Viel esoterisches Tamtam, coole Utopien – Professor Ralf Lanwehr hat eine klare Meinung zu vielen der momentan beliebten New Work Methoden. Die empirische Evidenz würde andere Dinge empfehlen.
„New Work auf dem Prüfstand: Was funktioniert? Und was nicht?“ lautet der Titel einer Keynote von Ralf Lanwehr, Professor für Management an der FH Südwestfalen, auf der New Work Experience (NWX22). Es scheint so, dass vieles nicht so richtig funktioniert. Orientierungslosigkeit, Konflikte und Reibungsverluste sowie Instabilität sind potenzielle Risiken bei der Einführung momentan angesagter Methoden. Wie sollten Führungskräfte und HR vorgehen, um mit dem Fallout von New Work fertig zu werden? Hier kommen Antworten.
Die Beschreibung Ihrer Keynote auf der NWX22 spart nicht mit Kritik an der New Work-Welt. Dort stellen Sie die Frage, ob „hippe Methoden“ wie Agile Führung, Reinventing Organizations, Holacracy und Spiral Dynamics das halten, was sie versprechen. Begeisterung klingt anders. Was stört Sie an der neuen Arbeitswelt?
Ralf Lanwehr: Ups. Ja. Wir haben tatsächlich Gesprächsbedarf 😊 Die Arbeitswelt muss sich verändern. Ganz grundsätzlich sogar. Erstens konkurrieren deutsche Unternehmen weltweit über Innovation und Qualität. Zweitens erleben wir gewaltige Veränderungen und Transformationen von Werten, Technologien und Belegschaften. Drittens nimmt die Zahl der Disruptionen belegbar ebenso beständig wie dramatisch zu. Die Zeiten der brilliant-einsamen Geschäftsführung, die sämtliche Probleme im Griff hat, Lösungen lässig aus dem Ärmel schüttelt und nach unten durchreicht, sind vorbei. New Work bedeutet im Kern, die Menschen stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Genau das ist der Weg.
Aber die vermeintlichen Lösungen, die sie da oben nennen, sind leider keine. Klingt alles super, liest sich toll, ist durchgehend ne coole Utopie. Klappt nur nicht. Die empirische Evidenz empfiehlt schlicht andere Dinge als das, was von den Kanzeln der Keynotes gepredigt wird.
Was ist denn aus Ihrer Sicht das am meisten missverstandene Buzzword?
Ralf Lanwehr: Ich bin ja ein klassischer Fachidiot und befasse mich vornehmlich mit Führung & Transformation. Gerade im Bereich Führung gibt es leider sehr viele inhaltliche Geisterfahrer. Manchmal habe ich den Eindruck, dass es mehr angeblich funktionierende Führungsstile als Beratungen gibt. Oft klingt das total super und erstrebenswert und sinnvoll. Authentische Führung. Yeah! Gesundheitsorientierte Führung. Toll! Dienende Führung. Positive Führung. Ethische Führung. Woohoo! All diese vermeintlichen Buzzwords haben jedoch eines gemeinsam: sie erklären keine Teamleistung über die Wirkung von charismatisch-visionärer Führung hinaus. Das ist als Aussage natürlich nicht so shiny wie die Werbung in vielen Hochglanzbroschüren. Aber so isses.
Welche Risiken gibt es bei der Einführung von Maßnahmen aus dem Kontext von New Work?
Ralf Lanwehr: Wahnsinnig viele. Ich nenne mal drei exemplarische.
- Erstens Orientierungslosigkeit: Wenn wir Hierarchien reduzieren, aktiv zum Hinterfragen anregen und Macht beschränken, kann das zu Orientierungslosigkeit und mangelnder Koordination führen. Wer sagt denn nun, wo es lang geht? Wer hat das letzte Wort? Und: Wohin wollen wir eigentlich?
