Unbegrenzter bezahlter Urlaub kann die Zufriedenheit und Produktivität der Mitarbeitenden fördern. Sofie van der Straaten, HR-Managerin bei Bullhorn, erläutert, was es bei der Einführung dieses unkonventionellen Urlaubsmodells zu beachten gibt.
Eine gute Work-Life-Balance wünschen sich wohl alle Arbeitnehmer. Konkret bedeutet das, ein ausgewogenes Verhältnis von Berufs- und Privatleben zu schaffen. Eine erstrebenswerte Vorstellung, doch leider kommt in der Realität häufig eines der beiden zu kurz – meist das Privatleben. 9 to 5 Jobs, am Schreibtisch im Büro und durchgetaktete Arbeitstage sind für viele Arbeitnehmende einfach nicht mehr erstrebenswert. Sie wünschen sich mehr Flexibilität und Freiheiten.
Studien belegen bereits, dass lange Arbeitstage nicht gleich zu mehr Produktivität führen. Diverse Experimente zeigen beispielsweise, dass 4-Tage-Wochen mit 32-36 Arbeitsstunden die Produktivität und mentale Gesundheit der Arbeitnehmer im Vergleich zu einer 5-Tage-Woche mit 40 Stunden steigern. Immer mehr Unternehmen realisieren durch solche Daten, dass das „klassische“ Arbeitsmodell überdacht werden muss. Der Fokus sollte verstärkt auf den erzielten Resultaten liegen und weniger auf der dafür aufgebrachten Zeit.
Welche Alternativen zum „klassischen“ Arbeiten gibt es?
Wenn Unternehmen im Tauziehen um die besten Talente in Zukunft bestehen wollen, müssen sie Maßnahmen einführen, die den Arbeitnehmern mehr Flexibilität zugestehen und gleichzeitig ihre Produktivität erhöhen. Modelle wie die 4-Tage-Woche, die auch kürzlich in Belgien eingeführt wurde, zeigen den Versuch von Regierungen und Unternehmen, den Wünschen der Arbeitnehmenden entgegenzukommen. In Belgien können die Arbeitsstunden eines Tages auf die 4 restlichen aufgeteilt werden.
Ob sich die Ergebnisse der oben genannten Umfrage an 10-Stunden-Tagen jedoch verbessern werden, bleibt zu bezweifeln. Sinnvoller wäre wahrscheinlich die Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit. Ein anderes Modell, welches bereits von Großkonzernen, wie Netflix, Dropbox oder Pinterest seit Anfang des Jahrzehnts angeboten wird, ist unbegrenzter bezahlter Urlaub. Dabei gilt: Jeder Mitarbeiter kann in Theorie so viel Urlaub nehmen, wie er möchte und das ohne Gehaltseinbußen.
Im Rahmen eines flexiblen Urlaubsmodells können sich Mitarbeitende Auszeiten von variabler Dauer nehmen – natürlich in Absprache mit ihrem Team. Für die Mitarbeiter entsteht so ein erhöhter Anreiz, Ziele in kürzerer Zeit zu erfüllen. Auch die Zufriedenheit steigt mit dem Gefühl selbst Einfluss auf die eigene Arbeitszeitverteilung zu haben. In Erfahrungsberichten wird auch oft von gesteigertem Teamgeist und einer stärkeren Identifikation mit dem Unternehmen gesprochen. Die Mitarbeiter haben keine Stunden mehr, die sie „absitzen“ müssen, sondern einen Anreiz ihre Arbeitszeit effizient zu nutzen.
Unbegrenzter Urlaub: Welche Anforderungen muss ein Unternehmen erfüllen?
Damit diese Form der flexiblen Arbeit funktioniert, ist es Aufgabe des Unternehmens, eine Umgebung zu schaffen, in der dies auch umsetzbar ist. Folgend einige Tipps:
1. Regelungen gemeinsam erarbeiten:
Für die Etablierung eines solchen Systems ist eine anfängliche Aussprache nötig. Verschiedene Unternehmen, Industrien und Abteilungen funktionieren unterschiedlich. Es muss ausgewertet werden, inwieweit das Modell im eigenen Unternehmen anwendbar ist. Die Arbeitnehmer wissen meist ziemlich genau, was ihnen helfen würde, ihre Leistung zu steigen und zufriedener auf der Arbeit zu sein. Gemeinsam kann so ein System etabliert werden, das für alle funktioniert.
2. Kommunikation ist das A und O:
Eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg, ist eine gute Kommunikation. Der Austausch zwischen Kollegen untereinander sowie mit den Vorgesetzten gewinnt an Bedeutung. Denn auch wenn unbegrenzt viele Urlaubstage möglich wären, müssen diese natürlich trotzdem mit dem Team abgestimmt werden. Nicht alle Mitarbeiter können gleichzeitig von ihren unbegrenzten Urlaubstagen Gebrauch machen.
