Kultur-Feedbacks: Die Kraft des Augenblicks nutzen

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2015 ging Swiss Life Deutschland auf Kulturreise. Seitdem gibt es dort Kultur-Feedbacks. CEO Jörg Arnold erklärt im Interview, was das Unternehmen noch bewegt.

„Entscheidend ist, dass wir die positiven Erfahrungen aus dieser Zeit mitnehmen.“ Gesagt hat dies Jörg Arnold. Gemeint ist die jetzige Pandemie-Zeit – und in allen bisherigen Interviews des HR Journal ist eine solche Aussage nie gefallen. Das Positive und damit die Chancen sehen, das ist Teil der Unternehmenskultur bei Swiss Life. Auch bei den Kultur-Feedbacks ist das so. Worum geht es hier?

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Swiss Life hat damit „eine Austauschform geschaffen, bei der in regelmäßigen Abständen die Mitarbeitenden und Führungskräfte sich gegenseitig auf Augenhöhe Beobachtungen im persönlichen Miteinander mitteilen.“ Das Format der Kultur-Feedbacks schafft Begegnungen, sagt Jörg Arnold. Achtsamkeit und ein gegenseitiges Aufeinandereingehen sind die Folge. Und auch hier gilt: „Sehe ich nur die Sachen, die schiefgelaufen sind? Oder kann ich meinen Fokus darauf richten, was mein Gegenüber als Mensch ausmacht“, sagt Arnold. Erfahren Sie mehr über ein Unternehmen, das sich momentan auf eine „dauerhaft hybride Welt“ einstellt, Stichwort: „Haus der hybriden Arbeitswelt“.

Warum haben Sie in Ihrem Unternehmen die Kultur-Feedbacks eingeführt?

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Jörg Arnold: Weil uns das Zwischenmenschliche sehr am Herzen liegt und wir unsere Kultur des Miteinanders aktiv fördern. Im Jahr 2015 haben wir unsere Kulturreise gestartet und die positive Energie nutzen wir seither. Mit den Kultur-Feedbacks haben wir eine regelmäßige Austauschform geschaffen, bei der wir aus den konventionellen Feedbacks ausbrechen und uns gegenseitig, anlassunabhängig und auf Augenhöhe Beobachtungen im persönlichen Miteinander mitteilen.

„Alle Mitarbeitenden sollen sich selbst besser kennenlernen und gemeinsam Verhaltensweisen für eine erfolgreiche und angenehme Zusammenarbeit etablieren“, schreiben Sie auf LinkedIn. Wie stellen Sie im Unternehmen sicher, dass dieser Prozess zu den gewünschten Ergebnissen führt?

Jörg Arnold: Wir glauben daran, dass bei Begegnungen dieser Art zwischen Mitarbeitenden ein Kennenlernen stattfindet. Es geht darum, diese Begegnungen zu organisieren und die Kraft des Augenblicks zu nutzen. Wir machen keine Qualitäts- oder Leistungskontrollen – das Format der Kultur-Feedbacks schafft Begegnungen. Dabei entsteht ein fortwährender Prozess des gegenseitigen Aufeinandereingehens und der Achtsamkeit.

Ist der Ablauf der Gespräche vorstrukturiert? Wie bereiten sich die Teilnehmenden auf die Gespräche vor?

Jörg Arnold: Wir haben einen Leitfaden entwickelt, mit dem sich die Kolleginnen und Kollegen auf ein solches Gespräch vorbereiten können. Darin gibt es dann allgemeine Informationen zur Zielsetzung und zum Nutzen der Kultur-Feedbacks sowie Leitfragen, anhand derer sich die beteiligten Personen vorab überlegen können, auf welche Aspekte sie eingehen möchten. Den Teilnehmenden steht es aber auch frei, davon abzuweichen oder andere Schwerpunkte zu setzen. Wichtig ist, immer wieder Beobachtungen zu sammeln und im Gespräch Beispiele von konkreten Situationen zu nennen, in denen eine bestimmte Handlung des anderen besonders aufgefallen ist. Diese Beispiele machen die Reflexion und Einschätzung nachvollziehbar.

