Eine kompetenzbasierte Personalstrategie verwendet als Bewertungsgrundlage die tatsächlichen Kenntnisse und Fähigkeiten. Matthew Mee, VP für Talent Innovation bei Lightcast, schildert die Vorteile im Recruiting und der Personalentwicklung.
Der Fachkräftemangel droht von allen Seiten. Unternehmen können generell auf zwei Arten entgegensteuern: Neue Mitarbeiter akquirieren. Und sicherstellen, dass bestehende Mitarbeiter im Unternehmen bleiben. Lange legten viele Arbeitgeber den Schwerpunkt auf Recruiting, in die Bindung der Mitarbeiter investierten sie oft zu wenig.
Mit einer strukturellen Transformation von einer traditionellen zu einer kompetenzbasierten Personalstrategie können Unternehmen drei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Sie erschließen sich einen größeren Talentpool im Recruiting, können interne Talente gezielt auf schwer zu besetzende Stellen hin entwickeln und hebeln durch das Signalisieren gezielter, durchdachter Weiterbildungen gleichzeitig die Mitarbeiterbindung.
Konventionelle Ansätze in Personalaufbau und -entwicklung orientieren sich stark an formalen Qualifikationen wie Zeugnisse, vormalige Stationen im Lebenslauf oder Referenzschreiben. Die Daten und die Rollendefinitionen, die sich daraus ergeben, bilden das tatsächliche Aufgabenspektrum einer Position im Unternehmensalltag in einer sehr dynamischen Arbeitswelt oft nur noch unzureichend ab. Das macht es für Unternehmen schwierig, fundierte Personalentscheidungen zu treffen, die zu 100 Prozent im Einklang mit ihrer tatsächlichen Betriebsrealität steht.
Doch als Personalchefin / -Chef will ich nicht unbedingt die Person rekrutieren, die einen bestimmten Abschluss hat. In manchen Bereichen und für manche Tätigkeiten ist das natürlich unverzichtbar. Doch eigentlich will ich jemanden, der oder die alle erforderlichen Fähigkeiten mitbringt, um seine oder ihre Aufgaben bestmöglich zu erfüllen. Eine Personalabteilung muss dafür wissen, welche fachlichen Skills im Unternehmen benötigt werden – und wie sie diese Nachfrage auf einen heute unvorstellbar heterogenen Arbeitsmarkt übertragen kann.
Kompetenzbasierte Personalstrategie: Ein Lexikon beruflicher Fähigkeiten einführen
Eine kompetenzbasierte Personalstrategie verwendet deshalb als Bewertungsgrundlage die tatsächlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, die Unternehmen in einer Position brauchen und die potenziellen Kandidaten mitbringen. Dafür können zum Beispiel systematisch katalogisierte Skill-Taxonomien zum Einsatz kommen, wie die ESCO-Klassifikation der Europäischen Kommission („European Standard Classification for Occupations, Qualifications and Skills“).
Das eröffnet im Recruiting Möglichkeiten, Fachkräfte branchen-, sprach- und arbeitsmarktübergreifend anzusprechen und dennoch sicher zu sein, dass die mitgebrachten Fähigkeiten genau zu den Bedürfnissen des eigenen Betriebs passen. Der Talentpool ist dadurch ungemein größer.
Das schöne ist: Arbeiten dann am Ende tatsächlich die richtigen Personen in den zu ihren Skills ideal passenden Positionen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihre Arbeit als sinnvoll und erfüllend empfinden. Sie haben im Berufsalltag mehr Erfolgserlebnisse, können zuverlässiger eigenverantwortlich Tätigkeiten verrichten und Entscheidungen treffen, weil sie sich selbst als kompetent genug dafür wahrnehmen und mit voller Wirkung in ihren starken Fähigkeiten aufgehen. Beide Effekte wirken motivationssteigernd.
Transparente Perspektiven schaffen Engagement
Ein kompetenzbasierter Ansatz ist auch aber auch im Bereich Personalentwicklung hilfreich. Gerade dort trägt er spürbar zur Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit und damit -bindung bei. Wenn Personalverantwortliche im Rahmen einer kompetenzbasierten Strategie notwendigerweise die Kompetenzen, Fähigkeiten und Erfahrungen einzelner Mitarbeiter genau kennen, ist es für sie einfacher, exakt auf deren Bedürfnisse und auf die Anforderungen im Unternehmen abgestimmte Weiterbildungsangebote zu entwerfen.
