Die Ergebnisse der Arbeitgeberstudie „#whatsnext – Gesund arbeiten in der hybriden Arbeitswelt“ zeichnen ein erschreckendes Bild: Psychische Belastungen, Überforderung, Burnout und Depressionen in der Belegschaft nehmen stetig zu. Woran liegt das und was können wir dagegen tun? Eine Einschätzung von Jan-Frederik Kolthoff von move UP.
In Deutschland verbringen Berufstätige in etwa ein Drittel ihres Lebens mit Arbeit. Wirft man einen Blick auf die gegenwärtige Arbeitswelt, zeigt sich, dass sie dabei tendenziell unzufriedener werden. Erschöpfung, chronische Müdigkeit, Burnout und Überforderung – viele Berufstätige in Deutschland kämpfen derzeit mit psychischen Belastungen. Laut einer Spiegel-Studie aus dem Jahr 2023 fühlt sich jede(r) Zweite erschöpft, jede(r) Fünfte sogar stark. Die Fehlzeiten aufgrund von psychischen Leiden erreichen immer wieder neue Höhepunkte und die „Great Resignation“, die stetig wachsende Kündigungswelle, droht, die Arbeitswelt zu überrollen.
Die Ergebnisse der BGM-Studie
Kein Wunder, dass Geschäftsführende, Gesundheitsverantwortliche und HR-Verantwortliche psychischen Belastungen wie Burnout, Überforderung und Depressionen zukünftig eine große oder zumindest eher große Bedeutung zumessen. Bis zum Jahr 2025 soll diese Bedeutung weiter ansteigen. Das ergibt sich aus der Arbeitgeberstudie „#whatsnext– Gesund arbeiten in der hybriden Arbeitswelt“ der Techniker Krankenkasse (TK) in Kooperation mit dem Institut für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG) und dem Personalmagazin (siehe dazu auch hier).
Neben der zukünftig enormen Relevanz von psychischer Gesundheit in Unternehmen zeigt „#whatsnext“ auch, dass in Bezug auf eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen nach § 5 ArbSchG (GB Psych) noch viel Luft nach oben ist: Gerade einmal die Hälfte der befragten Unternehmen setzt eine solche Beurteilung um.
Die großangelegte Studie verfolgt das Ziel, die Top-Gesundheitsthemen der Arbeitswelt zu identifizieren. Insgesamt beteiligten sich rund 1.100 Organisationen an der Befragung, was „#whatsnext“, welche bereits in Jahren 2017, 2020 und 2022 durchgeführt wurde, zu einer der größten BGM-Studien innerhalb Deutschlands macht. Dementsprechend vielaussagend sind ihre Ergebnisse.
Psychische Belastungen: Woher kommt der Anstieg?
Gründe hierfür können vielfältiger Natur sein. Beispielsweise ist die seit Anfang 2022 eingeführte elektronische Meldung der Krankschreibungen (eAU) zu berücksichtigen. Hierdurch erhalten Krankenkassen die Arbeitsunfähigkeitsbescheide direkt durch die Arztpraxen, ohne dass diese von den Versicherten eingereicht werden müssen. Dadurch tauchen auch Krankheitsfälle in den Statistiken auf, die sonst nicht erfasst würden.
Jedoch ist auch der generelle Anstieg an psychischen Leiden in Unternehmen nicht zu verkennen. Das zeigen die Ergebnisse zahlreicher Studien der letzten Jahre. Unter anderem Studien des Arbeitsreports, des Spiegels oder die Auswertungen des RKI, basierend auf Telefoninterviews aus dem Zeitraum 2021-2023, geben Hinweis auf diesen erschreckenden Trend.
Neben Stress am Arbeitsplatz durch Überforderung und Erschöpfung, enge Zeitvorgaben oder Leistungsdruck gehören Zukunftsängste, empfundene Sinnlosigkeit der Arbeit sowie mangelnde Wertschätzung und schlechtes Betriebsklima zu den am häufigsten genannten Ursachen.
Was muss sich ändern?
Laut einer aktuellen Xing-Studie sind frühzeitige Kündigungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt ein Problem – insbesondere in Anbetracht des (stetig steigenden) Fachkräftemangels, eine besorgniserregende Aussicht. Was können wir also tun?
