New Work: Diesem „Das geht nicht“ auf den Grund gehen

| | ,

Was hält uns eigentlich zurück, Arbeitswelten zu bauen, die zu den Bedürfnissen der Menschen passen? Antworten von New Work-Expertin Inga Höltmann.

Seit Monaten arbeiten viele von uns daheim, manchmal ausschließlich, manchmal im Wechsel mit Arbeitstagen im Büro. Und das auch in Jobs, in denen jahrelang klar war: Vielleicht kann man jeden anderen Job remote erledigen, diesen hier ganz bestimmt nicht! Doch dann kam Corona und plötzlich waren Dinge möglich, die vorher undenkbar waren.

- Anzeige -
Banner English Edition HR JOURNAL

Corona ist ein stärkerer Digitalisierungsbeschleuniger als so manches Transformationsprojekt, lästern heute manche, und da ist sicherlich ein bisschen was dran. In vielen Unternehmen sind von heute auf morgen Dinge umgesetzt worden, über die zuvor jahrelang ohne Ergebnis diskutiert worden ist.

Corona hat uns gezeigt, dass so viel mehr möglich ist, als wir uns manchmal eingestehen oder anzugehen trauen in den Organisationen. Was wir in den vergangenen Monaten gesehen haben: Manchmal steckt hinter „geht nicht“ doch viel mehr ein „wollen wir nicht“.

- Anzeige -
Foto HR BarCamp Berlin 2024

Wie können wir das entlarven in den Organisationen? Wie können wir entdecken, dass wir es sind, die uns hindern, und nicht Zustände oder Strukturen? Das herauszufinden ist wichtig, denn: In einer volatilen Arbeitswelt der Zukunft müssen wir schneller reagieren und agieren, als wir das heute gewohnt sind. Wir müssen flexibler agieren, vorausschauender sein und uns an immer schneller aufeinanderfolgende Zyklen gewöhnen und damit umgehen lernen. Wir müssen lernen, damit umzugehen und uns gleichzeitig davor schützen lernen.

Ein neues Set an Fähigkeiten für die Arbeitswelt der Zukunft

Doch wie erlernt man das? Ich denke, dass ein ganz neues Set an Fähigkeiten gibt, die in der Arbeitswelt der Zukunft eine Rolle spielen. Einerseits sind das technische Fähigkeiten, ohne Frage, doch da endet es nicht. Wir brauchen auch ganz neue (alte) softe Skills, die in einer digitalen Arbeitswelt umso wichtiger werden. Darunter fällt für mich, anpassungsfähig sein, neugierig sein, unverzagt sein, schnell reagieren zu können und lernwillig zu sein.

Und damit stoßen wir übrigens in einen Bereich vor, in dem gerade Frauen heute Vorreiter sind: Sie sind viel eher geneigt, flexibel zu arbeiten, mit allem, was dazu gehört – und das tun sie oftmals in Unternehmen, in denen sie damit von einer Norm abweichen. 66 Prozent aller arbeitenden Mütter tun das in Teilzeit, im Gegensatz zu nur knapp zehn Prozent aller arbeitenden Väter. Und warum? Weil sie müssen.

Mommy Track: Vereinbarkeit ist noch immer ein Frauenthema

Denn Vereinbarkeit ist noch immer ein Frauenthema. Doch was heißt das eigentlich, „Vereinbarkeit“? Wir meinen damit, verschiedene Aufgaben in einer Person zu vereinen, die in der traditionellen Arbeitswelt auf mindestens zwei Personen verteilt sind: Familienarbeit und Erwerbsarbeit.

Traditionell sind die Rollen klar: Die Frau erledigt die Familien-, der Mann die Erwerbsarbeit. Und so sind unsere Unternehmen auch gebaut: Wenn Nine-to-Five im Büro sitzen die Norm ist, dann geht das nur in einer Welt, in der es keine Kinder, keine zu pflegenden Angehörigen und keine Hausarbeit gibt – oder die jemand anderes übernimmt, während wir dieser Erwerbsarbeit nachgehen.