Wenn Mitarbeiter das Gefühl haben, dass das Unternehmen kontinuierlich in ihre persönliche berufliche Weiterentwicklung investiert, kann dies ein großer Engagement-Steigerungsfaktor sein: Sie fühlen sich wertgeschätzt und sind deshalb eher motiviert, ihr Bestes zu geben, auch perspektivisch, da ihnen ein klarer und transparenter Karriereweg im Unternehmen aufgezeigt wird.
Ein Talent strebt eine Führungsposition in Abteilung X an? Diese und jene Skills fehlen ihr dafür noch – und HR unterstützt dabei, diese Fähigkeitslücken gezielt zu schließen. Gerade für schwer zu besetzende Stellen kann dies ein eleganter Kniff sein. Gleichzeitig lädt die Personalabteilung auf diese Weise Talente ein, ihre Zukunft und weitere berufliche Laufbahn eher langfristig mit dem Unternehmen verknüpft zu sehen, und wirkt kostspieliger Fluktuation so entgegen.
Effektivere Personalentwicklung auf Datenbasis
Im kompetenzbasierten Ansatz sollten regelmäßige Leistungsbewertungen und mehrstufige Belohnungssysteme Mitarbeitern das Gefühl geben, dass ihre berufliche Weiterentwicklung wahrgenommen und honoriert wird. Gleichzeitig sollten die Verantwortlichen sicherstellen, dass die Maßnahmen zur Weiterentwicklung ausreichend anspruchsvoll sind. Die meisten Menschen sind motivierter und engagierter, wenn sie regelmäßig neuen Herausforderungen gegenüberstehen und ihre Fähigkeiten und Kompetenzen entlang von Problemen und Lösungsfindung erweitern können. Und sie bleiben gerne dort, wo sie sich gefordert und gebraucht fühlen.
Auf das individuelle Kompetenzlevel von Mitarbeitern abgestimmte Weiterbildungsangebote sind sinnvoll nur in einer Konstellation möglich, in der ein objektives, an die Arbeitsmarktdynamik angedocktes Verständnis von Skills und deren Zusammenhänge vorhanden ist. Eine Big-Data-Analyse und ein anschließendes vergleichendes Audit der vorhandenen Kompetenzen und des aktuellen Arbeitsmarktumfelds in der jeweiligen Branche sind dafür erste Bausteine. Essenziell für den Erfolg aller dieser Ansätze ist der Zugang zu genauen, umfassenden und das Marktmomentum aktuell reflektierende Daten.
Fazit
Unternehmen, die sich auf eine kompetenzbasierte Personalstrategie einlassen, müssen viele ihrer Prozesse neu denken und sollten zusätzliche Ressourcen für die Transformation bereithalten. Im Gegenzug sorgen sie dafür, dass nicht nur die Personalbeschaffung und -entwicklung datengetriebener und damit effektiver wird, sie investieren auch langfristig in die Zufriedenheit und Motivation ihrer Belegschaft – mit sämtlichen Vorteilen, die sich daraus ergeben: Ein besseres Betriebsklima, in dem sich Mitarbeiter gegenseitig unterstützen, was zu einer geringeren Krankheits- und Ausfallrate führt. Eine Innovationskultur, in der sie ihre Kompetenzen ideal entfalten und so häufiger und proaktiver neue Ideen und Verbesserungsvorschläge einbringen können. Und nicht zuletzt eine verbesserte Unternehmensleistung und schnellere Anpassung an neue Marktgegebenheiten, da die personellen Ressourcen entlang ihrer Kompetenzen besser eingesetzt werden.
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Matthew Mee ist VP für Talent Innovation bei Lightcast. Mit über 20 Jahren Erfahrung in der HR-Branche und einer Leidenschaft für People Analytics, Workforce ROI und Employee Experience ist er bei Lightcast auf der Mission, Lösungen voranzutreiben, die einen positiven Wandel in der Arbeitswelt bewirken.