Zu den Leitfäden gibt es auch kurze Kultur-Refresher, also Impulse aus Modellen, die unserer Unternehmenskultur zu Grunde liegen. Das klingt zwar theoretisch, aber diese kleinen Impulse ermöglichen eine bessere Reflexion. Das Modell des „Circle of Influence“ ist beispielsweise eines, das allen Mitarbeitenden zu Beginn und auch während der Arbeit bei Swiss Life immer wieder über den Weg läuft. Dabei geht es darum, dass man bestimmte Dinge nicht beeinflussen kann, andere aber wiederum schon. Genauso verhält es sich auch mit der Haltung gegenüber meiner Gesprächspartnerin oder meinem Gesprächspartner: Sehe ich nur noch die Sachen, die schiefgelaufen sind? Oder kann ich meinen Fokus darauf richten, was mein Gegenüber als Mensch ausmacht? Kann ich den Dingen auch eine andere Bedeutung geben? Solche Fragen helfen, um die Kultur-Feedbacks für sich und die andere Person zu nutzen.

Wie gehen Führungskräfte und Mitarbeitende mit dem Feedback um? Welche Folgen bzw. Veränderungen ergeben sich aus den Gesprächen? Was passiert etwa bei negativem Feedback?

Jörg Arnold: Ich kann nur über die Kultur-Feedbacks authentisch Auskunft geben, die ich regelmäßig mit meinen direkten Mitarbeitenden führe. Und da hat der kulturelle Austausch viel gebracht. Ich kann zum Beispiel viel besser einschätzen, woher bestimmte Emotionalitäten kommen und deshalb auch besser damit umgehen. Das Wissen um die Verletzlichkeit meines Gegenübers sollte nicht ein Abhängigkeitsverhältnis begründen, sondern dazu führen, dass man sich der anderen Person näher fühlt. Kultur-Feedbacks haben nicht das Ziel, gemeinsam Maßnahmen zu vereinbaren. Das wichtigste Ziel ist, dass man sich gegenseitig besser versteht und die zwischenmenschliche Beziehung nachhaltig positiv beeinflusst. Es geht vielmehr darum, dass das große Ganze zu einem positiven Mindset führt. In unserer Wahrnehmung gibt es kein negatives Feedback, sondern einen offenen und kritischen Austausch. Gemeinsam über Kritikpunkte zu sprechen führt zu Verständnis und bildet Vertrauen. Außerdem sind die Regeln entscheidend, um sicherzustellen, dass Feedback richtig gegeben und entgegengenommen wird.

Es gehe darum, auch einmal die eigene Verletzlichkeit preiszugeben, schreiben Sie auf LinkedIn. Wie garantiert Ihr Unternehmen, dass das dazu erforderliche Vertrauen nicht missbraucht wird?

Jörg Arnold: Wir vertrauen darauf, dass die Führungskräfte ihre Mitarbeitenden mit Energie versorgen und Dinge, die nicht so gut laufen nicht leichtfertig verwenden, sondern sehr klug damit umgehen. Sie befähigen ihre Mitarbeitenden zu wachsen und sich zu entwickeln. Beim Kultur-Feedback ist es ausdrücklich der Wunsch, auch Herausforderungen anzusprechen und offen für konstruktive Kritik zu sein. Dass das nicht jeder oder jedem leichtfällt, ist natürlich, denke ich. Ich habe es auch geschrieben: Es fällt nicht immer leicht, kritisiert zu werden, aber es gibt mir die Möglichkeit zu erfahren, wie Menschen mich wahrnehmen und daran kann ich nur wachsen und besser werden.

Was hat sich durch die Kultur-Feedbacks im Unternehmen verändert?

Jörg Arnold: Ich glaube, dass sich Kultur nicht strikt in Zahlen messen lässt. Es geht doch vielmehr um die zwischenmenschlichen Beziehungen, um eine positive Zusammenarbeit und starke Werte. All das wird mir von Kolleginnen und Kollegen gespiegelt und das ist auch der Eindruck, den ich in meiner Arbeit mitbekomme. Häufig berichten schon Bewerberinnen und Bewerber von der vertrauensvollen und freundlichen Atmosphäre, wenn sie beispielsweise bei Vorstellungsgesprächen im Haus sind. Das spiegelt sich auch in den Ergebnissen unserer Mitarbeitendenbefragung wider: Fast 90 Prozent würden Swiss Life als Arbeitgeberin weiterempfehlen.