Wer diese beiden Aufgabenbereiche in sich vereinen möchte, braucht Flexibilität und Gestaltungsräume – beides Dinge, die wir in vielen Unternehmen kaum finden. Viele Frauen sind mit ihren flexibleren Arbeitsverhältnissen (wie Teilzeit) deshalb auch oft Exoten in ihren Firmen. Mommy Track heißt das mancherorts – arbeiten, wie Mütter das oft tun, flexibel oder in Teilzeit zwar, aber ohne sichtbar zu sein und dann eben auch, ohne Karriere zu machen. Denn wenn alle da sind, alle sichtbar sind, dann ist das notwendig für eine Karriere. Und wer davon abweicht, kann vielleicht flexibler arbeiten, aber findet in seiner Organisation viel weniger statt.

Dieses „das geht nicht“ in den Organisationen erforschen

Tun wir uns vielleicht deshalb manchmal mit Neue Arbeit so schwer, weil es da irgendwo diese leise Stimme in unseren Köpfen gibt, die uns erzählt, das sei ein Frauenthema oder ein Gefallen an die Frauen und alle, die Familienarbeit erledigen?

Vielleicht. Aber es zeigt uns vor allem, dass wir dieses „Das geht nicht“ in den Organisationen erforschen müssen. Was ist es denn wirklich, das uns zurückhält? Und welche unbewussten Annahmen spielen eine Rolle darin? Wir nennen das „unconscious bias“ und diese unbewussten Annahmen hat jede/r von uns sie prägen unsere Sicht auf die Dinge, unsere Entscheidungen und unsere Bewertungen. Sich auf den Weg in Richtung Neuer Arbeit zu machen heißt auch, sich auf die Suche nach dieses Biases zu machen und sie zu überprüfen. Dass wir Vollzeit arbeiten müssen, wenn wir in einer Führungsposition sind, auch das ist so eine Annahme, die wir überprüfen sollten. Wer sagt das denn?

Arbeitswelten bauen, die zu den Bedürfnissen der Menschen passen

Neue Arbeit ist kein Geschenk an Frauen. Sie ist auch kein Mittel, um Vielfalt um- oder durchzusetzen. Vielmehr ist Vielfalt in Neuer Arbeit angelegt, weil sie den Menschen, seine Fähigkeiten und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt nimmt. Davon profitiert nicht nur der Mensch, sondern auch das Unternehmen: Auf diese Weise finden Menschen ihren Platz in Unternehmen und können ihr ganzes Potenzial in Schwingung bringen. Und das ist doch, was wir brauchen, um digitale und innovative Arbeitsumfelder zu schaffen – und es ist am Ende auch das, was ein Unternehmen fit für die digitale Transformation macht.

Dass wir uns so schwer mit flexiblen Arbeitszeitmodellen tun, von denen (unter anderem) Frauen profitieren, ist mir ehrlich gesagt ein Rätsel. Wieso denken wir, dass wir es uns erlauben können, so viel Potenzial für die Arbeitswelt wegzuwischen, während wir uns gleichzeitig über den Fachkräftemangel beklagen?

Neue Arbeit gibt uns die Möglichkeit, Arbeitswelten zu bauen, die zu den Bedürfnissen der Menschen und zu den Anforderungen der Unternehmen passen. Und davon profitieren am Ende alle – auch die Männer. Und das ist dann auch eine ganz konkrete Handlungsaufforderung an all die Personaler und Personalerinnen da draußen: Sie sind es, die mithelfen müssen, dieses Verständnis in den Unternehmen zu verankern und die vorangehen sollten, passgenaue Strukturen zu schaffen.

Inga Höltmann

Inga Höltmann ist Expertin für die Themen Kulturwandel in Unternehmen, New Work und Digital Leadership. Sie ist Gründerin der “Accelerate Academy”, einer Plattform für Neues Arbeiten und Neues Lernen. Sie arbeitet in Unternehmen zu Themen rund um Neue Arbeit. Sie ist außerdem ausgebildete Wirtschaftsjournalistin, zu ihren Auftraggebern gehören der Berliner Tagesspiegel und der Deutschlandfunk Kultur. Foto: Axel Kuhlmann

Vorheriger Beitrag

Lockdown light: Mentalen Belastungen vorbeugen

Die Angestellten in Krisenzeiten motiviert halten

Folgender Beitrag