Warum Sie mit Ihren Bewerbern besser flirten müssen

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Viele Personaler dümpeln im Dornröschenschlaf des Bewährten dahin, sagt Ulrike Winzer, Beraterin und Speakerin. Ihr Rat: Schalten Sie in den Recruiting-Flirtmodus.

Wissen Sie was ein Wake-up-Call ist? Das ist ein Weckruf, ein Alarmsignal, und ein solches Signal ist in vielen HR Abteilungen erforderlich. Zu viele Personaler dümpeln im Dornröschenschlaf des Bewährten dahin. Es wird höchste Zeit, aufzuwachen, denn die Dinge da draußen haben sich grundlegend geändert.

Für die Seite der Bewerber gibt es unzählige Ratgeber, die ihnen einbläuen, wie sie den perfekten ersten Eindruck vermitteln. Sie alle stammen aus einer Zeit des Angebotsmarktes – viele Bewerber, wenige Stellen. Doch das Kräfteverhältnis hat sich bekanntlich zugunsten der Bewerber verschoben. Im „War for Talents“ – Krieg um Talente – müssen sich jetzt die Unternehmen ins Zeug legen, und da sind zuallererst die Personaler gefordert, denn diese sind in der Regel die erste Anlaufstelle für alle, die im Unternehmen arbeiten wollen. Mit Blick auf unsere mittlerweile hochkomplexe Welt wird es dann eng mit den Ratgebern und den Blaupausen. Was also tun?

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Und so groß natürlich die Verlockung ist, diese Herausforderung in allen Facetten zu problematisieren und zu akademisieren, vielleicht sollten wir uns einfach mal in Erinnerung rufen, wie es war – oder wie es ist – das Herzen von jemanden zu erobern. Ein Flirt und ein Gespräch mit einem potenziellen Kandidaten – da gibt es tatsächlich eine Menge Parallelen.

Mehr Mühe bei der richtigen Location und der richtigen Vorbereitung

Wer Musikliebhaber ist und Gleichgesinnte kennenlernen will, geht in die Oper oder vielleicht ins Rock-Konzert. Wer neue Mitarbeiter sucht, schaltet Stellenanzeigen auf den Job-Portalen und der eigenen Homepage. Das ist in etwa so erfolgversprechend wie Heidi Klum zum All you can eat-Asiaten um die Ecke einzuladen. Es passt einfach nicht. Wenn Speditionen etwa Fahrer suchen, dann dürfte die gesamte Onlinewelt kaum erste Wahl sein. Besser wären entsprechende Anzeigen genau dort, wo auch die Zielgruppe wirklich ist: zum Beispiel an Tankstellen, inzwischen ja auch ein Ort der ungeahnten Werbemöglichkeiten.

Generell bietet die digitale Technologie so unfassbar viele neue Chancen und viele „Locations“ – nicht nur für Spediteure. Erste Unternehmen experimentieren hierzulande beim Recruiting inzwischen schon mit einem crossmedialen Mix aus großflächiger Außen- und Verkehrsmittelwerbung und dem Online Audio-Streamingdienst Spotify. Das Targeting der Plakat-Kampagnen wird dabei regional um die Firmenstandorte herum festgelegt, womit der Arbeitgeber in der Region auftaucht und neben den Arbeitssuchenden selbst auch deren Umfeld ins Auge sticht.

Die Recruiting-Werbung auf Spotify wird dann nach Alter und Postleitzahlgebiet platziert. Werbespots gibt es nur in der kostenlosen Version, die oft von jungen Menschen und Schülern genutzt wird, die Werbung richtet sich also gleich an die richtige Zielgruppe. Soll heißen: Wer mit neuen Mitarbeitern ins Gespräch kommen will, muss mindestens wissen, wo man die trifft – vor allem auch abseits der gängigen Treffpunkte.

Wer für das erste Date und für den ersten Recruiting Kontakt die passende Location ausgesucht hat, sollte sich dann auch entsprechend ins Zeug legen. Für ein Date bereiten sich viele Menschen akribisch vor: von Outfit, Duft und Haarstyling bis hin zu Recherchen im Netz und bei Freunden. Für den ersten Recruiting Kontakt fällt die Vorbereitung viel zu häufig im Magerkost-Format aus: mal schnell in den Termin, das wird schon gewuppt. Und vorbereiten kann man sich, während der Bewerber erzählt. Vom Flirtmodus keine Spur!

Mehr Ehrlichkeit

Zeitgeist ist verlockend und trügerisch zugleich. Wer ihm folgt, wirkt nicht zwangsläufig begehrenswerter. Hoodie und zerrissene Jeans mögen für Twens angemessen erscheinen, bei der Gruppe 40+ wirkt’s bisweilen arg bemüht. Daher kommen Manager nach dem Besuch im Silicon Valley und anschließendem „rein in die Sneakers und weg mit der Krawatte, denn wir sind jetzt agil“ nicht unbedingt glaubwürdig daher.

