Wie HR im Weiterbildungsdschungel die passenden Programme findet? Judith Elsner, HECTOR School of Engineering and Management, empfiehlt die folgenden vier Schritte.
Globale Entwicklungen wie die Digitalisierung oder die Bekämpfung des menschengemachten Klimawandels verändern unser Leben und Arbeiten dauerhaft. Der technologische Fortschritt schreitet heute schneller voran und verlangt uns Menschen höhere Anpassungsleistungen ab als je zuvor. Klassische Berufsbilder verschwinden, während zahlreiche neue entstehen, vom Data Scientist über den Sustainability Engineer bis hin zum Feelgood Manager.
Doch auch innerhalb der existierenden Berufe ist die Geschwindigkeit gestiegen, mit der sich Anforderungen wandeln. Das betrifft sowohl die Tätigkeit selbst, wenn etwa innovative Sensortechnik ganz neue Anwendungen in der Industrie ermöglicht, als auch Arbeitstechniken und Werkzeuge, zum Beispiel in Form von digitalen Tools. Unter diesen Bedingungen ist die fortlaufende Weiterqualifizierung der Mitarbeitenden für Unternehmen wettbewerbsentscheidend.
Alle fünf Jahre sechs Monate weiterbilden
Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird die Bereitschaft, ein Leben lang dazuzulernen, zur zentralen Schlüsselkompetenz. Trendforscher Sven Gábor Jánszky und Bildungsexperte Lothar Abicht prognostizieren, es werde in naher Zukunft üblich sein, dass sich Mitarbeitende alle fünf bis zehn Jahre für ein halbes bis ganzes Jahr weiterbilden. Dies gelte nicht etwa nur für Berufszweige, die durch die Transformation wegfallen oder mit grundsätzlich neuen Technologien arbeiten müssen.
Die Herausforderung für Unternehmen besteht deshalb darin, tragfähige Konzepte und Strukturen für die neuen Formen der Weiterbildung zu etablieren. Dabei sind die Unternehmensziele genauso zu berücksichtigen wie die notwendigen Kompetenzen und Fähigkeiten der Mitarbeitenden. Im Zuge der demografischen Entwicklung in Deutschland und der wachsenden Bedeutung von IT-Kompetenzen in Unternehmen wandelt sich der Arbeitgeber- zu einem Arbeitnehmermarkt.
Unternehmenskultur schaffen, die Veränderungen als Chancen begreift
Bereits heute zeichnet sich ab, was in Zukunft noch stärker der Fall sein wird: Unternehmen müssen sich mit einem attraktiven Angebotsportfolio um Fach- und Führungskräfte bemühen – dabei kommt dem Employer Branding ein zentraler Stellenwert zu. Weiterhin gilt: Die Fluktuation bleibt nur dann gering, wenn Mitarbeitende sich mit ihrer Aufgabe und ihrem Arbeitgeber identifizieren können.
Dazu ist es wichtig, die fachliche und persönliche Weiterentwicklung jeder/s Mitarbeitenden gezielt zu unterstützen. Damit ist nicht nur der individuelle Aufstieg in verantwortungsvollere Positionen gemeint. In erster Linie geht es darum, eine Unternehmenskultur zu schaffen, die die zukünftigen Entwicklungen und Veränderungen mehr als Chancen begreift, weniger als notwendige Übel.
Qualifizierungskonzepte zu entwickeln sowie passende Inhalte und Formate zu identifizieren, rückt als strategische Aufgabe für die Personalentwicklung in den Fokus. Das Angebot an Seminaren, Schulungen und berufsbegleitenden Studiengängen ist heute schon riesig. Für den Begriff „Industrie 4.0“ etwa liefert die Suchmaschine des Deutschen Bildungsservers mehr als 10.000 Treffer. Um in diesem Weiterbildungsdschungel genau das Programm finden zu können, das zum Mitarbeitenden und zum Unternehmen passt, empfehlen sich die folgenden vier Schritte:
Schritt 1: Wissenslandkarte erstellen und weiße Felder ermitteln
Die Unternehmensleitung ist dafür verantwortlich, die (Technologie-)Themen zu identifizieren, die aktuell und in Zukunft für die Geschäftsentwicklung maßgeblich sind. Die HR-Abteilung sollte in diesen Prozess involviert sein, um entweder bestehende Kompetenzmatrizen weiterentwickeln zu können oder um Fach- und Führungskräfte in die strukturierte Analyse zur Kompetenzverteilung in den jeweiligen Unternehmensbereichen einzubinden. Auf diese Weise lassen sich weiße Felder, auf die sich die Weiterbildungsstrategie im Folgenden konzentrieren soll, identifizieren.
