Thomas Hartenfels: Strategische HR-Funktionen gewinnen an Bedeutung

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In Zeiten der Rezession wachsen die Herausforderungen für HR, doch mit ihnen auch die Chancen. Thomas Hartenfels, Senior Director bei Robert Walters, beschreibt im Interview mit dem HR JOURNAL, wie sich HR in Unternehmen künftig positionieren wird. Welche Kompetenzen werden jetzt besonders wichtig? Welche Strategien sollten HR-Teams verfolgen, um in unsicheren Zeiten erfolgreich zu bleiben? Und wie können HRler ihr Profil intern und bei Bewerbungen erfolgreich schärfen?

„Wir werden weiterhin die Dualität von Stellenabbau und Fachkräftemangel auf dem deutschen Arbeitsmarkt erleben“, sagt Thomas Hartenfels. Die jüngsten Aussagen zur deutschen Wirtschaft untermauern diese Prognose. Laut Statistischem Bundesamt sind die Auftragseingänge im Verarbeitenden Gewerbe im August 2024 im Vergleich zum Juli 2024 um 5,8 Prozent gesunken. Das kommt nicht ganz überraschend, denn seit 2022 geht es nur in eine Richtung: abwärts. Und: Die Ausrüstungsinvestitionen der Unternehmen sind stark rückläufig. Der gespaltene Arbeitsmarkt wird uns erhalten bleiben.

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Welche Fachkräfte sind jetzt besonders gefragt, welche haben weniger gute Aussichten? Und für unsere Leserinnen und Leser besonders interessant: Welche Strategien sollten die Personalabteilungen der Unternehmen verfolgen, um sich in der aktuellen Situation erfolgreich zu positionieren? Last but not least: Was können Jobsuchende im HR-Bereich tun, um für neue Arbeitgeber attraktiver zu werden? Welche Kompetenzen sollten sie ausbauen?

Thomas Hartenfels ist sich sicher: HR wird keineswegs an Bedeutung verlieren. Im Gegenteil: HR durchläuft einen Wandel, bei dem sich die Rollen von rein administrativen Aufgaben hin zu strategischen Funktionen entwickeln. Die Aufgaben werden sehr vielfältig sein. Ein Punkt, der auch dem HR JOURNAL besonders am Herzen liegen wird: Personalerinnen und Personaler sollten ein besonderes Augenmerk auf die Entwicklung internationaler HR-Kompetenzen legen.

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ifo Exporterwartungen, Geschäftsklimaindex, Beschäftigungsbarometer – alles im roten Bereich. Aber: Der Fachkräftemangel wird sich in den kommenden Jahren ausweiten, sagt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Große Unternehmen wiederum planen Entlassungen. Können Sie etwas Licht in diese auf den ersten Blick verwirrende Situation bringen?

Thomas Hartenfels: Der scheinbare Widerspruch zwischen einem zunehmenden Fachkräftemangel und aktuellen Entlassungen ist bei näherer Betrachtung keiner. Tatsächlich übersteigt die Zahl der benötigten Fachkräfte weiterhin die Zahl der Entlassungen deutlich. Der Grund hierfür liegt in der strukturellen Transformation der Wirtschaft. Während traditionelle Branchen wie die Automobilindustrie aufgrund von Produktionsrückgängen und konjunkturellen Schwankungen Entlassungen vornehmen, suchen wachstumsstarke Sektoren wie IT, Medizintechnik, Gesundheitswesen und erneuerbare Energien händeringend nach qualifiziertem Personal. Diese Entwicklung verdeutlicht, dass der Bedarf an bestimmten Kompetenzen steigt, während in anderen Bereichen Arbeitsplätze aufgrund von Automatisierung oder konjunkturellen Schwankungen wegfallen.

Der Fachkräftemangel und die damit einhergehende große Nachfrage nach zahlreichen Fachkräften sorgen dafür, dass der Arbeitsmarkt angesichts der multiplen Krisen nicht stärker zusammenbricht. So die Aussage in einem Interview im HR JOURNAL im April. Wie stellt sich die Lage heute angesichts der „Dauerflaute in der deutschen Wirtschaft“ (Zitat Handelsblatt) dar? Perspektivisch wird uns der Fachkräftemangel ja erhalten bleiben.

