Sie finden neue Rollen für ihr Unternehmen, begeben sich auf unbekanntes Terrain und meistern den Übergang vom „Ego-System“ zum Ökosystem. Axel Deniz, Director des Corporate Development & Innovation Teams von PwC Deutschland, über das Berufsbild der Ökosystem-Manager:innen, Herausforderungen und Perspektiven. Vor allem mangelndes Bewusstsein für Ökosystemstrategien und Bürokratie bremsen sie in den Unternehmen aus.
45 Prozent der CEOs weltweit glauben laut dem 27. Global CEO Survey von PwC, dass ihr Unternehmen in zehn Jahren nicht mehr überlebensfähig sein wird, wenn es das derzeitige Geschäftsmodell bzw. die aktuelle Unternehmensstrategie unverändert weiterverfolgt.
Während Unternehmen also traditionelle Geschäftsmodelle umgestalten müssen, prognostizieren Ökonominnen / Ökonomen, dass Business-Ökosysteme dabei eine dominante Rolle einnehmen werden: Durch die Zusammenarbeit über Branchengrenzen hinweg sollen Unternehmen Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden erfüllen und gleichzeitig Synergien schaffen.
Business-Ökosysteme
Business-Ökosysteme sind dynamische Netzwerke von Akteuren, die gemeinsam Werte schaffen und teilen, sowohl auf der Seite der Produzenten als auch auf der Seite der Konsumenten. Auf der Seite der Wertschöpfung arbeiten Ökosysteme kosteneffizient und flexibel durch stetig sinkende Transaktionskosten, indem sie die Zusammenarbeit mit Spezialistinnen / Spezialisten belohnen, anstatt sich auf unflexible traditionelle Lieferketten und Arbeitskräftepools zu verlassen.
Auf der Seite der Verbraucherinnen / Verbraucher schaffen Ökosysteme einen größeren Wert für die Kundinnen und Kunden, indem sie durch ein gebündeltes Angebot der einzelnen Ökosystemakteure eine integrierte Erfahrung schaffen. Ökosysteme integrieren Mitgestalterinnen / Mitgestalter bei der Erstellung von Angeboten und binden Kundinnen und Kunden durch einen höheren Nutzwert an sich. Für eigenständige Unternehmen wird es so immer schwieriger, mit Ökosystemen zu konkurrieren.
Ökosysteme ermöglichen Unternehmen den Zugang zu neuen Märkten, Ressourcen, Technologien und Innovationen. Dafür müssen diese ihre Märkte aber auf eine neue Weise betrachten. Ihr Fokus bewegt sich weg von einzelnen Produkten und Dienstleistungen hin zu thematischen Aktivitätsbereichen, die durch gemeinsame Fähigkeiten, Technologien und Daten miteinander verbunden sind.
Diese Lebensbereiche können etwa sein: Mobilität, Gesundheit, Erholung, Arbeit und Produktion, Infrastruktur, Konsum, Bildung, Unterhaltung oder Wohnen. Sie stellen eine ganzheitliche Darstellung des menschlichen Lebens in einer modernen Wirtschaft dar und gehen weit über die traditionellen produktbasierten Markt- und Branchendefinitionen hinaus.
Beispiel Lebensbereich Mobilität
Um nur ein Beispiel zu nennen: Der Lebensbereich Mobilität erstreckt sich nicht nur auf alle gegenwärtigen und neuen Formen des Transports zu Lande, zu Wasser, in der Luft und im Weltraum, sondern auch auf die Produktion, physische und digitale Infrastruktur sowie den stark wachsenden Bereich der Mobilitätsdienstleistungen.
Unterstützt durch künstliche Intelligenz (KI) entsteht eine neue Datenwelt, von der Suche über die Terminplanung bis hin zum Ticketing, Wetter- und Klimadiensten, Ride Hailing und Carsharing, Infrastrukturnutzung und Staus, bis hin zu ferngesteuerten oder selbstfahrenden Fahrzeugen und den Status und die Lieferung von Strom und alternativen Energien. Wie in vielen anderen Lebensbereichen spiegelt auch die Definition dieses Bereichs den Trend wider, dass mehrere Branchen, Technologien und Datenquellen zusammenwachsen.
