Wo ist der Einsatz von KI in der Führung sinnvoll, wo spielt der Mensch seine Stärken aus? Professor Christoph M. Schmidt, Präsident des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen, erläutert, in welchen Bereichen KI Führungskräfte unterstützen kann und wo dies weniger empfehlenswert ist.
Künstliche Intelligenz (KI) eröffnet große Potenziale, die Arbeitsteilung zwischen Mensch und Technik in Unternehmen neu zu gestalten. Bisher dem Menschen vorbehaltene repetitive Tätigkeiten und Routineaufgaben werden zunehmend durch KI-Systeme übernommen oder in neuen Formen der Zusammenarbeit zwischen Mensch und KI ausgeführt. Vor diesem Hintergrund bespricht ein aktuelles Whitepaper der Plattform Lernende Systeme die Chancen und Herausforderungen, die durch den Einsatz von KI in der Führung erwachsen.
KI-Systeme können Führungskräfte bei Aufgaben mit hoher Strukturierung und Regelmäßigkeit entlasten, also vor allem im Bereich der operativen Führung. Dadurch gewinnen diese mehr Freiräume, um sich Aufgaben innerhalb der strategischen Führung sowie der Personalführung zu widmen, die einen hohen kreativen oder kommunikativen Anteil haben.
Durch den KI-Einsatz ergeben sich allerdings auch neue Anforderungen an Führungskräfte. Führungskräfte müssen mehr denn je als Vorbild die Unternehmenswerte und die Bereitschaft zum KI-Wandel vorleben. Sie müssen ihre Schützlinge motivieren und deren Leistung beflügeln, ihnen aber auch gut zuhören und Sorgen vor der Veränderung nehmen sowie mit Weitblick deren Kompetenzen entwickeln.
Unternehmen wiederum sind gefordert, hierarchische Führung durch kooperative, netzwerk- und werteorientierte Führungsstile abzulösen und eine Führungs- und Unternehmenskultur der Partizipation, Offenheit und Transparenz zu etablieren.
Neue Anforderungen an Führung durch Lernende Systeme
Die Arbeitswelt befindet sich inmitten eines umfassenden Umbruchs. Der demografische Wandel hat bereits heute für einen intensiven Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte gesorgt. Wer diesen erfolgreich bestreiten will, muss in seinem Unternehmen für eine kompetente Führung sorgen. Sie muss den Anforderungen der Beschäftigten genügen, die sich in einer offenen und partizipativen Umgebung entfalten wollen, aber zugleich nach transparenten Leitplanken und einem klaren Kompass verlangen. Die während der Corona-Pandemie erprobten Modelle des dezentralen und mobilen Arbeitens haben die Anforderungen an gute Führung noch weiter erhöht: Sie ist flexibel, individuell maßgeschneidert sowie über digitale Medien und räumliche Entfernungen hinweg zu gestalten und zu kommunizieren.
In den kommenden Jahren werden KI-Systeme die Arbeitswelt noch weiter verändern, etwa in Form von KI-gestützten Assistenzsystemen in der Personalentwicklung. KI-Systeme weisen enorme Potenziale in der Erfassung und schnellen Verarbeitung großer Datenmengen und dem Ableiten von Mustern in der Analyse auf und sind in der Lage, selbstlernend Schlussfolgerungen zu ziehen. Daher werden sie auch Führungskräfte unterstützen und – in eigenständiger Interaktion mit den Beschäftigten – Steuerungsaufgaben übernehmen können. Dies wird insbesondere bei solchen Führungsaufgaben gelingen, die eine hohe Strukturierung und Regelmäßigkeit aufweisen. Dies sind vor allem administrative Koordinations- und Kontrollaufgaben, wie beispielsweise die Zusammenstellung und Koordination von Teams.
Wenn es dagegen um den Aufbau und die Nutzung von implizitem Wissen und Erfahrungen geht oder Kompetenzen wie Kreativität, Empathie oder Kommunikation gefragt sind, wird auch in Zukunft der Mensch seine Stärken ausspielen können. Auch beim Umgang mit neuen, nicht vorhersehbaren Herausforderungen wird weiterhin der Mensch gefragt sein. Für diese Anforderungen werden Führungskräfte durch den Einsatz von KI mehr Handlungsspielräume und zeitliche Ressourcen gewinnen. Führungskräfte müssen diese Freiheiten nutzen, um als Mittler zum einen Visionen und Vorgaben von oben nach unten und zum anderen Ideen und Anregungen von unten nach oben zu transportieren und durch das Vorleben der Unternehmenskultur und -strategie das Vertrauen der Beschäftigten in die KI-Systeme zu stärken.
Eine neue Balance der Führungsaufgaben
Im Rahmen der Organisationalen Führung sind Führungskräfte gefordert, neue Teammitglieder zu rekrutieren, den Personaleinsatz und die Arbeitsabläufe zu planen, Aufgaben zu verteilen und Teams zusammenzustellen sowie die Leistungserbringung fortlaufend zu kontrollieren. Im Rahmen der Organisationalen Führung können viele Aufgaben standardisiert und damit von KI-Systemen übernommen werden, vor allem die Arbeitsorganisation und -aufteilung. Führungskräfte müssen durch gemeinsam erarbeitete und transparent kommunizierte Arbeitsgestaltung verhindern, dass Beschäftigte sich nicht mehr wertgeschätzt oder entmündigt fühlen, und gewährleisten, dass sie über hinreichende Möglichkeit zur Weiterqualifizierung verfügen.