- Zweitens Konflikte: Mehr Heterogenität, mehr Mitsprache und mehr Offenheit erzeugen auch mehr kreative Spannungen. Manchmal kommt dabei etwas Tolles heraus, doch manchmal bekommen wir uns nur unproduktiv in die Haare. Fest steht: Mehr Reibung erzeugt mehr Hitze. Das müssen wir dringend im Vorfeld mitdenken.
- Drittens Instabilität. Wenn wir mehr Flexibilität ermöglichen, wird’s generell etwas wackeliger. Das liegt in der Natur der Sache. Stabil ist nur, dass sich alles immer zügiger verändert.
All das steht aber weder bei Laloux noch bei Spiral Dynamics. Die verkaufen uns so richtig old school ein im Kern ebenso hierarchisches wie naives System der Entwicklung in Richtung des gelobten Landes. Teal. Das ist eine Utopie. Eine tolle Utopie fraglos. Aber eine Utopie. Holacracy hat ganz andere Probleme, denn es ignoriert wahnsinnig fahrlässig situative Unterschiede. One size fits all? Wirklich? In 2022? Find ich abwegig. Und so weiter. Da ist halt viel esoterisches Tamtam dabei, welches den Wissensstand der psychologisch-betriebswirtschaftlichen Forschung fahrlässig ignoriert.
Auf der NWX22 werden Sie beschreiben, wie Nachteile und Risiken abgepuffert werden können. Da wollen wir nicht vorgreifen. Reden wir doch einmal über Ansätze und Methoden, die funktionieren. Was ist aus Ihrer Sicht empfehlenswert?
Ralf Lanwehr: Beispiel Charisma. Auf der NWX22 stelle ich mit dem charismatisch-visionären Weg einen nachweislich funktionierenden Ansatz vor, um Nachteile und Risiken abzupuffern. Das ist jetzt nicht die Lösung aller Probleme. Klar. Aber ein Anfang. Kleines Beispiel: Jürgen Klopp lässt „heavy metal football“ spielen. Das ist ne total geile Metapher, weil sie sehr plastisch zentrale Werte vermittelt. Wenn ich da Spieler wäre, wüsste ich schon mal besser, was der Mann von mir will: kein Streichquartett, sondern eine Heavy Metal Band. Die lässt zwar Platz für das flirrende Gitarrensolo, aber schweißtreibend, laut und ausdauernd wird es mit Sicherheit auch. Bei der Geschwindigkeit einer Double Bass müssen alle gemeinsam halt ordentlich ranklotzen.
Im Kern zeichnen sich alle Toptrainer aus dem Fußball durch eine sehr klare Vision aus, sei es Klopp, Mourinho, Guardiola, Simeone oder Rangnick. Das ist kein Zufall und die zugehörigen Effekte lassen sich hart kausal nachweisen und quantifizieren – im Labor ebenso wie im Feld. Wenn Führungskräfte eine lässige Vision kommunizieren, haben die Leute mehr Orientierung und rennen schon mal nicht mehr komplett durcheinander.
Natürlich muss man parallel den Weg dorthin maximal freiräumen und seine Leute ermutigen, ermuntern und ermächtigen. Das ist das, was die meisten Leute unter New Work verstehen. Dabei übersehen sie aber die Notwendigkeit des Abpufferns der Risiken und Nachteile. Eine charismatische Vision hilft in einer sehr charmanten Weise, die größten Probleme zu lindern. Toll daran: charismatische Fähigkeiten sind erlernbar.
Auch klar: charismatisch-visionäre Fähigkeiten sind nicht alleinig der Weisheit letzter Schluss. Wenn Firmen beispielsweise innovative Lösungen suchen, dann reicht es nicht, nur super Ideen generieren zu lassen und dabei charismatisch einen rauszuhauen. Empirisch zeigt sich, dass für einen hohen innovativen Output auch Strukturen und Prozesse zur Bahnung von Ideen zentrale Bedeutung haben. Die sogenannte Ideenintegration. Und das ist mehr als nur ein – oft seit Jahren verwaister – Briefkasten vom Ideenmanagement. Und so weiter. Gemein ist eigentlich allen Formen der erfolgreichen Flexibilisierung von Arbeit, dass man parallel sinnvolle Bahnen einziehen muss.
