Altersdiversität im Unternehmen kann helfen, bessere Leistungen zu erbringen. Von Rebecca Taylor-Clarke, Head of People bei Recruitee, erfahren Sie mehr.
Je älter, desto höheres Gehalt, desto größere Verantwortung und desto mehr Anerkennung? Fertig studiert, top Noten und direkt einen erstklassigen Job in der Tasche? So einfach ist es nicht. Bewerbende sehen sich in Bewerbungsprozessen oftmals altersdiskriminierenden Hürden ausgesetzt, auch wenn Unternehmen versuchen, zunehmend gleichberechtigt und divers zu agieren. Diese unbewussten Vorurteile (Unconscious Bias) zu überwinden, erweist sich für viele Unternehmen als große Herausforderung.
Altersdiskriminierung: Organisationen schöpfen nicht das volle Potenzial von Talenten aus
Das Talentmanagement ist in vielen Unternehmen auf die Generationen X und Y ausgerichtet, also auf die derzeit größte Altersgruppe und die jüngere Nachfolgegeneration. Jedoch wird bei der Konzentration auf bestimmte Altersgruppen ein wichtiges Erfolgspotenzial systematisch unterschätzt. Auch, wenn Altersdiskriminierung medial nicht so häufig aufgegriffen wird, ist diese Form der Diskriminierung weit verbreitet: Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes meldet, dass es in rund 15 Prozent ihrer Beratungsgespräche um Altersdiskriminierung geht. Verschiedene Studien zeigen zudem, dass Altersdiskriminierung nach der Benachteiligung aufgrund des Geschlechts die häufigste Form der Diskriminierung im Arbeitsleben ist. Das gilt sowohl für als “zu junge” als auch “zu alte” Personen.
Da heutzutage mehr Menschen aus dem Arbeitsmarkt austreten, als es neue Nachwuchskräfte gibt, besteht ein Fachkräftemangel, der sich in den nächsten Jahren noch ausweiten wird. Die Corona-Krise hat den Kampf um Nachwuchskräfte weiter befeuert. Altersdiskriminierung führt dazu, dass Organisationen nicht das volle Potenzial von Talenten ausschöpfen. Daher ist meine Hypothese, dass wir dem Fachkräftemangel auch durch einen altersinklusiveren Arbeitsmarkt begegnen können.
Diversität kommunizieren und leben
Der Wettbewerb um Fachkräfte wird immer härter und Bewerbende legen immer mehr Wert auf eine aussagekräftige Marke ihres zukünftigen Arbeitgebers. Unternehmen müssen sich deshalb umso mehr mit ihrer Arbeitgebermarke (Employer Branding) auseinandersetzen. Gegenwärtig gibt es ein Überangebot von Unternehmen. Wo es früher viel mehr Bewerbende gab, die sich ihren Platz auf dem Arbeitsmarkt erkämpfen mussten, sind es heute die Unternehmen, die sich um neue Talente bemühen. Im Rahmen des Employer Branding kommt dem Diversity Management eine besondere Rolle zu.
Um Früchte zu tragen, muss Diversität kommuniziert und gelebt werden. Unumgänglich ist eine ausführliche Analyse der Ist-Situation im Unternehmen. In Workshops mit externen Diversity Expertinnen / Experten können Risikobereiche gemeinsam mit Mitarbeitenden identifiziert werden. Ein Feedback-Loop und regelmäßige Schulungen sind geeignete Methoden, bei der es zu einem ständigen Austausch kommt. Langfristig müssen intern Teams oder Rollen festgelegt werden, die verantwortlich für die Umsetzung konkreter Maßnahmen sind.
Eine weitere Möglichkeit, um ihre Mitarbeitenden bei der Entwicklung zu unterstützen, ist die Förderung von Mentoring-Beziehungen. Zuletzt startete zum Beispiel das Netzwerk LinkedIn im Mai 2021 eine Reverse Mentoring Kampagne mit sieben Führungskräften, die nach jungen Mentorinnen / Mentoren suchten. Der Grundgedanke dabei ist, dass selbst die erfahrensten Führungskräfte noch dazu lernen und von jungen Perspektiven profitieren können. Gleichzeitig bekommen die Mentorinnen / Mentoren Zugang zu den Netzwerken und Erfahrungen, die ihnen sonst noch verschlossen wären.
Ageism: Fotos können Diskriminierungsrisiko darstellen
Zeigen Sie durch Ihr Employer Branding, warum genau Sie ein attraktives Unternehmen sind und wie Sie Diversität umfassend sicherstellen. Die Karriereseite ist der erste Kontaktpunkt zwischen Bewerbenden und dem Unternehmen. Meist findet man hier nur aneinandergereihte Stellenausschreibungen mit unpersönlichen Inhalten sowie abgedroschenen Floskeln, ohne einen Blick hinter die Kulissen der Arbeitgebenden werfen zu können.
