Die Pandemie wird die Art der Mitarbeitergewinnung verändern. Philipp Riedel, CEO Avantgarde Experts, erklärt detailliert, wie HR jetzt vorgehen kann.
Die anhaltende Corona-Pandemie hat starke Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt hervorgerufen. Dies hat bei vielen Unternehmen im vergangenen Jahr zunächst zu einem Einstellungsstopp geführt und der Bedarf nach neuem Personal hat für viele Firmen bis zum heutigen Tag weniger Priorität im Tagesgeschäft. Dennoch zeigt sich, dass Corona die Art der Mitarbeitergewinnung langfristig verändern wird. Spätestens zum jetzigen Zeitpunkt muss ein Umdenken in den HR-Abteilungen erfolgen. Denn Spezialisten, gerade für Digitalisierung und IT-Prozesse, sind mehr denn je gefragt.
Personalverantwortliche müssen jetzt die Gunst der Stunde nutzen und in Mangelberufen aggressiv ins Recruiting einsteigen. Auch wenn das Thema Personalgewinnung momentan nicht ganz oben auf Ihrer Agenda steht, sollten Sie jetzt schon die Weichen stellen. Da sich Personalabteilungen deutschlandweit mit diesen Veränderungen früher oder später auseinandersetzen werden müssen, um langfristig Talente zu gewinnen.
Recruiting-Prozess analysieren
Hierfür muss zunächst der gesamte aktuelle Recruiting-Prozess analysiert werden:
- Wie sieht die Candidate Journey in unserem Unternehmen aus?
- Wo sind meine Points of Contact mit potentiellen Kandidaten?
- Welche Kommunikationskanäle werden bespielt und inwieweit tragen diese zur Gewinnung neuer Mitarbeiter bei?
- Welche Recruiting-Tools kommen zum Einsatz und wie effizient sind diese?
Wichtig ist es bei dieser Analyse zu beachten, dass die Candidate Journey nicht erst beim Klick auf eine Stellenanzeige beginnt. Das Gewinnen von Talenten beinhaltet auch die gesamte externe Kommunikation mit Bewerbern. Folglich gilt es, unter anderem den Unternehmensauftritt in den sozialen Medien genau unter die Lupe zu nehmen. Eine gelungene Kommunikation der Werte Ihrer Firma kann den entscheidende Ausschlag geben, warum in einem nächsten Schritt sich Talente genauer mit Ihrem Unternehmen und Stellenangebot auseinandersetzen und den Wunsch verspüren, sich bei Ihnen zu bewerben.
Candidate Journey, Recruiting-Prozesse und Kommunikation anpassen
Nach der umfassenden IST-Analyse erfolgt in einem nächsten Schritt die zielgerichtete Anpassung beziehungsweise Neuausrichtung der Candidate Journey, sowie der damit einhergehenden Recruiting-Prozesse und Kommunikationsmaßnahmen. Hierbei kann ein Fokus auf die folgenden drei essentiellen Kernaspekte eines erfolgreichen Recruitings helfen:
1. Vorsprung durch Digitalität
Das Thema Digitalisierung spielt nicht erst seit Corona eine wichtige Rolle im Recruiting. Doch hat Corona diese Entwicklung stark beschleunigt und Unternehmen oftmals auch schmerzhaft ihre jeweiligen Defizite aufgezeigt. Obwohl die Digitalisierung für viele Firmen spätestens jetzt die vermeintliche Antwort auf alle Probleme und Herausforderungen im Recruiting darstellt, ist sie nur eine Etappe zu dem viel bedeutenderen Ziel: die Digitalität des eigenen Unternehmens. Die Digitalität ist die Weiterentwicklung der Digitalisierung, die richtige Balance zwischen digitalen und analogen Prozessen.
Selbstverständlich ist die Digitalisierung bei einer Vielzahl von Abläufen im Recruiting sinnvoll und verbessert beziehungsweise vereinfacht den Recruiting-Prozess, doch sollte Digitalisierung nie als Mittel zum Zweck gesehen werden. Vielmehr sollte sie dort zum Einsatz kommen, wo sie sinnvoll ist, aber in einem gesunden Maß. Es geht um eine Art grundsätzliche Haltung, die auch dem Analogen noch Raum lässt. In Zeiten von Social Distancing nutzen zahlreiche Firmen Video-Bewerbungen und Online-Assessment-Center als neue Recruiting-Tools. Diese Instrumente zur Mitarbeitergewinnung machen durchaus Sinn und können das Recruiting vereinfachen und effizienter gestalten.
Dennoch gilt es immer zu erkennen, dass Digitalisierung nur einen Baustein darstellt: einen Baustein des Recruitings, der nur in Verbindung mit analogen Formen der Kommunikation wirklich funktioniert. Gerade bei der Auswahl neuer Mitarbeiter bedarf es weiterhin menschlicher Fähigkeiten, einem Gespür für Soft Skills und dem wirklichen Team Fit.
Stellen Sie sich also nicht nur die Frage, wie möglichst alle Teile einer gelungenen Candidate Journey digitalisiert werden können. Beschäftigen Sie sich auch mit folgenden wichtigen Fragen:
- Welche Schritte und Komponenten unseres Recruiting-Prozesses profitieren weniger von einer Digitalisierung?
- Wo ist ein Einsatz von digitalen Tools tatsächlich sinnvoll?