Unsere Kultur lebt vom Für- und Miteinander. Und je mehr wir uns darauf fokussieren – und die Kultur-Feedbacks sind da nur ein Baustein von vielen – verschwenden wir weniger Zeit mit persönlichen Konflikten oder Silos und ziehen stärker an einem Strang. Wir kommen schneller ans Ziel und sind auch attraktiver für neue Talente, wenn wir unser kulturelles Miteinander stärken. Aber um den Eindruck zu vermeiden, Wertschöpfung spiele keine Rolle in unserem Unternehmen: Wir haben im letzten Jahr Rekordergebnisse in unseren beiden Geschäftsmodellen erzielt. Eine starke Vertrauenskultur ermöglicht den Menschen Selbstbestimmung und das ist auch die Basis für wirtschaftlichen Erfolg.

Sie wollen Ihren Mitarbeitern „Selbstbestimmung ermöglichen“. Was bietet Swiss Life den Mitarbeiterinnen/Mitarbeitern, um selbstbestimmt zu arbeiten?

Jörg Arnold: Selbstbestimmung ist Kern unserer Arbeit. Wir wollen unseren Kundinnen und Kunden eine selbstbestimmte finanzielle Perspektive geben und genauso unseren Kolleginnen und Kollegen selbstbestimmtes Arbeiten ermöglichen. Swiss Life ist ein mittelständisches Unternehmen mit Konzernstrukturen. Das ist besonders förderlich für selbstbestimmtes Arbeiten, weil der Gestaltungsspielraum so groß ist. Wir schaffen dafür einen Rahmen, in dem sich Selbstbestimmung erleben lässt. Im letzten Jahr haben wir eine Studie durchgeführt und festgestellt, dass die meisten Deutschen nach Selbstbestimmung und Potenzialentfaltung streben. In der aktuellen Zeit fühlen sich viele Menschen aber eher fremd- als selbstbestimmt. Mehr denn je haben wir das Gefühl in eine passive Rolle zu geraten.

Es ergeben sich aber auch neue Möglichkeiten. Vor allem, wenn im beruflichen Kontext Verantwortung übertragen wird und Freiräume geschaffen werden. Auf der einen Seite hat jede Kollegin und jeder Kollege eine bestimmte Rolle im Unternehmen zu erfüllen. Gleichzeitig gibt es aber auch ebendiese Freiräume, die es möglich machen, Potenziale zu entfalten. Dafür sorgen wir auch mit umfangreichen Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten. Daneben bestehen viele Benefits, beispielsweise in Form von flexiblen Arbeitszeitmodellen oder der Möglichkeit, Geld in Urlaubstage umzuwandeln. So lässt sich die Zeiteinteilung entsprechend der individuellen Bedürfnisse gestalten. In Hannover betreiben wir am Standort zudem einen Kindergarten.

Voraussetzung für unsere Kultur ist sicherlich auch die spezielle schweizerische Managementphilosophie in unserem Unternehmen. Die Schweizer sind von Natur aus eher dezentralen Ansätzen zugeneigt. Deshalb gilt bei Swiss Life konzernweit ein sogenannter Multi-Local-Ansatz, der die Entscheidungshoheit weitestgehend in die einzelnen Länder gibt. Die Stärkung des einzelnen Menschen als Motor des Erfolgs ist eine unserer Grundüberzeugungen.

Eines ist sicher: Irgendwann ist auch diese Krise vorbei. Wie gehen Sie vor, um Ihr Unternehmen auf die Zeit nach Corona vorzubereiten? Wie agieren Sie in diesen unsicheren Zeiten?

Jörg Arnold: Entscheidend ist, dass wir die positiven Erfahrungen aus dieser Zeit mitnehmen. Es braucht viel Kommunikation, um immer wieder aufzuzeigen, wie das Unternehmen unterwegs ist. Es ist wichtig, Wertschätzung entgegenzubringen und jeder Person das Gefühl zu geben, Teil von etwas Größerem zu sein. Gerade die Kommunikation haben wir in der aktuellen Situation sehr intensiviert und ein positives Momentum erlebt. Diese positiven Erfahrungen machen wir transparent und zeigen so, dass wir durchaus in der Lage sind, mit Krisen umzugehen. Ich spreche regelmäßig beim Mittagessen oder bei einer Tasse Kaffee mit Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Bereichen. In diesen Gesprächen erfahre ich viel darüber, wie es ihnen geht und welche Themen sie bewegen. Zuzuhören ist mehr denn je wichtig.

Welche dauerhaften Veränderungen zeichnen sich jetzt schon ab? Was ist anders geworden in Ihrem Unternehmen?

