kollidieren, zeigt sich die wahre Gesinnung des Managements. Flexible Arbeitszeiten, Homeoffice oder Vertrauensarbeitszeit werden bei den ersten Anzeichen einer Umsatzdelle zurückgenommen, mit der Begründung, solche Maßnahmen seien momentan finanziell nicht tragbar.
2. Abstrakte Versprechen ohne erkennbare Aktivitäten
Ein weiteres Wellness-Washing-Szenario zeigt sich, wenn ein Unternehmen sich im Rahmen des Personalmarketings nach außen als mitarbeiterorientiert und progressiv darstellt, die propagierten Maßnahmen intern jedoch entweder fehlen oder nicht konsequent umgesetzt werden. Typische Aussagen von Führungskräften oder HR-Verantwortlichen wie „Natürlich können Sie bei uns ein Sabbatical nehmen, aber ob sich das positiv auf Ihre Karriere auswirken wird, sollten Sie sich besser noch einmal überlegen“ offenbaren die Diskrepanz zwischen Versprechen und Realität.
3. Marginale Veränderungen ohne (monetäres) Investment
Unternehmen starten häufig mit einem gewissen Engagement in ihr New-Work-Zeitalter. Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen geraten jedoch schnell in Sorge, wenn die neuartigen Maßnahmen kostspielig werden. Einmalige Investitionen in Equipment wie Stehschreibtische oder ergonomische Hocker werden zwar getätigt, doch kostenintensivere langfristige Maßnahmen wie individuelle Coachingprozesse bleiben aus.
4. Maßnahmenpakete ohne Veränderung problematischer Prozesse
Besonders perfide ist das Vorgehen vieler großer Unternehmen, die professionelle Maßnahmenpakete zur Unterstützung ihrer Mitarbeitenden bieten, diese jedoch lediglich dazu nutzen, unternehmensinterne Burnout-Opfer schnell wieder fit für den Arbeitsalltag zu machen. Ein befreundeter Unternehmensberater berichtete von seiner Überraschung über die ausgeklügelten Unterstützungsangebote seines Arbeitgebers nach einem Kreislaufzusammenbruch aufgrund eines stressigen Beratungsprojekts. Als er jedoch erkannte, dass seitens des Unternehmens keinerlei Interesse an einer Verringerung des Drucks oder einer Verkürzung der Arbeitszeit bestand, verloren diese Angebote für ihn jede Glaubwürdigkeit.
Vier Indikatoren für eine gesundheitsorientierte Perspektive im Unternehmen
Nachdem im bisherigen Verlauf die Merkmale von Wellness-Washing beschrieben wurden, folgen jetzt einige Indikatoren aus der Kategorie „Good Practice“, die darauf hinweisen, dass ein Unternehmen es tatsächlich ernst meint mit den Bestrebungen um das Wohlbefinden seiner Mitarbeitenden:
- Die Maßnahmen und Instrumente, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen, werden vom Unternehmen proaktiv und nicht nur auf Druck der Mitarbeiterschaft umgesetzt.
- Es wird nicht nur nach außen kommuniziert, dass man sich für die Mitarbeitenden als Menschen interessiert, sondern es werden auch Instrumente im Unternehmen installiert, die dabei unterstützen, das Potenzial, die Persönlichkeit und die individuellen Entwicklungsperspektiven besser kennenzulernen (z.B. Coachings, Persönlichkeitsentwicklung oder Burnout-Prävention).
- Die Hinwendung zum Menschen und der Weg vom reinen Zahlenfokus werden auch in schwierigen Situationen konsequent weiterverfolgt.
- Die Prozesse, Strukturen und Strategien des Unternehmens stehen im Einklang mit Begriffen wie Transparenz, Fairness und Vertrauen gegenüber den Mitarbeitenden.
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Dr. Ronald Franke ist Gründer und Geschäftsführer der LINC GmbH (Lüneburg Institute for Corporate Learning). Als Psychologe, systemischer Coach und Dozent beschäftigt er sich leidenschaftlich mit der modernen Psychologie und der Frage, mit welchen Erkenntnissen und Lösungen sie dabei helfen kann, einige der bedeutendsten Themen unserer Zeit anzugehen. Die LINC GmbH konzipiert und erstellt digitale Instrumente zur Erfassung, Darstellung und Entwicklung von Persönlichkeit mit dem Ziel, die Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis zu schlagen, um einen signifikanten Beitrag zur Professionalisierung im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung zu leisten. Foto: ©LINC