Arbeitgebermarketing für Sylt? Ist das nicht ein Selbstgänger? Im Interview verraten Moritz Luft und Marcus Merheim, dass das #inselleben einige Herausforderungen bietet.
Sylt ist die schönste Insel Deutschlands. Dies ist die Meinung vieler Menschen, die entweder Jahr für Jahr Erholung auf dem Eiland suchen oder dieses gleich zu ihrer Heimat gemacht haben. Jedoch ist der Standortvorteil der Insel im Hinblick auf das Thema Fachkräfte gleichzeitig auch ein Standortnachteil.
Das Preisniveau auf Sylt ist hoch, Wohnraum ist knapp und dadurch teuer. Zusätzlich verschärft die schlechte Verkehrsanbindung der Insel den Fachkräftemangel weiter. Moritz Luft, Geschäftsführer der Sylt Marketing GmbH und Kathrin Barz, Leiterin Arbeitgebermarketing, nehmen sich dieser Herausforderung an. Dabei werden sie von Marcus Merheim und seinem Team von hooman EMPLOYER MARKETING unterstützt. Moritz Luft und Marcus Merheim sprechen im Interview mit dem HR JOURNAL über die Herangehensweise in diesem Projekt – das sicherlich auch als Beispiel für andere Regionen dienen kann.
Moritz Luft, wie sind Sie dazu gekommen, als sich als sogenannte Destinationsmanagementorganisation mit dem Thema Fachkräftemangel auseinander zu setzen?
Zunehmend kämpfen Sylter Unternehmer aus allen Branchen mit einem Fachkräftemangel, der mitunter auch ihre Existenz bedroht. Nicht nur die Insellage erschwert die Suche nach neuen Mitarbeitenden, hinzu kommt extremer Wohnraummangel, hohe Lebenshaltungskosten und dass die gesuchten Fachkräfte rar gesät sind – denn freie Stellen auf Sylt sind hauptsächlich im Hospitality-Bereich zu besetzen, einer Branche, die nicht das beste Image hat und die mit vielen Saisonkräften und wenig langjährigen Mitarbeitern eine hohe Frequenz an Kündigungen und Neuakquirierungen mit sich bringt. Viel zusätzlicher Aufwand für die Arbeitgeber, die jedes Jahr aufs Neue Zeit, Geld und Energie in die Arbeitnehmersuche stecken müssen.
Marcus Merheim, wie sind sie zu diesem Projekt gekommen und wie würden Sie dieses beschreiben?
Normalerweise begleiten wir Unternehmen auf der Reise zur authentischen und überzeugenden Arbeitgebermarke. Das geht dann oft mit dem Thema „Identität“ einher, denn wenn diese nicht klar ist, dann fällt es den Unternehmen unheimlich schwer, Talent für sich anzusprechen und im schlimmsten Fall auch an sich zu binden. Das bedeutet, dass es sich bei diesem Projekt um einen Sonderauftrag handelt, der aber nicht weniger interessant ist, im Gegenteil.
Wir haben das Thema überschrieben mit dem Begriff „Insulares Arbeitgebermarketing“, und da ist es natürlich toll, dies für eine der Top-Destinationen in Deutschland machen zu dürfen. Dabei spiegeln die Unternehmen der Insel wider, was ich oft auch anderswo erlebe: Manche haben sich schon intensiv damit auseinandergesetzt, was sie als Arbeitgeber ausmacht und damit gut macht, andere wundern sich immer noch, warum die Bewerbungen ausbleiben. Und genau an diesem Punkt setzen wir zusammen mit der SMG an.
Moritz Luft, wie würden Sie den Auftrag beschreiben, dem Sie folgen?
Die zentrale Aufgabe meiner Kollegen und mir ist es eigentlich, Gäste für einen Sylt-Urlaub zu begeistern, anstatt Arbeitskräfte für einen neuen Job. Und unser Schwerpunkt bleibt in erster Linie die Gästeansprache. Aber als Verantwortliche für die Destinationsmarke muss die SMG auch dafür sorgen, dass das Qualitätsversprechen, das Sylt als ausgezeichnete „Marke des Jahrhunderts“ abgibt, erfüllt wird. Und das kann die Insel nur, wenn das Leistungsangebot auch umfänglich nutzbar ist.
Im Bereich der Gastronomie gibt es beispielsweise aufgrund des Personalmangels einen steigenden Anteil an Schließzeiten, wodurch die Nachfrage der Gäste oft nicht ausreichend bedient werden kann. Um solche und andere negativen Auswirkungen zu verhindern, benötigen wir dringend mehr Personal und richten dafür die Insel als Arbeitgebermarke stärker aus. Ich glaube fest daran, dass wir mit der Macht der Marke Sylt, die gerade im Bereich der Urlaubsreisen eine enorme Strahlkraft hat, auch Menschen motivieren, dauerhaft auf die Insel zu kommen.
Moritz Luft: Wie kommunizieren Sie denn nun zu Sylt als Ort zum Arbeiten (und Leben)?
Wir haben eine Online-Kampagne entwickelt, mit der über verschiedene Kanäle Sylt nicht nur als Reiseziel, sondern als attraktiven Lebens- und Arbeitsort in den Fokus rückt. Zentrales Element ist die Landingpage www.sylt.de/inselleben, auf der unter anderem elf Videos zu sehen sind, die aus erster Hand zeigen, wie glücklich es machen kann, den Lebensmittelpunkt auf die Insel zu verlagern. Elf Menschen aus unterschiedlichen Branchen sind vor die Kamera getreten, um ehrlich und ohne Schönfärberei von ihrem Leben an der Nordsee zu erzählen.