Jörg Arnold: Wir haben das vergangene Jahr sehr erfolgreich gemeistert. Schon vor Corona haben wir viel in unsere Unternehmenskultur investiert – auch die Kultur-Feedbacks gab es schon vor Corona. Wir sind davon überzeugt, dass die Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten, den Unterschied macht. Das haben wir jetzt wiedermal bewiesen.

Es zeichnen sich einige Punkte ab, die sich zukünftig ändern werden. So wollen wir zum Beispiel das Optimum aus Bürozeit und mobilem Arbeiten ermöglichen. Vor allem das Büro ist da als Ort der Begegnung und des Austauschs essenziell. Auch unser Reiseverhalten wird sich künftig verändern. Während wir vor Corona viel zwischen den Standorten gependelt sind, haben wir mittlerweile vieles mit virtuellen Formaten ersetzt.

Das vergangene Jahr hat auch gezeigt, wie zehrend es sein kann, Privatleben und Beruf zu vereinen. Hier wird es künftig noch wichtiger sein, Kolleginnen und Kollegen dabei zu unterstützen, resilient zu sein und die innere Balance zu finden. Unser „Swiss Life Way of Work“-Team kümmert sich explizit um die Zukunft der Arbeit und damit um die Themen der hybriden Arbeitswelt. Bei den entstehenden Maßnahmen gehen wir iterativ vor, beziehen Kolleginnen und Kollegen als Botschafterinnen und Botschafter ein und ermöglichen so die Einbindung von verschiedenen Perspektiven.

Stichwort: Veränderung. In Ihrem Beitrag auf LinkedIn stellen sie dem „Ad-hoc-Modus des Jahres 2020“ eine „dauerhaft hybride Welt“ gegenüber. Wie wird diese hybride Welt bei Swiss Life aussehen?

Jörg Arnold: Eine hybride Arbeitswelt bedeutet für uns, dass wir einerseits bestimmte Aufgaben außerhalb des Büros erledigen können und gleichzeitig das Gemeinschaftliche und das gegenseitige Inspirieren sowie die persönliche Zusammenarbeit in Teams nicht missen wollen. Wir wollen weiterhin eine Büroumgebung schaffen, in der wir zwischenmenschliche Beziehungen und inspirierende Momente fördern. Es ist wichtig, dass wir dafür Freiheitsgrade ermöglichen und Formate entwickeln, um auch in der virtuellen Welt Nähe aufzubauen und Verbindungen zu halten.

Aktuell sind wir dabei, das „Haus der hybriden Arbeitswelt“ einzurichten. Mitarbeitende möchten in die Entwicklung einer hybriden Arbeitswelt eingebunden werden. Wir testen deshalb aktuell Desksharing-Modelle und beziehen möglichst viele Perspektiven ein. Wir wollen gemeinsam Erfahrungen sammeln und Wünsche einbinden, um zu schauen, inwiefern ein solches Modell zu uns passt. Das ist Work in Progress. Außerdem benötigt die Hybridisierung unserer Zusammenarbeit neue Kompetenzen, die wir über die Weiterentwicklung unserer Führungskräfte und der Mitarbeitenden begleiten.

Was sind die Klippen, die Sie auf dem Weg zu einem hybriden Arbeiten in Ihrem Unternehmen überwinden müssen? Wie meistern Sie diese?

Jörg Arnold: Die Arbeitswelt ist komplex und noch steht nicht abschließend fest, welchen konkreten Weg wir gehen werden. Ein „One size fits all“-Prinzip funktioniert dabei nicht – wir werden also einen Modus finden müssen, der ein hohes Maß an Individualität und Selbstbestimmtheit mit den Anforderungen und Rahmenbedingungen zusammenbringt. Wir wollen auf der einen Seite Freiheiten bieten und auf der anderen Seite das Miteinander ermöglichen. Die Freiheitsgrade des einen dürfen dabei nicht die Freiheitsgrade des anderen einschränken. Die Rahmenbedingungen müssen wir gemeinsam ermitteln und das braucht Zeit. Die wollen und müssen wir uns nehmen.

Das Interview führte Helge Weinberg, Herausgeber des HR Journal.

Foto Jörg Arnold

Jörg Arnold, CEO Swiss Life Deutschland. Seit Juli 2017 ist Jörg Arnold Chief Executive Officer Deutschland und Mitglied der Konzernleitung der Swiss Life Gruppe.

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