Noch immer wird eine Schwangerschaft im Job als Problem betrachtet – dabei ist sie eine Bereicherung. Schwangere Mitarbeiterinnen entwickeln wertvolle Fähigkeiten wie Resilienz, Prioritätensetzung und Flexibilität, von denen auch Unternehmen profitieren. Sandra Richter, Personalvorständin bei der Hansgrohe Group, plädiert dafür, negative Sichtweisen abzubauen und werdende Eltern aktiv zu unterstützen – und langfristig davon zu profitieren. Ein Plädoyer für einen Perspektivwechsel im Umgang mit werdenden Eltern.
Wie können Arbeitgebende von dem Gedanken wegkommen, dass die Entscheidung, ein Kind zu bekommen, „bestraft“ werden müsste? Denn das ist die Erfahrung, die viele werdende Eltern machen, insbesondere Mütter. Aus unternehmerischer Sicht ist eine Schwangerschaft im Job mit Aufwand und Belastung verbunden: Das reicht vom Kündigungsschutz über eine besondere Fürsorgepflicht und ein etwaiges Beschäftigungsverbot bei gesundheitlichen Problemen bis hin zu der Frage, wie denn der mehrmonatige „Ausfall“ nach der Geburt überbrückt werden könne. Gerade für mittelständische Unternehmen ist das eine Herausforderung, weil die Personaldecke dünn und befristete Stellen nur schwer zu besetzen sind, vor allem in hochqualifizierten Bereichen.
Diese Rahmenbedingungen sorgen häufig für eine negative Sichtweise auf ein eigentlich sehr schönes Ereignis: Eine Mitarbeiterin schenkt Leben und entwickelt sich persönlich weiter. Denn das tut sie. Sie wird sich in den nächsten Monaten diverse Skills aneignen, die sie nicht nur als Mutter einsetzen kann: Resilienz, Empathie, Flexibilität, Priorisierung, Entscheidungskraft, Multitasking und letztendlich eine hohe physische und mentale Belastbarkeit.
Schwangerschaft im Job: Gratulieren, statt Sorgen zu schüren
Es ginge aber auch anders – zum Beispiel erst einmal zu gratulieren und mitzufreuen und dann in den von Empathie geprägten konstruktiven Dialog gehen: Welche Erwartungen und Bedürfnisse hat die Mitarbeitende? Welche das Unternehmen? Dies ist auch schon der richtige Zeitpunkt zu zeigen, dass die Rückkehr nicht nur erwünscht, sondern mit offenen Armen gefeiert werden wird. Es ist der Augenblick für ein klares „Ja! Wir finden dich gut, wir möchten auf keinen Fall auf dich verzichten!“
Die Perspektive wechseln: So gelingt die Planung der Elternzeit

Dann kann es ins Detail gehen: Wie lässt sich die Position zwischenbesetzen, muss es eine befristete externe Lösung geben oder lässt sich vielleicht ein Tandem bilden mit einer internen Nachwuchskraft? Wie kann dies möglichst stressfrei passieren? Denn auch wenn die Schwangere laut Gesetz einen Anspruch auf Rückkehr in einer gleichwertigen Position hat, steht sie immer vor der Ungewissheit, ob genau „ihr“ Arbeitsplatz während ihrer Abwesenheit langfristig nachbesetzt wird. Dazu die Angst, dass womöglich ausgerechnet die größte Konkurrenz den Job übernimmt und damit alles, was sie sich zuvor aufgebaut hat.
Als direkte Führungskraft, die mit der freudigen Nachricht einer Schwangerschaft im Job „konfrontiert“ wird, empfiehlt es sich, die Perspektive zu wechseln. Sich in die Situation der werdenden Mutter hineinzudenken. Denn auch, wenn sie sich auf ihre neue private Rolle freut, fällt ihr der Abschied von ihrem Job, ihrem Berufsalltag, ihrem Team und ihren Kunden vielleicht schwer. Selbst wenn er nur auf Zeit ist. Es entsteht eine Art FOMO (Fear of missing out), die Angst, interne oder Branchen-News zu verpassen, dieses Jahr nicht an der wichtigen Messe teilnehmen zu können, das größte Projekt der Karriere an jemand anderen übergeben zu müssen. Das tut manchmal weh. Und da gilt es, sensibel zu begleiten.
Warum Offenheit und Flexibilität nach der Geburt entscheidend sind