Führungskräfte und HR sind gefordert, sich mit den neuen Begriffen auseinanderzusetzen. Wie sollten sie dabei sinnvollerweise vorbeigehen, um nicht in die Hype-Falle zu laufen?
Ralf Lanwehr: Der Kern des Arguments lautet doch: die hippen Methoden betonen sehr stark die öffnenden Elemente, das Gewähren von Freiräumen, die Flexibilisierung von Arbeit. Sie verschweigen aber, dass Organisationen zugleich neue Wege finden müssen, um mit dem Fallout von New Work fertig zu werden.
Natürlich kann man diese schließenden Elemente einfach mit dem klassischen Machtwort von oben reintragen. Aber solch eine Deckelung führt leider nur zu Frustration. Natürlich macht es mehr Spaß und fühlt sich fürs HR moderner an, wenn man intensiv über zu gewährende Freiheiten nachdenkt und dafür bei der Geschäftsführung eintritt. Doch das ist nur die Pflicht.
Die Kür besteht darin, ähnlich innovative Systeme für schließende Maßnahmen zu entwickeln. Man kann das wunderbar am Beispiel von Scrum sehen. Das ist heute der absolute Standard von agiler Softwareentwicklung. Daher kennen wir in Management und HR doch überhaupt erst den Begriff der Agilität. Scrum ermöglicht wahnsinnige Freiheitsgrade für alle Beteiligten, es flexibilisiert Prozesse ungemein und sorgt für glückliche Gesichter allenthalten.
Wie zur Hölle macht Scrum das? Mit einem extrem restriktiven Regelwerk. Das kann schon mal erschlagen und wirkt total kompliziert. Was aber ist der Sinn der Regeln? Das Gewähren von Freiheiten. Je mehr dieser komischen Regeln wir weglassen, desto eher fliegt uns der Prozess um die Ohren.
Wer sollte auf jeden Fall Ihre Keynote besuchen?
Ralf Lanwehr: Wer Lust hat, vermeintliche Wahrheiten von Führung und Transformation zu hinterfragen, ist in der Masterclass goldrichtig. Ziel ist es, dass erstens Alle mit sehr konkreten Ideen für die eigene Arbeit rausgehen. Zweitens gibt’s zu allen getroffenen Aussagen harte und nachprüfbare Quellen mit Evidenz. Drittens soll es Spaß machen und lustig sein. Versprochen 😉
Also: Herzlich willkommen! Ich freue mich echt total auf die NWX und bin schon sehr neugierig.
New Work Experience (NWX22)
Dieses Interview führten wir im Vorfeld der New Work Experience (NWX22), mit rund 2.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern das größte Event zur Zukunft der Arbeit im deutschsprachigen Raum. Die NWX22 findet am 20. Juni in der Elbphilharmonie in Hamburg statt. Unter dem Motto „Celebrating Work // Pioneering Culture“ steht in diesem Jahr das Thema Unternehmenskultur im Mittelpunkt. Das HR JOURNAL begleitet die NWX22 als Medienpartner.
Lesen Sie auch die weiteren Beiträge zur NWX22:
- NWX22: Der Kultur kommt eine neue Bedeutung zu
- Mit #inselleben gegen den Fachkräftemangel auf Sylt
- New Work Experience 2022: HR JOURNAL ist Medienpartner
Ralf Lanwehr beschäftigt sich mit evidenzbasierten Ansätzen von Führung & Transformation. Er berät diverse DAX-Unternehmen auf Vorstandsebene. Parallel verfolgt er eine etwas bizarre Leidenschaft: Fußball. Er coacht Cheftrainer aus der Bundesliga, berät die Geschäftsführungen von Profivereinen und leitet für den DFB die Weiterbildungen von Bundesligatrainern und –managern. Die eigene Karriere als Fußballer blieb trotz seiner Zeit als Stürmer von Balane Inhambane in der 3. mosambikanischen Liga vollkommen verdientermaßen aus.