Beim Employer Branding ist das ganz ähnlich. Garagen-Atmosphäre, Bierkasten und Tischkicker sind in der Start-up-Branche vielleicht gesetzt, in der traditionellen Wirtschaft oder gar den Behörden wirkt das oftmals gestellt und nicht ehrlich – auch wenn uns die Medien bisweilen ein anderes Bild vermitteln. Die eigenen Stärken als Unternehmen wirklich zu kennen und diese passend zur Zielgruppe auch überzeugend zu kommunizieren, ist häufig Erfolg versprechender als dem Zeitgeist hinterher zu laufen. Denn Arbeitsplatz-Sicherheit, feste Arbeitszeiten oder Tarifbindung sind Werte, die nach wie vor nicht an Attraktivität eingebüßt haben. Es kommt eben einfach auf die richtige Zielperson an – wie beim Flirt.

Mehr Empathie

Beim Flirten lassen wir unseren Charme spielen, zeigen echtes Interesse am Gegenüber, versuchen ihn und seine Situation wirklich zu verstehen, gehen auf das Gesagte ein. Und im Job? Welcher Personaler kennt denn wirklich seine Zielgruppen, weiß, was die potenziellen Mitarbeiter begeistert und bewegt, was deren Bedürfnisse sind, wie sie sich verhalten und wie sie angesprochen werden wollen? Ein Perspektivwechsel tut not, denn jeder Bewerber hat wie jeder einzelne Mensch andere Bedürfnisse und Wünsche – der ITler will Freiraum für eigene Projekte, der BWLer interessiert sich vor allem für Karrieremöglichkeiten und die Mutter aus dem Controlling für Deckungsbeitragsrechnungen und die Kinderbetreuung. Es gibt eben nicht „den einen“ Bewerber – es gibt aber zumindest Archetypen. Immer mehr, weil unsere Gesellschaft eben immer diverser wird.

Mehr Wissen

Je größer die gemeinsame Schnittmenge, desto inspirierender ist meist auch das Gespräch. Für Personaler ist das eine riesige Herausforderung – denn sie müssen Schritt halten mit der gesellschaftlichen und der technologischen Entwicklung. Und beide nehmen immer schneller Fahrt auf. Der IT-Job-Markt etwa ist ausdifferenziert wie nie und Komplexität und Vielfalt nehmen weiter zu. Infrastruktur-Architekt, Hadoop-Spezialist, Java-Entwickler, SAP-Consultant und, und, und. HR-ler kommen bei den notwendigen Skills kaum hinterher. Dabei geht es nicht darum, Detailfragen beantworten zu können. Wer aber die grundsätzlichen Begriffe nicht einordnen kann und zum Beispiel weiß, dass Hadoop ein Software-Framework im Big Data Kontext ist, der hat definitiv verloren. Der erste Eindruck ist eben immer noch entscheidend. Wie bei einem Flirt. Junge IT-ler fühlen sich dann nicht ernst genommen. Gerade in solch wichtigen Zukunftsmärken ist das für Unternehmen fatal.

Deshalb: Alle sprechen von der Transformation von einzelnen Einheiten und ganzen Unternehmen. HR muss diese Transformation begleiten. Dabei rückt allzu häufig in den Hintergrund, dass die Transformation auch den HR-Bereich selbst betrifft. Nicht nur technologisch – um etwa per KI die passenden Bewerber zu bekommen -, sondern ganz wesentlich mental. Transformation beginnt zuallererst im Kopf, zwischen den Ohren! Human Resources Management muss zu Human Relationship Management werden. Nicht umsonst heißt es auch bei den Kunden „Customer Relationship Management“. Und wer das Wort Transformation nicht mag: Bitteschön, eine Human (R)Evolution tut es auch.

Noch kürzer gesagt: Einfach mal wieder mit Interesse, Substanz und Empathie menscheln lassen!

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.

Foto Ulrike Winzer

Als gefragte Wirtschaftsexpertin für Veränderung und HR begleitet Ulrike Winzer als Personalberaterin, Rednerin, Moderatorin, Coach, Podcasterin und Autorin Mitarbeitende und Manager in der beruflichen Veränderung und unterstützt Unternehmen beim Wandel der Arbeitswelt. Denn die digitale Transformation erfordert vor allem die Transformation der persönlichen Haltung. Ulrike Winzer ist Keynote-Speakerin auf der HRocks Human Resources Congress & Expo 2021.

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