Führungskräfte und HR sind gut beraten, bei der Planung der Elternzeitphasen möglichst neutral zu sein und keinen Druck auszuüben – nicht jede Mutter möchte oder kann „schnell“ wieder an den Arbeitsplatz. Andere wiederum möchten so schnell wie möglich zurück, um nahtlos daran anzuschließen, wo sie vor dem Mutterschutz aufgehört haben. Ganz wichtig dabei: Alles, was vor der Geburt besprochen wird, sollte zunächst als Common Sense festgehalten, aber rechtzeitig vor dem geplanten Ende der Elternzeit noch einmal im Dialog evaluiert werden. Jede Mutter weiß, dass die Zeitrechnung vor der Geburt eine andere ist als nach der Geburt. Weil alles anders sein kann. Diese Offenheit und Flexibilität von Unternehmensseite ist eine der größtmöglichen Hilfen für werdende Mütter.
Wissen teilen und mit anderen Eltern vernetzen

Und dann gibt es noch ganz praktische Hilfen: die Vermittlung von Know-how zum Thema „Schwangerschaft im Job „. Bei Hansgrohe haben wir dafür extra eine Broschüre für werdende Eltern aufgelegt. Mit Checklisten für alle wichtigen To Dos, Anträge und Entscheidungen vor der Geburt und nach der Geburt. Das geht weit über reine Arbeitgeberinformationen wie Urlaubsanspruch und die Anmeldefristen für die Elternzeit hinaus: Es gibt Tipps zur Beantragung von Kinder- und Elterngeld und den Umgang mit Versicherungen während der Elternzeit und unsere Klaus Grohe-Kita, die wir gemeinsam mit der Stadt Schiltach betreiben.
Unser Anspruch ist, die werdenden Eltern eben nicht abzudocken und sich selbst zu überlassen, sondern sie – wenn sie es möchten – immer teilhaben zu lassen. Deshalb dürfen sie während der Elternzeit ihren Laptop und ihr Smartphone behalten; sie können jederzeit in die Mitarbeiter-App gehen und so mit den Kolleginnen und Kollegen in Kontakt bleiben. Und auch das Schulungsprogramm steht ihnen offen. Darüber hinaus gibt es regelmäßig Netzwerktreffen für einen Wissens- und Erfahrungsaustausch unter den Hansgrohe-Eltern.
Schluss mit Vorurteilen: So überwinden Unternehmen ihren Unconscious Bias
Aus vielen sehr offenen Gesprächen mit unseren werden Eltern und meiner eigenen Erfahrung als arbeitende Mutter habe ich gelernt: Wir sollten uns bemühen, am eigenen Unconscious Bias zu arbeiten und Stigmata und Vorurteile wie „Teilzeitmütter bringen auch nur Teilleistungen“ oder „Vollzeitarbeitende Mütter sind Rabenmütter“ aktiv zu bekämpfen. Es hilft, sich auf solche Gespräche intensiv vorzubereiten, um der werdenden Mutter (oder dem werdenden Vater) größtmögliche Wertschätzung und Lösungsoffenheit entgegenzubringen. Das baut Vertrauen auf und intensiviert die Beziehung. Denn vor uns steht eine gute Mitarbeiterin, die wir auf keinen Fall verlieren möchten. Schon gar nicht an den Herd.
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Sandra Richter ist seit März 2023 Mitglied des Vorstands der Hansgrohe Group, wo sie die Ressorts Personal, Kommunikation und ESG leitet. Zuvor war sie in Führungspositionen bei CeramTec, Belden und Mahle tätig. Foto: Alina Eiberle