Total Experience adressiert alle Beteiligten: Kunden, User, Partner, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. William van der Pijl, CEO von Macaw, fordert: „Jetzt müssen die Experience-Silos fallen.“
Der Mittelstand hat es mehrfach schwer. Einerseits kämpft er, seit wir denken können, mit Budget- und Ressourcenproblemen in der IT. Er hat allergrößte Mühe, mit Großunternehmen Schritt zu halten, wenn es um den Einsatz neuer IT-Lösungen geht. Die Abschaffung von Daten- oder Sicherheitssilos zum Beispiel, essenziell für agiles Agieren am Markt, wird ihm dadurch oft verwehrt. Das gefährdet seine Wettbewerbsfähigkeit.
Größenbedingt plagen ihn zweitens bescheidene Economies of Scale, während Konzerne nicht nur effizienter wirtschaften, sondern mit üppigen Budgets auch ungebremst experimentieren können, um optimale Lösungen zu finden: nicht nur in der IT, auch in Forschung, Entwicklung und Produktion, bei der Preisgestaltung oder bei der Gestaltung ihrer Vertriebswege.
Wenig Ressourcen, eingeschränkter Bewegungsradius: Vielleicht sind zahlreiche kleine und mittlere Betriebe bei Investitionen deshalb so zurückhaltend. Sie backen lieber kleinere Brötchen – nicht nur in der IT und bei Datensilos. Fast könnte man meinen, einige verschanzten sich in regelrechte Denksilos. Mentale Rigidität, zögerliche Investitionsbereitschaft und übervorsichtige Risikolosigkeit aber sind Gift für ihre Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit – gerade in diesen Pandemiezeiten.
Customer Experience und Kundenzentriertheit endgültig etabliert
Denn Covid-19 hat die weltweite Wirtschaft auf den Kopf gestellt: neue Arbeits- und Organisationsstrukturen sind entstanden, Lieferketten sind zusammengebrochen, und auch die Anforderungen von Kunden und Konsumenten haben sich radikal gewandelt. Customer Experience und Kundenzentriertheit, schon längst ein Thema in allen Branchen, hat sich durch Corona nunmehr endgültig etabliert.
Aber viele Mittelständler, zumal in Deutschland, sind nicht einmal in der Lage, diese notwendigen Veränderungen aufzugreifen, etwa im Rahmen der überfälligen Transformation ihrer digitalen Landschaft und dem Einsatz dedizierter Digital-Experience-Lösungen (DX). Sie sind oft nicht pragmatisch genug, vielleicht weil sie einfach nach der perfekten Lösung suchen. Aber Perfektion ist der Feind des Guten, und damit bleiben Digitalisierung und Kundenzentriertheit oft schon im Ansatz auf der Strecke. Andere Länder sind da weiter.
Pragmatismus erfordert Mut: Mut, aus selbstgeschaffenen Denksilos auszubrechen und neue Wege zu gehen; Mut, Veränderung als Zukunftspotenzial zu erkennen; und Mut, mehr Risiko und mehr Investitionen zu wagen. Gerade bei der IT halten sich Risiken und Nebenwirkungen bei Investitionen mittlerweile aber glücklicherweise sehr in Grenzen, etwa durch budgetschonende, SaaS-basierte DX-Angebote. Oder durch neue und sehr wirksame Technologien wie KI, die helfen, die Customer Experience drastisch zu verbessern.
Total Experience als neuer Trend
Zum Beispiel ist KI in der Lage, unstrukturierte Daten in Social-Media-Kanälen auszuwerten, um festzustellen, wie Kunden Produkte oder Angebote eines Unternehmens einschätzen. Auf dieser Basis kann etwa die Ansprache eines Kunden personalisiert und seine Loyalität erhöht werden. Künstliche Intelligenz ist übrigens eine der Technologien, auf die in Zukunft niemand mehr verzichten wird, so kontrovers sie auch diskutiert wird. Der Mittelstand tut gut daran, diese Entwicklung so früh wie möglich aufzugreifen.
Noch beschäftigt sich die Mehrheit der kleinen und mittleren Betriebe mit Themen wie Customer und Digital Experience, indes entsteht schon wieder ein neuer Trend: die Total Experience. Marktforscher Gartner hat ihn sogar als „Top Strategic Technology Trend“ für 2022 deklariert.
Total Experience oder TX ist eine Business-Strategie, die auf eine holistische, also ganzheitliche Experience aller Beteiligten an einer Brand zielt. Die Total Experience adressiert nicht mehr nur Kunden, sondern auch User, Partner und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Würde man eine Formel schreiben wollen, hieße sie TX=CX+EX+UX+MX, wobei CX die klassische Customer Experience meint, EX die Employer Experience ist, UX ist die User Experience und MX die Multi-Experience, also die gleichzeitige Experience über mehrere Devices und Touchpoints hinweg. Das ganz große Paket für jedermann, sozusagen.
Warum dieses „ganz große Paket“?
Warum dieser Trend sich entwickelt hat, liegt auch wieder an Covid-19. Während der Pandemie haben Kunden und Konsumenten offenbar angefangen, sich Gedanken über Unternehmen zu machen: wie sie sich in Krisenzeiten verhalten, wie schnell sie sich anpassen können und wie sie mit ihren Mitarbeitenden umgehen.
Tatsächlich legen Studien zumindest in den USA nahe, dass die große Mehrheit der Konsumenten größten Wert darauf legt, wie Unternehmen sich um ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bemühen: dort kaufen sie dann auch vorzugsweise ihre Produkte ein. Wir können davon ausgehen, dass sich dieses Verhalten in Europa und Deutschland genauso entwickelt hat.
Natürlich spielt die IT auch bei der Total Experience die wichtigste Rolle. Ihre nächste Aufgabe heißt dann, für eine integrierte TX zu sorgen, damit nicht nur Kunden, sondern alle Beteiligten einer Brand sich wohl fühlen. Auch hier müssen also alle Silos fallen, diesmal allerdings die Experience-Silos, weil alle Beteiligten interagieren und nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können. Man könnte sagen: Ist der Mitarbeiter glücklich, freut sich der CFO – weil der Umsatz steigt.
Gartner prognostiziert übrigens, dass bis 2026 60 Prozent der großen Unternehmen TX nutzen werden, um ihre Business-Modelle (erneut) zu transformieren und im Sinne aller zu verbessern. Der Trend nimmt also, glaubt man dem Marktforscher, offensichtlich Fahrt auf.
Interessant, dass auch Gartner bei dieser Prognose nur Großunternehmen erwähnt – und den Mittelstand bei seiner Einschätzung ignoriert. Fortschritt ist unerbittlich, weil Stillstand Rückschritt bedeutet. Diesmal sollten Mittelständler also darauf achten, dass sie frühestmöglich auf den neuen TX-Zug aufspringen: Um besser voran zu kommen, und nicht wieder von den Großen abgehängt zu werden.
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William van der Pijl (geb. 1968) ist seit 2017 der CEO von Macaw. Er kam 2011 zum Unternehmen und wurde 2013 COO. Vor Macaw arbeitete er mehr als 12 Jahre bei Sara Lee, unter anderem als IT-Director für E-Business und Workplace Productivity. Van der Pijl hat einen Abschluss in Informationswissenschaften von der Universität Utrecht. Foto: ©Macaw