Das Top-Management einzubeziehen, ist dabei unverzichtbar. Nur so kann die strategische Unternehmensentwicklung berücksichtigt werden, die über die zukünftigen Know-how-Bedarfe entscheidet. Sieht diese zum Beispiel vor, dass das Unternehmen sich in den nächsten fünf Jahren aus einem Geschäftsfeld zurückzieht, lohnt es sich nicht, hier noch in Weiterbildung zu investieren.
Umgekehrt ist es sinnvoll, frühzeitig Expertise in Bereichen aufzubauen, die erst in den kommenden Jahren für das operative Geschäft relevant werden. Die aufgelisteten Kompetenzen gilt es hinsichtlich ihrer Dringlichkeit zu bewerten: Welches Know-how benötigt man sofort, welches innerhalb von zwei bzw. von fünf Jahren? Auch der Aufwand ist zu kalkulieren, am besten in Form einer Kosten-Nutzen-Analyse.
Denn Qualifikationen, deren Grundlagen bereits vorhanden sind, lassen sich schneller erschließen als ein völlig neues Kompetenzfeld. Diese Kriterien – Relevanz und Aufwand – helfen beim Priorisieren: Wissen und Skills, die sofort benötigt werden und die sich einfach erwerben lassen, stehen ganz oben auf der Liste.
Schritt 2: Die richtigen Mitarbeitenden identifizieren
Der Erfolg allen Lernens steht und fällt mit der Motivation. Erscheint ein/e Mitarbeiter / Mitarbeiterin aufgrund der Vorkenntnisse für eine bestimmte Weiterbildung prädestiniert, hat jedoch kein Interesse, sollte dies respektiert werden. Auf lange Sicht lohnt es sich, wenn man eine Person mit dem Thema betraut, die anfangs eventuell mehr Lernzeit investieren muss, dabei aber höchst motiviert ist. Personalverantwortliche und Führungskräfte sollten bei Vorbehalten immer genau nachfragen. Gerade bei einer umfangreichen Weiterbildung ist der Mitarbeitende vielleicht grundsätzlich begeistert, hat aber noch keine Vorstellung davon, wie sie sich mit der Arbeit vereinbaren lässt. Hier gilt es im Rahmen von Schritt 4 eine praktikable Lösung zu finden.
Ebenso wichtig wie die Frage nach dem Wollen ist die nach dem Können. Insbesondere wenn sich ein/e Mitarbeiter / Mitarbeiterin nicht nur fachlich weiterentwickelt, sondern auch Führungs- und Managementaufgaben übernehmen soll, ist im Vorfeld zu überprüfen, ob die erforderlichen Eigenschaften im Kern vorhanden sind. Das lässt sich beispielsweise mit einem Probeprojekt herausfinden. Dieses muss die Person keinesfalls perfekt meistern. Es geht lediglich darum, fundiert einzuschätzen, ob sie:er für eine Führungsaufgabe prinzipiell geeignet ist.
Schritt 3: Auswahl des passenden Formats und Verteilung der Ressourcen
Das Angebot an Formaten ist vielfältig. Sie unterscheiden sich in zahlreichen Punkten, wie etwa Zeitaufwand, Online oder Präsenz, Selbststudium oder Begleitung durch Dozierende, geforderte Leistungsnachweise, Praxisbezug und Kosten. Dabei gibt es auch diverse Mischformen, wie etwa Blended Learning-Kurse, die E-Learning-Einheiten und Online-Live-Sitzungen kombinieren. Erstere absolvieren die Teilnehmenden in Eigenregie, bei Letzteren lernen sie in einer Gruppe und angeleitet von einer Lehrperson.