Thomas Hartenfels: HR verliert keineswegs an Bedeutung
Envato/Rawpixel

Thomas Hartenfels: Auch wenn die Wirtschaftslage angespannt ist, übersteigt der Fachkräftebedarf immer noch den konjunkturbedingten Rückgang des Personalbedarfs. Der demografische Wandel und die steigende Nachfrage nach spezialisierten Fachkräften werden den Fachkräftemangel in den kommenden Jahren weiter verschärfen. Unternehmen, die auch in wirtschaftlich unsicheren Zeiten in Talententwicklung investieren, werden langfristig im Vorteil sein. Der Markt verlangt nach innovativen Strategien, um qualifiziertes Personal zu gewinnen und zu halten, was durch gezielte Maßnahmen wie Gehaltsbenchmarking, Coaching und Weiterbildungsprogramme unterstützt wird. Langfristig wird sich die Situation für Unternehmen verschärfen, die nicht proaktiv handeln.

Gibt es Branchen, die besonders stark von der wirtschaftlichen Lage betroffen sind? Wo sehen Sie aktuell den größten Bedarf an neuen Kräften?

Thomas Hartenfels: Die Chemie-, Automobil- und Maschinenbauindustrie sind besonders von der aktuellen wirtschaftlichen Lage betroffen, vor allem durch Teuerung der Produktions- und Arbeitskosten sowie rückläufigen Exporten. Zusätzlich sind einfache und repetitive Tätigkeiten durch den technologischen Wandel unter Druck geraten. Gleichzeitig gibt es aber in der IT, im Gesundheitswesen und im Bereich der erneuerbaren Energien einen weiterhin steigenden Bedarf an Fachkräften. Besonders gefragt sind Experten für Digitalisierung, Datenanalyse und nachhaltige Technologien.

Der Hays-Fachkräfte-Index spricht von einem „signifikanten Nachfragerückgang“, und das über alle Berufsgruppen hinweg. Wen hat es besonders getroffen, wer wird weiterhin gesucht?

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Thomas Hartenfels: Der sinkende Personalbedarf betrifft vor allem produzierende Industrien. Hier werden dafür Transformationsexperten stärker nachgefragt als zuvor. Gleichzeitig bleibt die Nachfrage nach Fachkräften in der IT, im Finanzbereich sowie in technischen Berufen in der Medizintechnik und im Gesundheitswesen hoch. Hier suchen Unternehmen nach spezialisierten Kräften, die an der innovativen Weiterentwicklung ihres Kerngeschäfts mitarbeiten.

Wie hat Robert Walters auf die veränderten Marktbedingungen reagiert? Haben Sie Anpassungen vorgenommen?

Thomas Hartenfels: Wir haben unser Beratungsangebot an die Bedürfnisse des Marktes angepasst und weiter diversifiziert. Unser Fokus liegt verstärkt auf der Vermittlung von Fachkräften in wachstumsstarken Sektoren. Zudem haben wir unsere Beratungsdienstleistungen erweitert, um Unternehmen dabei zu unterstützen, durch strategische Personalplanung und Upskilling Programme die Herausforderungen des Fachkräftemangels zu meistern.

In Zeiten der Gewinneinbrüche, gewinnt auch jede Einsparung an stärkerer Bedeutung. So unterstützen wir unsere Kunden mit Recruitment Process Outsourcing (RPO) bei der Auslagerung, dem Einkauf und der Steuerung von HR-Dienstleistungen. Wir nutzen selbst fortschrittliche Technologien und haben durch die Entwicklung von eigenen CRM- und KI-gestützten Tools unsere Effizienz und Produktivität steigern können.

Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie für Ihre Branche in der Zukunft?

Thomas Hartenfels: Eine der größten Herausforderungen besteht darin, den zunehmend komplexen Anforderungen des Arbeitsmarktes gerecht zu werden. Der Markt wird durchlässiger und internationaler, was insbesondere für global agierende Unternehmen neue Chancen eröffnet. Interessanterweise handelt es sich bei der aktuellen Problematik weitgehend um eine regional begrenzte Krise, da außereuropäische Regionen weniger stark von Standortnachteilen und Fachkräftemangel betroffen sind.

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Envato/insta_photos

Die fortschreitende Digitalisierung erleichtert die internationale Rekrutierung erheblich, was zusätzlichen Handlungsspielraum bietet. Gleichzeitig sehen wir großes Potenzial darin, Unternehmen bei der Schaffung inklusiver Arbeitsumgebungen zu unterstützen – beispielsweise durch Diversity Audits oder Inklusivitäts-Checks – um ein breiteres Spektrum an Fachkräften zu erreichen.