Für Unternehmen, die in der Lage sind, Geschäftsmodelle in Ökosystemen zu entwickeln, steht ein enormer Wert zum Greifen nahe. Für einige scheint sich diese Strategie bereits auszuzahlen: Mit Blick auf die globale Marktkapitalisierung ist der Erfolg von sieben der zehn größten Unternehmen weltweit auf ein aktives Business-Ökosystem zurückzuführen.
Eine Studie von PwC und Strategy&, die die Unterscheidungsmerkmale der leistungsstärksten Unternehmen untersucht, stellt fest, dass Ökosysteme stark mit ihrem Erfolg verbunden sind. Diese Spitzenreiter sind mehr als doppelt so häufig in der Lage, mehr als 60 Prozent ihres Umsatzes mit Ökosystemen zu erzielen und erwarten, dass dieser Prozentsatz in Zukunft noch steigen wird. Mit anderen Worten: Sie erkennen das Potenzial von Ökosystemen zur Wertschöpfung und sind bereit, davon zu profitieren, indem sie sich explizit in diesen branchenübergreifenden Netzwerken positionieren.
Das Berufsbild der Ökosystem-Manager:innen – Aufgabe und Fähigkeiten
Das Managen dieser komplexen Ökosysteme hat in den vergangenen Jahren ein neues Berufsbild geprägt, welches vielseitige Aufgaben umfasst und generalistische Führungsfähigkeiten verlangt:
1. Analytische Fähigkeiten:
Was häufig vergessen wird, wenn über erfolgreiche Ökosystem-Unternehmen aus den USA oder China berichtet wird, ist, dass viele dieser Unternehmen auf Basis einer “Ecosystem-first”-Philosophie neu gegründet wurden. Für ein 150 Jahre altes Traditionsunternehmen des deutschen Mittelstands ist die Startposition Richtung Ökosysteme daher eine andere.
Gerade deshalb sind analytische Fähigkeiten für Ökosystem-Manager:innen wichtig, um Ökosystem-Potenziale zu erkennen. Sie müssen in der Lage sein, das Portfolio (Assets, Daten, Fähigkeiten) des Unternehmens nach Ökosystem-Fit zu bewerten, bestehende und neue Märkte zu analysieren und Win-win-Situationen zu identifizieren.
Dabei müssen Ökosystem-Unternehmen akzeptieren, dass es hierbei um Reisen durch unkartiertes Gebiet geht, bei denen die wertvollsten Ergebnisse möglicherweise nicht von Anfang an vorhersehbar waren. Ständige Anpassungen und die Fähigkeit zu lernen sind entscheidend. Denn die Praxis zeigt: Die besten Ökosysteme sind auf anfänglichen Misserfolgen aufgebaut worden. Agilität ist für Ökosystem-Manager:innen deshalb essenziell.
2. Strategische Fähigkeiten:
Auch wenn Ökosysteme eine Verwischung der Grenzen zwischen Unternehmen bedeuten, ist es für die teilnehmenden Unternehmen wichtig, Klarheit über ihre Rolle innerhalb des Ökosystems zu haben. Obwohl das Ökosystem durch die „Macht der Vielen“ an Reichweite und Effizienz gewinnt, müssen Unternehmen ihre aktuelle und zukünftige Position im Ökosystem verstehen. Dabei ist es die Aufgabe der Ökosystem-Manager:innen, die richtige Rolle zu finden und strategisch auszugestalten.
Darüber hinaus müssen Ökosystem-Manager:innen langfristig denken und visionär sein. Denn: Um Ökosysteme erfolgreich zu bespielen, müssen sich Unternehmen auf langfristige Investitionen vorbereiten und eine verzögerte Rentabilität akzeptieren. Das kann dem gängigen Quartals- oder Jahreszyklus zuwiderlaufen und häufig erfordern, mehrere CEOs nacheinander von diesem Thema zu überzeugen.
Denn Ökosysteme bedeuten kontinuierliches Veränderungsmanagement und nicht die Art von Transformation über Nacht, die manchmal von einigen strategischen Beratern versprochen wird.
3. Führungs- und Inspirationsfähigkeiten:
Traditionell ist die deutsche Wirtschaft sehr erfinderisch, was oft dazu führt, dass die Unternehmensidentität von Ingenieursdenken geprägt ist. Im schlechtesten Fall grassiert das “Not invented here”-Syndrom, was die Zusammenarbeit mit Externen nicht vorsieht. Wo sich die Strategie früher auf die Selbstoptimierung konzentrierte, geht es heute jedoch um die Optimierung des gesamten Ökosystems und die Integration von Partnern.