1. Psychische Gefährdungsbeurteilung durchführen
Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen nach §5 ArbSchG wird laut der Ergebnisse von „#whatsnext“ gerade einmal von der Hälfte (51.5 Prozent) der befragten Organisationen durchgeführt. Damit hat sich dieser Anteil seit der Erhebung in 2020 kaum verändert. Jedoch ist die gesetzlich vorgeschriebene GB Psych ein entscheidendes Werkzeug im Kampf gegen lange Fehlzeiten, hohe Fluktuation und Unzufriedenheit am Arbeitsplatz. Richtig durchgeführt ermöglicht sie es, potenzielle Belastungsquellen zu identifizieren, ihre Auswirkungen zu bewerten und entsprechende Maßnahmen abzuleiten, um das Wohlbefinden und die Gesundheit der Belegschaft zu gewährleisten.
2. Ganzheitliches BGM einführen und umsetzen
Laut „#whatsnext“ haben lediglich 27 Prozent der teilnehmenden Organisationen ein ganzheitliches BGM etabliert. Hierbei handelt es sich um einen umfassenden Ansatz, der dem körperlichen Zustand weitere Aspekte wie die Psyche, das Sozialleben und auch Umweltkontexte, einschließt. Er verbindet unterschiedliche Anknüpfungspunkte miteinander, um psychische Belastungen bestmöglich zu identifizieren und negative Auswirkungen passgenau und individuell vorbeugen zu können.
Ein ganzheitlicher BGM-Ansatz bietet somit diverse Vorteile in Bezug auf Kosteneinsparungen, effektivere Umsetzung und Steuerung der Gesundheitsförderung. Zudem steigert er die Mitarbeitenden-Bindung und die Attraktivität als Arbeitgebender, was in Zeiten von Fachkräftemangel durchaus vorteilhaft ist.
3. Gesund Führen
Obwohl den Themen gesunde Führung, achtsame Führung oder Mindful Leadership im Rahmen von „#whatsnext“ großer Bedeutungszuwachs zugesprochen wurde, setzen gerade einmal 38.3 Prozent der teilnehmenden Organisationen entsprechende Maßnahmen um. Dabei ist gerade die Führungsetage eine wichtige Schnittstelle zwischen BGM/BGF, dem Management und den Beschäftigten.
Damit eine gesunde Unternehmenskultur frei von schlechter Stimmung, Stress und Angst wachsen kann, müssen Führungskräfte eng eingebunden werden. Sie sind es, die mithilfe von einem Umfeld voll von Wertschätzung, Verständnis und einem gesunden Umgang dazu beitragen, die psychische Gesundheit ihrer Angestellten positiv zu beeinflussen. Aus diesem Grund müssen mehr Maßnahmen im Kontext gesunder Führung angeboten werden.
4. Wichtigkeit von BGM kommunizieren
Die Wichtigkeit eines Gesundheitsmanagements innerhalb des Unternehmens zu erkennen und dies auch nach außen zu tragen, signalisiert den Angestellten und auch Bewerberinnen / Bewerber, dass ihre (psychische) Gesundheit im Unternehmen einen hohen Stellenwert hat. Um das zu zeigen, sollte das Unternehmen allenfalls genügend Budget für BGM/BGF bereitstellen. Umfassende BGM-Prozesse aus Bedarfsanalyse, zielgerichtete Maßnahmendurchführungen und Erfolgsmessung benötigen entsprechende Mittel. Unternehmen müssen hier mehr investieren und sich gegebenenfalls Unterstützung bei Kooperationspartner/-innen einholen. Weiterhin signalisiert eine enge Einbindung und regelmäßige Teilnahme der Führungsetage den hohen Stellenwert von BGM im Unternehmen.
Fazit
Aus den Studienergebnissen ergibt sich, dass eine der größten Herausforderungen für Unternehmen und Führungskräfte zukünftig die mentale Gesundheit der Mitarbeitenden sein wird. Um dem entgegenzuwirken und Berufstätige langzeitig sowie nachhaltig zu fördern und in Bezug auf ihre mentale sowie physische Gesundheit zu unterstützen, müssen Unternehmen ein ganzheitliches BGM umsetzen. Dazu zählt insbesondere, eine gesunde Führung zu fördern, die Wichtigkeit von BGM innerhalb des Unternehmens zu kommunizieren und regelmäßig eine GB Psych durchzuführen.
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Nach einem dualen Physiotherapiestudium und verschiedenen Stationen als Athletiktrainer und Physiotherapeut in der Bundesliga gründete Jan-Frederik Kolthoff die move UP Gesellschaft für Gesundheitsmanagement, eine der führenden 360° Dienstleistern für betriebliches Gesundheitsmanagement. Vor und während der move UP war Jan-Frederik Kolthoff an der Gründung verschiedener Start Ups und Kommunikationsagenturen beteiligt.