Darüber hinaus eröffnen sich Chancen, Vakanzen und Kandidaten auf eine kandidatenzentrierte und persönlichere Weise anzusprechen, was durch den verstärkten Einsatz von Marktkenntnissen untermauert wird. Auch vielbeschäftigte Zielgruppen profitieren von unserem umfangreichen Netzwerk und der damit verbundenen Zeitersparnis.

Die Jobangebote im HR-Bereich waren zuletzt drastisch gefallen. Laut dem Hays-Fachkräfte-Index traf es neben Recruitern auch HR Business Partner und HR Manager. Was passiert da gerade in den Unternehmen? 

Thomas Hartenfels: Der Rückgang der Jobangebote im HR-Bereich reflektiert die derzeitige Unsicherheit in vielen Unternehmen. Angesichts der wirtschaftlichen Lage konsolidieren zahlreiche Unternehmen ihre Personalabteilungen und setzen verstärkt auf Liquiditätsmanagement und Kostensenkungsinitiativen. Da HR-Abteilungen häufig als Kostenstellen betrachtet werden, sind sie bei Sparmaßnahmen oft als erstes betroffen. Zudem führt die Digitalisierung und Automatisierung zu einer Reduzierung von redundanten Aufgaben, während Outsourcing von HR-Funktionen, wie Payroll oder Recruiting, weiter an Bedeutung gewinnt.

Ein weiterer Faktor ist die strategische Neuausrichtung, insbesondere bei internationalen Unternehmen. Hierbei wird zunehmend auf eine Internationalisierung der HR-Funktionen gesetzt. Das bedeutet, dass z.B. HR Business Partner nicht mehr im eigenen Land, sondern in übergreifenden, länderübergreifenden Matrix-Funktionen agieren.

Verliert HR plötzlich an Bedeutung, nachdem die Zahl der Stellenangebote unlängst noch deutlich gestiegen war? Ein Rückgang im Bereich Recruiting war zu erwarten. Aber wie wird sich der Stellenabbau bei den anderen HR-Positionen in den Unternehmen auswirken?

Thomas Hartenfels: HR verliert keineswegs an Bedeutung. Vielmehr durchläuft der HR-Bereich eine Transformation, bei der sich die Rollen von rein administrativen Aufgaben hin zu strategischen Funktionen entwickeln. In wirtschaftlich unsicheren Zeiten verlagern sich die Prioritäten. Während operative HR-Rollen von Stellenabbau betroffen sein können, gewinnen strategische HR-Funktionen zunehmend an Bedeutung. Unternehmen erkennen, dass sie gerade jetzt auf eine zukunftsorientierte Personalstrategie setzen müssen, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben.

Welche Strategien sollten HR-Abteilungen in Unternehmen verfolgen, um sich in der aktuellen Lage erfolgreich zu positionieren?

Thomas Hartenfels: HR-Abteilungen sollten ihren Fokus auf strategische Themen wie Talententwicklung, Employer Branding und die Digitalisierung von HR-Prozessen richten. Gleichzeitig wird es immer wichtiger, das Know-how im Bereich Outsourcing und Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen zu vertiefen, um das HR-Profil zu schärfen. Die Fähigkeit, agile Methoden einzuführen und Change-Management-Prozesse aktiv zu gestalten, wird ebenso entscheidend.

Eine enge Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung ist wichtig, um die Unternehmensziele mit einer zukunftsorientierten Personalstrategie zu verknüpfen und die Belegschaft flexibel und anpassungsfähig zu gestalten. Darüber hinaus sollten HR-Abteilungen verstärkt auf Mitarbeitererfahrung und die Steigerung des Engagements setzen, insbesondere durch gezielte Führungskräfteentwicklung und Coaching.

Was können Jobsuchende aus dem HR-Bereich tun, um attraktiver für neue Arbeitgeber zu werden?

Frau arbeitet am Laptop
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Thomas Hartenfels: Jobsuchende im HR-Bereich sollten gezielt ihre Kompetenzen in den Bereichen Digitalisierung, Datenanalyse und insbesondere People Analytics ausbauen. Darüber hinaus sind Kenntnisse in HR-Tech und Erfahrungen in Change-Management-Prozessen sowie der Entwicklung hybrider Arbeitsmodelle von wachsender Bedeutung. Strategisches Wissen und ein tiefes Verständnis für betriebswirtschaftliche Zusammenhänge werden relevanter, da HR-Fachkräfte künftig immer mehr gestalterische Aufgaben übernehmen müssen.