Statt ausschließlich eigene Produkte und Dienstleistungen anzubieten, verlagert sich die Wertschöpfung zu integrierten Lösungen für menschliche Bedürfnisse, die gemeinsam mit Partnern entwickelt werden. Ökosystem-Manager:innen müssen also eine neue Unternehmensidentität finden und vermitteln, um die Transition vom „Egosystem“ zum Ökosystem zu meistern.
Die Aufgabe der Ökosystem-Manager:innen ist es dabei auch, diese externen Partner zu begeistern, zu gewinnen und langfristig zu halten. Für funktionierende Ökosystem-Partnerschaften braucht es mehr als eine Kooperationsvereinbarung oder ein Joint-Venture-Vehikel: Unternehmen müssen verstehen, was für ihre Partner am wichtigsten ist, was sie motiviert und was zum Kern ihrer DNA gehört. Vor allem aber braucht es auch Vertrauen und die richtige Mentalität. Es ist hilfreich, objektive Leistungsmessungen durchzuführen, um jedem Akteur zu zeigen, dass alle nach bestem Wissen und Gewissen in das Ökosystem investieren.
Herausforderungen von Ökosystem-Manager:innen und Potenzial für die Zukunft
Obwohl die Rolle von Ökosystem-Manager:innen so erfolgskritisch für die Zukunft von Unternehmen scheint, gestaltet sich deren Arbeitsrealität derzeit schwer. Eine aktuelle Umfrage unter 130 Ökosystem-Manager:innen aus der DACH-Region zeigt, dass diese vor bedeutenden Herausforderungen stehen, die sie an der vollen Entfaltung ihrer Fähigkeiten hindern:
- Mangel an Verständnis und Bewusstsein für Ökosystem-Strategien innerhalb ihrer Unternehmen, insbesondere bei den Führungskräften
- Fehlen von dedizierten Teams und Ressourcen
- Bürokratische Hürden und komplexe Entscheidungsfindungsprozesse
Diese Erkenntnisse stellen ein potenzielles Risiko für unsere Wirtschaft dar: Wenn Ökosystem-Manager:innen ihre volle Leistungsfähigkeit nicht erreichen können, drohen die hiesigen Unternehmen in der Ökosystem-Ära der Zukunft abgehängt zu werden. Daher bleibt das Finden und Halten von Fachkräften in diesem Bereich auf lange Sicht erfolgskritisch. Die Empfehlungen, um die Kernkompetenz von Ökosystem-Manager:innen, einen nachhaltigen Wert für ihre Organisation zu erzielen, kurzfristig zu verbessern, sind daher:
- Eine engagierte Aus- und Weiterbildung auf allen Ebenen des Unternehmens, um eine solide Grundlage für ein erfolgreiches Ökosystem-Management zu schaffen.
- Allokation von deutlich mehr Ressourcen als heute auf das Management von Ökosystemen.
- Mehr Entscheidungsgewalt für Ökosystem-Manager:innen, um ihre Verantwortung in vollem Umfang und ohne Zeitverzug wahrnehmen zu können
Auf lange Sicht erscheint es weniger wahrscheinlich, dass sich eine neue Rolle auf dem C-Level entwickelt, wie etwa ein Chief Ecosystem Officer. Die Prognose ist eher, dass eine neue Generation von CEOs diese Aufgabe – unterstützt durch eine gute ausgestattete Stabsstelle – wahrnimmt und Ökosysteme eines Tages zum regulären Handwerkszeug in jedem Top-Management gehören.
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Axel Deniz ist Director des Corporate Development & Innovation Teams von PwC Deutschland. Er bringt über 20 Jahre Erfahrung im Bereich Corporate Strategy mit und blickt auf die Umsetzung von mehr als 50 digitalen Geschäftsmodellen durch Joint Ventures, (Corporate) Startups, Partnerschaften, Corporate Venture Capital und M&A-Transaktionen zurück. Zudem ist er Experte, Autor und Speaker für das Thema Business Ökosysteme. Foto: Kristoffer Schwetje