Welchen Mehrwert bietet KI im Recruiting? Wo liegen die Chancen, wo stößt KI an ihre Grenzen? Ein Überblick von Scott Blumsack, Chief Strategy Officer bei Monster Worldwide.
Passende Talente zu finden, ist für Unternehmen eine immer größere Herausforderung. Einerseits ist die wirtschaftliche Lage angespannt, andererseits formuliert die jüngste Generation der Arbeitnehmenden ihre hohe Erwartungshaltung an die Arbeitgebenden deutlich. Künstliche Intelligenz kann bei der Suche wertvolle Dienste leisten, kommt aber schnell an ihre Grenzen.
So sehr wie Künstliche Intelligenz die öffentliche Aufmerksamkeit im vergangenen Jahr vereinnahmt hat – in den HR-Abteilungen ist der Boom bis dato noch nicht angekommen. So zeigt eine Monster-Studie*: Nur etwa jede(r) Fünfte (17 Prozent) der befragten Recruiterinnen / Recruiter gibt an, dass der verstärkte Einsatz von KI Teil ihrer Recruiting-Strategie 2024 ist.
Für unseren Alltag verspricht KI nichts weniger als eine Revolution. Doch auch im Personalwesen kann sie eine Transformation anschieben. Um damit Schritt zu halten, muss man sich jedoch über deren Chancen und Grenzen bewusstwerden.
Der Mehrwert von KI für Recruiterinnen und Recruiter
Bei der Talentakquise spielt Zeit eine wichtige Rolle. Vakante Stellen sollen schnellstmöglich besetzt werden, die Ausschreibung der Stelle, sowie die Auswahl und das Kennenlernen von Bewerberinnen / Bewerbern kostet jedoch oft viel Zeit. Hier können KI-gestützte Tools helfen, indem sie Anzeigentexte algorithmusgetreu schreiben, sodass diese dort erscheinen, wo die gesuchten Talente sie auch sehen.
Zudem erlauben sie Recruiterinnen / Recruitern, den Auswahlprozess zu verschlanken, indem sie der künstlichen Intelligenz den Vorauswahlprozess der Bewerbenden überlassen. Sie können sich dann auf die Aufgaben konzentrieren, für die menschliche Intelligenz und Feingefühl nötig sind – so etwa persönliche Gespräche und die Beurteilung der Kandidatinnen / Kandidaten.
Der Mehrwert von KI für Bewerberinnen / Bewerber
Auch Bewerberinnen / Bewerber haben die Möglichkeit, Künstliche Intelligenz zu verwenden, um ihren Bewerbungsprozess zu optimieren. Zum einen gibt es als niedrigschwelliges Angebot mittlerweile unzählige – auch kostenfreie – Programme, die Texte auf Fehler prüfen. Diese können sie etwa für Lebensläufe und Anschreiben verwenden. Zum anderen können KI-Anwendungen dabei unterstützen, Bewerbungsunterlagen so zu optimieren, dass sie für den KI-gesteuerten Algorithmus auf Unternehmensseite positiv herausstechen.
Kommt es zum Vorstellungsgespräch, können KI-gestützte Tools bei der Vorbereitung helfen, zum Beispiel mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Fakten rund um ein Unternehmen und dessen Kultur. Das hilft den Bewerberinnen / Bewerbern dabei, im persönlichen Interview zu glänzen. Für die nahe Zukunft ist es zudem wahrscheinlich, dass spezifische KI-gestützte Anwendungen zur Vorbereitung auf Vorstellungsgespräche veröffentlicht werden.
Die Grenzen von KI im Personalwesen
Jede künstliche Intelligenz ist nur so gut, wie die Daten, die ihr zugrunde liegen. Egal, wie populär KI als Unterstützung in unserem Alltag schon ist, ihre Datengrundlage ist meistens nicht vollständig. So gibt ein zufällig aus dem Internet zusammengestellter Datensatz zum Beispiel eher die Realität der westlichen Welt wieder, weil von dieser dort mehr Daten kursieren.