Besondere Aufmerksamkeit sollten HR-Profis auf die Entwicklung internationaler HR-Kompetenzen legen. Zudem sind fundierte Kenntnisse der rechtlichen Rahmenbedingungen, insbesondere in den Bereichen Compliance, Ethik und Arbeitsrecht, unerlässlich. Themen wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und die Entgelttransparenzrichtlinie gewinnen dabei beispielsweise an Relevanz. Ein kontinuierlich gepflegtes berufliches Netzwerk sowie die Bereitschaft zur stetigen Weiterbildung runden das Profil ab und erhöhen die Attraktivität von HR-Professionals für Unternehmen.

Ganz pragmatisch: Welche Aufgaben sollte HR in den Unternehmen jetzt vorrangig angehen?

Thomas Hartenfels: Zwei zentrale Trends stehen aktuell im Vordergrund: die Etablierung hybrider Arbeitsmodelle und das regelmäßig wiederkehrende Phänomen der Gig Economy. Letztere beschreibt eine Arbeitswelt, in der Unternehmen durch den schnellen Wechsel von Nachfragehochs und Auftragseinbrüchen vermehrt auf externe Auftragnehmer oder Freiberufler für kurzfristige, projektbasierte Aufgaben setzen, anstatt feste Mitarbeiter einzustellen. Diese Phasen wechseln sich regelmäßig ab, ähnlich wie zuletzt nach der Corona-Pandemie. Für HR bedeutet das, gezielt Netzwerke und Kontakte zu externen Dienstleistern aufzubauen, um flexibel auf den Bedarf zu reagieren, schnell passende Fachkräfte zu finden und geeignete Projekte zu identifizieren.

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HR sollte sich darüber hinaus vorrangig auf die strategische Personalplanung und die Verbesserung der Employee Experience konzentrieren. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Stärkung der Unternehmenskultur. Um den Herausforderungen des Fachkräftemangels zu begegnen, sollten Unternehmen gezielt Programme zur Mitarbeiterbindung und -entwicklung sowie Upskilling- und Reskilling-Initiativen priorisieren.

Darüber hinaus ist es essenziell, Mentoring und Coaching sowie Leadership-Development-Programme zu fördern. Technologische Fragestellungen müssen geklärt werden, um zukunftsorientierte HR-Strategien zu entwickeln.

Ein Blick nach vorne: Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung des Arbeitsmarktes in Deutschland?

Thomas Hartenfels: Wir werden weiterhin die Dualität von Stellenabbau und Fachkräftemangel auf dem deutschen Arbeitsmarkt erleben: auf der einen Seite wird der Fachkräftemangel in nahezu allen Spezialistenfunktionen und vor allem den Schlüsselbranchen wie IT, Gesundheit und Technik weiter zunehmen, während auf der anderen Seite konventionelle Industriejobs, vornehmlich im Produktionsumfeld, abgebaut werden.

Mögliche Reaktionen auf diese Entwicklung sollten sich an die bestehende Belegschaft richten. Hier sind beispielsweise Maßnahmen zur Förderung der betrieblichen Weiterbildung, des lebenslangen Lernens und weiterer Mitarbeiterbindungsprogramme zu nennen. Es könnten immer noch deutlich bessere Voraussetzungen für internationale Kandidaten auf Unternehmensseite geschaffen werden. Gezielte Programme zur Fachkräftemigration und zur Förderung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Unternehmen wären ebenfalls ratsam zur Zukunftssicherung.

Das Gespräch führte Helge Weinberg, Herausgeber HR JOURNAL.

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Thomas Hartenfels ist Senior Director bei Robert Walters. Seit Mai 2016 ist er Director des Düsseldorfer Büros. Inzwischen verantwortet er als Senior Director South ebenfalls das Frankfurter Büro. In dieser Funktion leitet und koordiniert er die Teams Accounting & Finance, Sales & Marketing, Interim Management sowie IT. Diese unterstützen Kundenunternehmen und Kandidaten im bevölkerungsreichsten Bundesland Deutschlands bei Stellenbesetzung und Karriereentwicklung.

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