Im Rahmen der Strategischen Führung besteht die Aufgabe von Führungskräften darin, die strategische Ausrichtung einzelner Abteilungen und des Unternehmens zu gestalten und Innovationen zu fördern. KI-Systeme werden Kernaufgaben der Strategischen Führung nicht ersetzen, wenngleich KI-basierte Assistenzsysteme die Informationsbasis für die Entscheidungen der Führungskräfte bereichern können. Vor allem sind KI-Systeme so einzusetzen, dass die Beschäftigten von Routinearbeiten entlastet werden und sich auf die Entfaltung ihrer Kreativität konzentrieren können. Dies kann durch hierarchiefreie Strukturen, Wertschätzung und Motivation sowie Gewährung zeitlicher Freiräume für Lernen gelingen.
Im Rahmen der Personalführung wirken Führungskräfte auf das betriebliche Verhalten der Beschäftigten ein, um eine Balance zwischen den Unternehmenszielen und den Interessen der Beschäftigten zu erreichen und deren persönliche Entwicklung zu fördern. Führungskräfte müssen daher über ausgeprägte soziale Kompetenzen verfügen und offen, ehrlich und direkt kommunizieren. KI-Systeme können Führungskräfte bestenfalls dabei unterstützen, etwa indem sie vor einem drohenden Burnout warnen. Eine zunehmend wichtige Führungsaufgabe ist daher die Entwicklung der Kompetenz der Beschäftigten für den Umgang mit KI und zur Selbstführung – der Übernahme von Verantwortung für das eigene Handeln.
Ausgewählte Gestaltungsoptionen für den Einsatz von KI in der Führung
- Um mögliche Schäden durch KI-Systeme im Bereich der Führung zu reduzieren und das Vertrauen in eingesetzte KI-Systeme zu steigern, sollten sie ihrem Schadenpotenzial (ihrer „Kritikalität“) gemäß zertifiziert und nur verantwortbare Systeme eingesetzt werden.
- In welchen Bereichen und auf Basis welcher Daten KI-Systeme Führungsaufgaben übernehmen oder Führungskräfte unterstützen sowie nach welchen Kriterien Entscheidungen getroffen werden, sollte in enger Abstimmung mit den Beschäftigten festgelegt werden.
- Vor dem operativen Einsatz müssen Führungskräfte für den Umgang mit personenbezogenen Daten sensibilisiert und ermutigt werden, Empfehlungen und Entscheidungen eines KI-Systems auf Basis eigener Kompetenzen und Erfahrung kritisch zu hinterfragen.
- Um vertrauensvoll mit einem KI-System zusammenzuarbeiten, muss für Führungskräfte und Beschäftigte eindeutig nachvollziehbar sein, wo die Grenzen der Entscheidungshoheit und damit der Verantwortung zwischen Führungskräften und KI-System verlaufen.
- Die Verschiebungen in der Arbeitsteilung zwischen Mensch und KI erfordern den Aufbau von Kompetenzen beim Umgang mit KI und Lernenden Systemen sowie von persönlichen Metakompetenzen wie Selbstorganisation, Kommunikations- und Reflexionsfähigkeit.
Quelle: Stowasser, Sascha & Neuburger, Rahild et al. (2022): Führung im Wandel: Herausforderungen und Chancen durch KI. Whitepaper aus der Plattform Lernende Systeme. https://doi.org/10.48669/pls_2022-4
Über die Plattform Lernende Systeme
Die Plattform Lernende Systeme ist ein Netzwerk von Expertinnen und Experten zum Thema Künstliche Intelligenz (KI). Sie bündelt vorhandenes Fachwissen und fördert als unabhängiger Makler den interdisziplinären Austausch und gesellschaftlichen Dialog. Die knapp 200 Mitglieder aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft entwickeln in Arbeitsgruppen Positionen zu Chancen und Herausforderungen von KI und benennen Handlungsoptionen für ihre verantwortliche Gestaltung. Damit unterstützen sie den Weg Deutschlands zu einem führenden Anbieter von vertrauenswürdiger KI sowie den Einsatz der Schlüsseltechnologie in Wirtschaft und Gesellschaft.
Die Plattform Lernende Systeme wurde 2017 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) auf Anregung des Hightech-Forums und acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften gegründet und wird von einem Lenkungskreis gesteuert. Die Leitung der Plattform liegt bei Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger (BMBF) und Reinhard Ploss (Präsident acatech).
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Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph M. Schmidt ist seit 2002 Präsident des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen und zugleich Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspolitik und Angewandte Ökonometrie an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen auf der angewandten Ökonometrie, u.a. in der Energie-, Gesundheits- und Arbeitsmarktökonomik, sowie auf der Schnittstelle von Forschung und wissenschaftsgestützter Politikberatung. Christoph M. Schmidt ist Mitglied der Arbeitsgruppe „Arbeit, Qualifikation, Mensch-Maschine-Interaktion“ der Plattform Lernende Systeme. Foto: © RWI Sven Lorenz