Es entsteht ein Bias, der von der KI übernommen wird. Es ist deshalb wichtig, KI-Tools verantwortungsbewusst zu verwenden und ihre Ergebnisse immer wieder zu hinterfragen und zu prüfen. Das ist ein Grund, warum die menschliche Komponente in der Arbeit mit KI-Tools so wichtig ist.
Mindestens genauso wichtig ist die emotionale Verbindung bei der Talentakquise. Sind alle theoretischen Parameter abgesteckt, bedarf es einer menschlichen Einschätzung darüber, wie gut die Person hinter den Bewerbungsunterlagen wirklich ins Unternehmen passt. Zudem können die Recruiterinnen / Recruiter schon im Bewerbungsprozess eine Bindung zwischen den Talenten und ihrem zukünftigen Arbeitsumfeld erzeugen.
Die Chancen von KI im Personalwesen
Es wird klar: Künstliche Intelligenz kann Recruiterinnen / Recruitern maßgeblich in ihrer Arbeit unterstützen. Sie kann sie aber nicht ersetzen. Neben schlanken Prozessen lebt erfolgreiche Talentakquise auch von einem kollaborativem Charakter, Empathie und nuancierter Entscheidungsfindung.
Um den größten Nutzen aus neuen Technologien zu ziehen, ist eine konstante Auseinandersetzung mit ihnen wichtig. In diesem Fall ist es für Recruiterinnen / Recruiter unumgänglich, auf dem Laufenden zu bleiben. Denn die KI-Revolution betrifft beide Seiten des Bewerbungsprozesses: Jobsuchende und Talentsuchende. Die Einführung von KI verändert den Rekrutierungsprozess und macht es für alle Beteiligten unerlässlich, ihre Strategien und Praktiken entsprechend anzupassen.
Inwiefern neue technologische Entwicklungen akzeptiert werden, ist häufig ein Generationenthema. Digital Immigrants – Menschen, die ohne den Einfluss digitaler Medien aufgewachsen sind – stehen neuen Technologien in der Regel ablehnender gegenüber als Digital Natives – Menschen, die mit digitalen Technologien aufgewachsen sind und diese beherrschen. Und auch dieser Aspekt betrifft beide Seiten des Bewerbungsprozesses: Ergibt sich eine Lücke, zum Beispiel zwischen einem klassisch geschulten Personaler und einem Bewerbenden der Generation Z, kann der Bewerbungsprozess schon vorbei sein, bevor er richtig begonnen hat.
Dabei ist nicht außer Acht zu lassen, dass jedes Unternehmen individuell ist und so auch jeder Recruitingprozess andere Anforderungen mit sich bringt. Welche KI-Lösungen sinnvoll sind, muss jede HR-Abteilung für sich selbst abwägen und bei jeder neuen Weiterentwicklung wieder neu entscheiden. Dabei müssen sie vor einer Einführung immer prüfen, ob die Systeme für das Unternehmen überhaupt geeignet sind. Je nach Unternehmensgröße kann die Implementierung viel Zeit und Ressourcen in Anspruch nehmen. Gleichzeitig kann ein solcher technischer Vorsprung ein Unternehmen auch als zukunftsorientierten Arbeitgeber auf dem Jobmarkt positionieren. Eine schwierige, aber wichtige, Gratwanderung.
*Die Daten beruhen auf einer Umfrage des Marktforschungsunternehmens Dynata im Auftrag von Monster Worldwide, Inc. an der im November 2023 2617 Personen teilnahmen, die in der HR- oder Recruitingbranche arbeiten. 401 davon kamen aus Deutschland.
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Scott Blumsack ist Chief Strategy Officer bei Monster Worldwide, einem der führenden Online-Karriereportale. Scott kam 2017 nach der Übernahme von Monster durch Randstad, dem globalen Personaldienstleistungsunternehmen, zu Monster. Bei Monster ist Scott für die weltweite Unternehmensstrategie, die Analytik und das Marketing verantwortlich. Vor seiner Zeit bei Monster war Scott bei Oliver Wyman tätig.