Starten Sie ein Interview oder eine Videoreihe, um Ihre vielfältige Belegschaft ins Rampenlicht zu rücken, und lassen Sie Interessierte erfahren, wer die Menschen sind, die hinter dem Unternehmen stecken. Hier ist insbesondere die richtige Bildauswahl wichtig. Denn auch mit Fotos kann in Stellenanzeigen diskriminiert werden. Knapp 19 Prozent der Stellenausschreibungen mit einem Foto stellen nur jüngere Personen dar und können daher ein Diskriminierungsrisiko für ältere Bewerbende darstellen.
Recruiting spielt eine Schlüsselstelle beim Aufbau von mehr Diversität
Ein erster Schritt kann für HR-Verantwortliche darin liegen, sich die Frage zu stellen: Welche Schritte unseres Recruitings sind potenziell diskriminierend? Wo könnte unterbewusste Voreingenommenheit greifen? Altersdiskriminierung beginnt bereits bei der Stellenausschreibung. Diskriminierungsfreie Stellenausschreibungen können die Vielfalt in einem Unternehmen fördern und es erleichtern, Fachkräfte zu gewinnen. Der Teufel steckt bei der Formulierung von Stellenausschreibungen häufig im Detail. Ein Beispiel: Für eine Senior-Position ergibt es durchaus Sinn, etwa eine „mindestens dreijährige Berufserfahrung“ in Jobanzeigen zu fordern. Allerdings schließt eine solche Formulierung junge Berufsanfängerinnen / Berufsanfänger von vornherein aus.
Die Folge: Potenzielle Talente werden abgeschreckt und damit das Matching-Potenzial, möglichst geeignete Bewerbende zu finden, eingeschränkt. In jeder fünften diskriminierenden Stellenanzeige wurde auf ein spezielles Alter angespielt, hier wurden Bewerbende geduzt, es wurde eine „junge und dynamische Person“ gesucht oder das Unternehmen stellte sich selbst als jung dar („Junges Team sucht“). Achten Sie daher auch auf die Sprache, die Sie beim Recruiting verwenden. Menschen setzen „jung“ manchmal mit „agil“ und „alt“ mit „traditionell“ gleich, was nicht nur falsch ist, sondern auch rechtliche Schwierigkeiten mit sich bringen kann.
Vom klassischen Bewerbungsgespräch lösen
Statt von verpflichtenden Qualifikationen zu schreiben, sollte darauf hingewiesen werden, dass äquivalente Qualifikationen ebenfalls akzeptiert werden. Eine Alternative ist, die Bewerbungsunterlagen zu anonymisieren, indem das Alter vor der Sichtung und Beurteilung unkenntlich gemacht werden. Dies erleichtert Recruiterinnen / Recruiter eine ausschließlich auf Qualifikationen und Erfahrungen basierende Beurteilung.
Damit das altersneutrale Verfahren eine mögliche unbewusste Selektierung nicht in einen späteren Abschnitt des Bewerbungsverfahrens verlagert wird, sollten Recruiterinnen / Recruiter sich vom klassischen Bewerbungsgespräch lösen. Ein erstes Gespräch per Telefon eliminiert bereits viele Faktoren, die in der Altersdiskriminierung eine Rolle spielen können. Darüber hinaus helfen Case Studies im Bewerbungsverfahren Personalerinnen / Personaler dabei, eine ausschließlich auf Qualifikationen und Leistung basierende Beurteilung zu treffen.
Wie bei anderen Arten von Vielfalt kann Altersdiversität im Unternehmen in vielerlei Hinsicht helfen, bessere Leistungen zu erbringen. Die Produktivität sowohl älterer als auch jüngerer Arbeitnehmende in Unternehmen ist in altersdurchmischten Teams höher und senkt die Mitarbeitendenfluktuation. Die Forschung zeigt deutlich, dass altersdiverse Teams von einer Bandbreite an unterschiedlichen Perspektiven, Netzwerken, Kompetenzen sowie Wissen profitieren.
Rebecca Taylor-Clarke ist Head of People bei Tellent. Mit vielen Jahren Erfahrung im Recruiting und Bewerbermanagement wird sie von ihrer Leidenschaft angetrieben, Menschen und interessante Möglichkeiten zusammenzubringen, großartige Teams aufzubauen und inklusive Arbeitsplätze zu schaffen, die Freude bringen.