Auch Meetings, Pläne, Deadlines und Probleme müssen intensiver kommuniziert werden, um kontinuierlich die bestmöglichen Resultate für das Unternehmen zu erzielen. Sollten dennoch Probleme auftreten, ist es hilfreich, einzelne Mitarbeiter direkt anzusprechen. Wenn auffällt, dass ein Kollege immer einspringt und selten selbst einen freien Tag nimmt, sollte auch dieser motiviert werden, Urlaub zu machen. Bei dem Modell steht der Arbeitnehmer und dessen Wohlergehen im Mittelpunkt. Und das sollte auch so kommuniziert werden.
3. Vorbildfunktion:
Vorbilder helfen, neue Ansätze und Modell zu etablieren. Auch Führungskräfte sind von der Urlaubsregelung nicht ausgeschlossen. Sie sollten also ebenfalls von ihren freien Tagen Gebrauch machen. Das bestätigt die Mitarbeiter nicht nur darin, ihre Möglichkeiten zu nutzen, sondern zeigt ihnen auch, dass die Vorgesetzten ihnen vertrauen. Das Unternehmen funktioniert auch ein paar Tage ohne den Manager. Das gegenseitige Vertrauen und das Gefühl von Verantwortung steigen.
4. Ergebnisse statt Zeit:
Arbeitgeber müssen ihre Mitarbeitenden nicht an Zeit, sondern erbrachter Leistung messen. Das bedeutet zunächst einen gewissen Kontrollverlust, doch die anfängliche Unsicherheit wird sich schnell wieder legen, sobald der Erfolg erkennbar ist.
5. Richtwerte:
Sinn der unbegrenzten Urlaubstage ist es, dass Mitarbeiter durch regelmäßige Auszeiten ihre Zeit besser nutzen und somit die allgemeine Produktivität gesteigert wird. Damit die positiven Resultate erzielt werden, die das Modell verspricht, ist es wichtig, dass sich Arbeitnehmer tatsächlich auch frei nehmen. Dazu müssen sie ermutigt werden. Unbegrenzte Urlaubstage klingen zunächst gut, bringen allerdings auch eine große Verunsicherung mit sich, denn wie viele Tage sind tatsächlich ok?
Nach einer Befragung deutscher Unternehmen, die unbegrenzte Urlaubstage genehmigen, nehmen die Mitarbeiter im Durchschnitt auch weiterhin 25 bis 30 Tage. Das entspricht dem deutschen Durchschnitt bei fest geregelten Urlaubstagen. „Alleine der Gedanke tut einem gut“ ist deshalb wohl ein Satz, der sehr gut zu diesem Arbeitsmodell passt. Für Länder mit einer geringeren Anzahl an gesetzlich geregelten Urlaubstagen, macht sich diese Differenz ebenfalls bemerkbar. Hier liegt der Durchschnitt bei knapp 20 freien Tagen.
Der Landesdurchschnitt sollte hier aber wirklich nur als Richtwert dienen (und den Arbeitgebern zeigen, dass unbegrenzter Urlaub nicht bedeutet, dass das Büro tagelang leer steht). Wenn das Modell eingeführt wird, ist der Name Programm und es sollte immer das Ziel verfolgt werden, dass Mitarbeiter sich genügend Urlaub nehmen können.
Fazit: Unbegrenzter bezahlter Urlaub
Die berühmte Work-Life-Balance zu finden ist eine Lebensaufgabe. Um die Zufriedenheit und Produktivität der Mitarbeitenden zu steigern, müssen Unternehmen den Rahmen bieten, in dem das auch gelingt. Ein hohes Maß an Flexibilität und Autonomie spielt dabei eine immer größere Rolle. In einem kompetitiven Markt ist es Aufgabe der Unternehmen, zu überlegen, wie sie Talente für sich gewinnen und Mitarbeitende halten können – denn die Konkurrenz schläft nicht. Es lohnt sich also, von alten Mustern und Regelungen abzuweichen und Neues zu wagen. Unbegrenzter bezahlter Urlaub ist definitiv eine Möglichkeit, Mitarbeitenden Wertschätzung und Vertrauen entgegenzubringen und ihre Produktivität und Motivation zu steigern.
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In ihrer Funktion als HR-Managerin ist Sofie van der Straaten für die Policies, Strategie und Beratung im Personalwesen von Bullhorn International verantwortlich. Bevor Sofie zu Bullhorn kam, war sie HR Business Partner bei einem amerikanischen Technologieunternehmen. Sie hat viel Erfahrung im Bereich HR in Unternehmen unterschiedlicher Größe. Mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung sorgt sie täglich dafür, dass die Mitarbeiter von Bullhorn in ihrem Arbeitsumfeld zufrieden sind.