Die Filme, die auch den Titel „#inselleben“ tragen, werden über die Kanäle der sozialen Medien in den entsprechenden Zielgruppen ausgespielt und lotsen die Nutzer direkt auf die für sie optimierten Seiten. Dort finden sie wichtige Adressen, eine Branchenübersicht, Freizeittipps und eine persönliche Ansprechpartnerin bei der SMG, die ihnen bei allen Fragen zur Seite steht. Und das alles künftig nicht nur auf Deutsch, sondern zunächst auch auf Polnisch und Englisch. Denn wir sind in den nächsten Jahren stärker denn je auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen. Und um diese gezielt ansprechen zu können, müssen wir die Informationsseiten für Arbeitnehmer sukzessive auch in anderen Sprachen ausrichten.
Marcus Merheim, wie könnte ich mich denn nun zu freien Stellen auf der Insel informieren?
Wir haben mithilfe eines Crawling-Anbieters für Stellenanzeigen die Jobbörse aufgewertet und stellen somit alle offenen Stellen der Insel an einem Ort zusammen. Arbeitsuchende können hier Stellen finden und Sylter Betriebe bei Bedarf ihre freien Jobs einstellen – wenn gewünscht, auch mithilfe einer eigenen Ansprechpartnerin im Team. Wir sehen uns aufgefordert, die lokalen Unternehmen in ihren Recruiting-Maßnahmen stärker zu unterstützen und sie darin schulen, wie zeitgemäße Mitarbeitergewinnung aussehen muss – gerne auch mit Unterstützung von externen Experten, die wir regelmäßig für Seminare oder Einzelberatungen einladen.
Da es auf der Insel keine klassische Wirtschaftsförderung gibt, haben wir dieses Feld besetzt – denn wir erachten es als eine Notwendigkeit, die Betriebe in der aktuell so schwierigen Lage nicht allein zu lassen. Ich bin mir übrigens sicher, dass dieses Engagement, unsere Destination als attraktiven Lebens- und Arbeitsort auszurichten, aufgrund des sich auch in anderen Urlaubsregionen weiter zuspitzenden Fachkräftemangels, eine Handlungsnotwendigkeit bei vielen weiteren Touristikern darstellen wird.
MM, wie sind Sie dabei vorgegangen?
Vorbereitend auf diese Aufgabe hat Sylt Marketing im vergangenen Jahr auf den Websites der insularen Unternehmen die Rubrik „Jobs/Karriere“ analysiert und daraus verschiedene Handlungsnotwendigkeiten abgeleitet. Herausgekommen ist ein Best-Practice-Beispiel, das Betrieben aufzeigt, was im Bereich der Kommunikation notwendig ist. Wenn das Finden neuer Mitarbeiter derart schwer ist wie auf Sylt, dann muss die Website nicht nur auf Gäste und Kunden ausgerichtet sein, sondern auch auf neue, potenzielle Mitarbeiter. Doch das ist bei den meisten analysierten Seiten nicht der Fall gewesen.
Und nicht nur hier gibt es Optimierungsbedarf, sondern auch im Umgang mit Arbeitgeberbewertungen durch die Mitarbeiter. Gastronomie und Hotellerie haben zwar gelernt, Gästebewertungen für sich zu nutzen und werblich einzusetzen – Mitarbeiterbewertungen sind für die lokalen Unternehmen aber noch Neuland, obwohl sie Jobinteressierten einen guten und transparenten Eindruck davon vermitteln können, wie es wirklich ist, auf der Insel zu arbeiten.
Das Thema „Experience“ hat inzwischen bei der Personalgewinnung eine immer wichtigere Rolle eingenommen – Moritz Luft, wie begegnen Sie diesem Trend?
Wie es ist, auf der Insel eine Ausbildung zu machen, lässt sich bereits gut aus erster Hand erfahren. Denn seit über einem Jahr setzen wir im Bereich des Innenmarketings mit der Azubi-Crew Sylt erfolgreich ein Projekt um, das sich an alle Auszubildenden der Insel oder die, die es werden wollen, richtet. Die Azubi-Crew besteht aus drei Sylter Lehrlingen des zweiten und dritten Lehrjahres, die den neuen Azubis den Start in den Berufsalltag und die Eingewöhnung in die neue Umgebung erleichtern wollen, sie miteinander vernetzen und ihnen bei all ihren Fragen zur Seite stehen.
Mit der Azubi-Crew haben wir die Willkommenskultur für die zukünftigen Arbeitnehmer der Insel branchenübergreifend gesteigert und zeigen ihnen zudem eine Wertschätzung, die als Bindungsmaßnahme fungiert. Uns freut besonders, dass das Projekt wird sowohl von den Auszubildenden als auch ihren Betrieben gut angenommen.
New Work Experience (NWX22)
Dieses Interview fand im Vorfeld der New Work Experience (NWX22) statt, mit rund 2.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern das größte Event zur Zukunft der Arbeit im deutschsprachigen Raum. Unter dem Motto „Celebrating Work // Pioneering Culture“ steht in diesem Jahr das Thema Unternehmenskultur im Mittelpunkt. Das HR JOURNAL begleitet die NWX22 als Medienpartner. Wenn Sie mehr über #inselleben sowie generell über Arbeitgebermarketing erfahren wollen, dann besuchen Sie die NWX22 in der Hamburger Elbphilharmonie am 20. Juni. Marcus Merheim wird dort darüber sprechen, wie Unternehmen ihre eigene Identität als Arbeitgeber finden können.
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Seit April 2006 leitet Moritz Luft als Geschäftsführer das Team der Sylt Marketing GmbH. Vor seiner Zeit auf Sylt arbeitete er in unterschiedlichen Luxushotels im In- und Ausland.
Als Gründer von hooman EMPLOYER MARKETING berät Marcus Merheim Unternehmen zu den Themen Employer Branding und Arbeitgeberattraktivität.