- Welche digitalen Recruiting-Tools und Maßnahmen sind zwar Corona-bedingt aktuell zielführend, sollten jedoch nach dem Ende der Pandemie einem genaueren Nutzen-Check unterzogen werden?
- Wie gelingt uns eine gute, überzeugende analoge Kommunikation?
2. Vorsprung durch Individualität
Die zweite wichtige Komponente ist der Aspekt der Individualität. Eine gelungene Candidate Experience besteht darin möglichst ab der ersten Kontaktaufnahme jedem Bewerber das Gefühl zu vermitteln, dass er beziehungsweise sie nicht einer/eine von vielen ist, sondern einen besonderen Stellenwert besitzt. Hierfür müssen alle Berührungspunkte von Bewerbern und Ihrem Unternehmen genau analysiert werden unter dem Gesichtspunkt, wo bereits eine individuelle Ansprache erfolgt und bei welchem Recruiting-Schritt noch Optimierungsbedarf herrscht.
Natürlich eignet sich die direkte Bewerberansprache über Plattformen, wie XING und LinkedIn am besten, um sofort auf einer persönlichen Ebene mit dem potentiellen neuen Mitarbeiter ins Gespräch zu kommen. Jedoch neigen hier viele Recruiter weiterhin dazu, Standardfloskeln zu verwenden. Dies sollte aber unter allen Umständen vermieden werden, da Standardansprachen keine Wertschätzung für die andere Person vermitteln und dazu führen, dass der positive Effekt der direkten proaktiven Kontaktaufnahme sofort wieder verpufft.
Stellen Sie sich für eine überzeugende, individuelle Kandidatenansprache folgende Fragen:
- Wie gelingt es meinem Unternehmen, eine richtige Verbindung und Nähe zum einzelnen Bewerber, insbesondere in meinen digitalen Tools und trotz räumlicher Distanz, aufzubauen?
- Ab welcher Phase im Recruiting-Prozess erhält der Bewerber einen persönlichen Ansprechpartner im Unternehmen für den direkten weiteren Austausch? Könnte bereits in einer vorangehenden Phase eine Individualisierung integriert werden?
- Zu welchem Zeitpunkt wird der Bewerber das erste Mal mit Namen direkt angeschrieben/angesprochen und auf seinen Werdegang individuell eingegangen? Nicht außer Acht gelassen werden sollten, neben den beruflichen Stationen, auch das Eingehen auf die persönlichen Interessen und Hobbies. Dies signalisiert ein Interesse am Menschen als Ganzes, nicht nur den beruflichen Fähigkeiten, die der Bewerber gewinnbringend für Ihre Firma einsetzen kann.
3. Vorsprung durch Authentizität
Doch weder Digitalität noch Individualität führen zu einem langfristigen Erfolg in der Personalgewinnung, wenn Ihr Unternehmen nicht dazu bereit ist, wahre Authentizität in der Außendarstellung zu leben. Spätestens nachdem Sie einen Mitarbeiter neu angestellt haben, wird er rasch feststellen, inwieweit Realität und Darstellung tatsächlich miteinander übereinstimmen. Wenn sich hier deutliche Diskrepanzen zeigen, wird er das Unternehmen auch schnell wieder verlassen.
Letztendlich ist der entscheidende Punkt, wie man Talente findet, begeistert und langfristig hält. Eine Firma, die weiß, was ihre Stärken sind, insbesondere welche Werte sie lebt, aber auch ihre Schwächen, zum Beispiel ein räumlich wenig attraktiver Standort, kennt und selbstbewusst damit umgeht, wird am Ende über das beste Recruiting-Tool verfügen: Mund-zu-Mund-Propaganda.
Kein Imagefilm der Welt, keine Hochglanzbroschüre, keine noch so aufregende digitale Candidate Experience wird den Wert von Weiterempfehlungen ersetzen können. Einige Unternehmen machen sich dies auch schon zu Nutze und arbeiten mit sogenannten Corporate Influencern, die dann als Mitarbeiter der Firma einen Einblick in ihren tatsächlichen beruflichen Alltag geben. Jedoch ist hierbei Vorsicht geboten, da diese Form der Mitarbeitergewinnung auf einem schmalen Grat zwischen einem unverfälschten Blick hinter die Kulissen und einer zu gewollten PR-Aktion balanciert.
Wichtiger ist es, auf Freiwilligkeit bei der Weiterempfehlung zu setzen. Streben Sie stattdessen als oberstes Ziel an, die Mitarbeiterzufriedenheit kontinuierlich zu steigern und die Profilierung der eigenen Arbeitgebermarke zu verbessern. Hierbei können folgende Fragen wichtige Impulse geben:
- Was macht uns als Unternehmen aus?
- Welche Werte verkörpern wir und wie können wir diese nach Außen zeigen?
- Was nennen unsere Mitarbeiter als Gründe für ihre Anstellung bei unserer Firma und mit welchen Maßnahmen kann ich ihre Arbeitszufriedenheit möglichst langfristig erhöhen?
Philipp Riedel ist CEO der Personalberatung AVANTGARDE Experts. Das Unternehmen vermittelt Fach- und Führungskräfte aus den wichtigsten Unternehmensbereichen und verfügt über Standorte in München, Hamburg, Köln, Stuttgart und Dubai. Zu den über 1.000 Kunden zählen nationale und internationale Markenkonzerne, mittelständische Betriebe sowie Agenturen und Startups.