Eine umfassende Weiterbildung, wie etwa ein berufsbegleitendes Master-Studium, ist sorgfältig zu planen. Hier empfiehlt sich eine klare zeitliche Trennung zwischen Arbeits- und Lernzeiten, zum Beispiel in Form von zweiwöchigen Kompakt-Modulen, während denen Kolleginnen / Kollegen den/die Mitarbeiter / Mitarbeiterin vertreten. Somit kann sich diese/r in den jeweiligen Zeiträumen voll und ganz auf die entsprechende Aufgabe konzentrieren. Sowohl die Arbeits- als auch die Lernziele lassen sich so effektiver erreichen, als wenn die Person etwa durch häufige, kurze Lerneinheiten permanent zwischen Arbeit und Weiterbildung abwechseln muss.
Grundsätzlich sollten Unternehmen von ihrem Ziel ausgehen und den nötigen Umfang der Weiterbildung realistisch einschätzen. Insbesondere, wenn es um disruptive Marktentwicklungen geht, braucht es umfassendes Know-how, um das Unternehmen adäquat positionieren zu können.
Diese Kriterien helfen dabei, das passende Format und den richtigen Anbieter auszuwählen:
- Was sind die Eckdaten:
- Wann, wo und wie finden die Kurseinheiten statt?
- Welche Leistungen müssen Teilnehmende erbringen, um einen Qualifikationsnachweis zu erhalten?
- Wie hoch sind die Kosten einschließlich Fahrt- und Übernachtungskosten?
- Deckt die Weiterbildung alle nötigen Inhalte ab? In welcher Tiefe werden diese behandelt?
- Welche Voraussetzungen müssen die Teilnehmenden erfüllen und welche Vorkenntnisse mitbringen? Das Niveau sollte weder zu niedrig noch zu hoch sein.
- Ist das Verhältnis von theoretischen und praktischen Anteilen ausgewogen?
- Wie hoch ist der reale Arbeitsaufwand inklusive Vor- und Nachbereitung?
- Wie groß sind die Gruppen? Inwieweit werden die Lernenden individuell betreut?
- Welchen Hintergrund haben die Dozierenden: Kommen sie aus der Wissenschaft oder der Wirtschaft – oder sind durch mehrere Kursleitende sogar beide Perspektiven vertreten?
- Belegen Referenzen und Bewertungen die Qualität der Weiterbildung?
Darüber hinaus sind die internen Ressourcen so zu verteilen, dass der/die Mitarbeiter/in genügend Zeit zum Lernen erhält und die Aufgaben weiterhin erledigt werden. Sinnvolle Fragen sind etwa:
- Welche Verantwortlichkeiten lassen sich zeitweise delegieren und an wen?
- Gibt es (interne) Projekte, die man zurückstellen kann?
- Welche Zuständigkeiten lassen sich – bereits in Hinblick auf die neuen Aufgaben, welche die Person nach der Weiterbildung übernimmt – dauerhaft umverteilen?
Schritt 4: Das Know-how in die Praxis überführen und so den nachhaltigen Nutzen sichern
Für den Lernerfolg ist entscheidend, dass die Inhalte auch in die Praxis übertragen werden. Es wird in dem Zusammenhang von der sogenannten Vergessenskurve gesprochen. Danach vergisst der Mensch bereits nach sechs Tagen 75 Prozent des neu Gelernten, wenn es keine Anwendung findet. Um Gelerntes zu festigen, ist es wichtig, schon bei der Auswahl des Formats auf ein ausgewogenes Verhältnis von Theorie- und Praxisanteilen zu achten.
Ein kritischer Punkt ist jedoch das Ende der Weiterbildung. Hier ist besondere Wachsamkeit gefragt, um das Potenzial des erworbenen Know-hows tatsächlich in einen Nutzen für das Unternehmen zu verwandeln. Ein abschließendes Innovationsprojekt, zum Beispiel im Rahmen einer Master-Thesis, eignet sich sehr gut, um Erkenntnisse aus der Weiterbildung für Mitarbeitende und das Unternehmen sicherzustellen – das wichtigste Ziel und gleichzeitig die größte Herausforderung betrieblicher Weiterbildung.
Dr.-Ing. Judith Elsner, Geschäftsführerin der HECTOR School of Engineering and Management, die Technology Business School des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT).