Das Setzen von ESG-Zielen ist erfahrungsgemäß der leichte Part. Coaches können deren Umsetzung beschleunigen. Antje Brügmann, Master Certified Coach und President Past bei der ICF Germany, erläutert im Interview, worauf Unternehmen achten sollten.
„Environmental Social Governance“ (ESG) ist in der Außendarstellung heutiger Unternehmen fest verankert. Kundinnen / Kunden, Partnerinnen / Partner und die eigenen Mitarbeiterinnen / Mitarbeiter erwarten von Firmen, dass sie Verantwortung übernehmen – etwa sozial in Fragen von Gleichberechtigung und fairen Arbeitsbedingungen oder ökologisch in Belangen des Arten- und Klimaschutzes.
Dabei ist das Setzen von ESG-Zielen nur der erste Schritt. Diese Ziele zu erreichen, ist ungleich schwieriger. Es bedarf einer Strategie, eines Plans sowie einer passenden Unternehmenskultur. Zertifizierte Coaches der International Coaching Federation (ICF) können im Rahmen eines Corporate Coaching Programms das Erreichen von ESG-Zielen erleichtern und beschleunigen. Darüber, wie das gelingt und warum jede(r) einzelne Mitarbeiter/-in dabei wichtig ist, haben wir mit Antje Brügmann gesprochen.
Zusammen mit Ihren Vorstandskolleginnen / -kollegen haben Sie die Gemeinwohl-Ökonomie Zertifizierung des ICF Germany vorangetrieben. Wie sieht diese aus und warum war Ihnen das wichtig?
Die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) ist ein innovatives, nachhaltiges Wirtschaftsmodell mit dem Ziel einer ethischen Wirtschaftskultur. Als Alternative zum gegenwärtigen Wirtschaftsverständnis baut sie auf den Werten Menschenwürde, ökologische Verantwortung, Solidarität, soziale Gerechtigkeit, demokratische Mitbestimmung und Transparenz auf. Das deckt sich mit den Werten, die wir im ICF-zertifizierten Coaching vertreten und für die wir als Teilorganisation eines weltweit operierenden Berufsverbandes mit mehr als 50.000 Mitgliedern stehen. Wir wollten ein Zeichen setzen und haben uns daher als erstes der 141 Chapter weltweit eine Gemeinwohl-Bilanz erstellen lassen.
Der systemische Ansatz der Gemeinwohl-Bilanzierung schafft eine 360-Grad-Perspektive und ist ein Kompass auf dem Weg, die Wirtschaft nachhaltig auszurichten. Ihre Wirkung und Bedeutung gehen über die gesetzlichen Anforderungen hinaus, um auch in Zukunft höchstmögliche Standards zu gewährleisten. Das ist uns als Organisation sehr wichtig, denn nicht zuletzt sollten alle Organisationen, die im Zusammenhang mit Coaching stehen, ihren Beitrag leisten und ihre Organisation auf Nachhaltigkeitskriterien überprüfen lassen. Deswegen haben wir uns als ICF Deutschland für den langen Weg der GWÖ Zertifizierung entschieden und sind froh und stolz, dass wir hier hoffentlich Vorreiterinnen / Vorreiter und Trendsetterinnen / Trendsetter sind und uns viele Verbände folgen werden.
Mehr Diversität, soziale Verantwortung, Nachhaltigkeit sind wichtige Ziele für immer mehr Unternehmen. Wie kann Coaching hier ansetzen, um beim Erreichen dieser Ziele zu helfen?
Nachhaltigkeitsziele werden in der Regel vom Unternehmen definiert und von den Mitarbeitenden gelebt. Coaching richtet sich nicht an ein Unternehmen als Ganzes, sondern setzt direkt bei den handelnden Personen an. Sehr oft sind die Nachhaltigkeitsziele sehr abstrakt und manchmal sogar reißerisch plakativ geschrieben. Ich stelle häufig fest, dass meine Coachees zwar eine ungefähre Ahnung haben, wie sie diese Ziele für sich interpretieren und zu deren Erreichung beitragen können, aber manchmal braucht es auch noch mehr Innensicht, damit das auch im Team erfolgreich vermittelt wird oder in komplexeren Situationen nicht unter die Räder gerät. Jeder muss wissen, was ESG-Ziele für ihn bedeuten.
Sie sagen also, der Erfolg bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen hängt vor allem von der Mitarbeit und Motivation der Mitarbeitenden ab. Eine besondere Rolle spielen Führungskräfte und die Unternehmensleitung. Stößt hier der Einsatz eines Coaches immer auf positive Resonanz oder gibt es auch Berührungsängste?
Nachhaltigkeitsziele werden häufig im Rahmen einer strategischen Ausrichtung definiert. Deren Umsetzungserfolg hängt von der Mitarbeit aller ab, egal in welcher Position jemand für das Unternehmen tätig ist. Ob einem Coaching wohlwollend oder mit Ablehnung begegnet wird, hängt nicht an der Unternehmensleitung, sondern an der Motivation jedes und jeder Einzelnen, das eigene Verhalten und Empfinden zu reflektieren.
Ich coache daher nur Menschen, die Coaching freiwillig in Anspruch nehmen. Sie kommen mit dem Wunsch und dem Bedürfnis, etwas zu verändern und sind auf der Suche nach Handlungsoptionen. Ein Coaching, zu dem jemand geschickt wird, weil eine dritte Person das möchte, birgt ein hohes Risiko, deutlich weniger erfolgreich zu sein. Aber selbstverständlich können Menschen, die Coaching in Anspruch genommen und es als wertvoll empfunden haben, hier auch als Role Models für andere agieren.
Bitte geben Sie uns ein Beispiel für ein exemplarisches Nachhaltigkeits-Coaching. Wie läuft das ab?
Eine Coaching-Session verläuft sehr individuell. Coachees bringen in der Regel eine Diskrepanz mit in die Session. Wenn ein Coachee zum Beispiel käme und darüber nachdenken wollte, wie er in der von ihm geleiteten Abteilung das Firmencredo „We care for our environment“ in Bezug auf die Abstimmung der Reise- und Pendlerverkehre umsetzen könnte, dann wäre das ein potentielles Coachingthema.
Wir würden darüber sprechen, wie es heute und idealerweise nach dem Coaching aussieht und Maßnahmen entwickeln, die dieser Coachee dann gemäß seines Wertebildes umsetzen kann. Um den Erfolg zu sichern, wird auch festgelegt, woran der Fortschritt gemessen würde und wie er sichergestellt wird.
Wie schätzen Sie das ein: Was hindert Unternehmen am meisten daran, Coaches einzubinden und wie können Hürden oder auch Berührungsängste abgebaut werden?
Im Rahmen meiner Vorstandstätigkeit bei der ICF Germany und als aktiver Coach bin ich natürlich viel mit Unternehmen in Kontakt gekommen, deren Mitarbeiterinnen / Mitarbeiter Coaching nutzen. Ich habe nicht das Gefühl, dass in Unternehmen echte Hinderungsgründe bestehen und große Hürden überwunden werden müssen, einen Coach einzubinden. Für sehr viele Firmen gehört Coaching inzwischen zum Repertoire in der Entwicklungsarbeit ihrer Kolleginnen und Kollegen.
Unser Anliegen aus ICF Sicht ist jedoch, Firmen aufzuklären, dass „Coach“ kein geschützter Beruf ist und es daher sehr große Qualitätsunterschiede gibt. Bei der ICF unterscheiden wir 3 Stufen (ACC, PCC, MCC), für die Coaches zwischen 100 und 2500+ Coachingstunden geleistet und diverse Prüfungsschritte gemäß der Qualitätskriterien und Ethikstandards der ICF durchlaufen haben müssen, um das entsprechende Label tragen zu dürfen. Vielen Firmen ist dies inzwischen bewusst und sie fragen nicht nach Coaching an sich, sondern Coaching auf einem bestimmten Level.
Viele Unternehmen beschäftigen bereits zahlreiche Berater und Beraterinnen. Wie erklären Sie diesen, jetzt auch noch an Coaching zu denken?
Beratung konzentriert sich auf die Prozesse im Unternehmen – also das „Was“. Coaching hat ganz klar das „Wer“, also die handelnden Personen, im Fokus. Coaches beraten nicht, sondern fragen nach persönlichen Handlungsoptionen im Zusammenhang mit dem was sich aus der Beratungsleistung zum Beispiel als Veränderung ergibt. Im Idealfall geht das mit der Beratung Hand in Hand.
Wenn man sich nun für einen Coach interessiert, der im Unternehmen die Nachhaltigkeitsziele mit voranbringen soll: wie findet man einen geeigneten Coach für Nachhaltigkeit? An welchen Auswahlkriterien sollte man sich orientieren?
Wie bei jeder Coachwahl würde ich mich zunächst fragen, welche Grundkriterien mein Coach erfüllen soll. Ein Coach, der sich versiert fühlt, Nachhaltigkeitsziele zu coachen, sollte seine Affinität dazu darstellen oder ggf. Coachingerfahrungen in diesem Segment aufweisen können. Wir wissen, dass dies den Kundinnen und Kunden Sicherheit bei Ihrer Wahl verleiht. Die meisten Coaches verschicken gerne ihr Profil, eine Kurzbiographie oder einen Lebenslauf und ermöglichen in der Regel einen Chemistry-Call, bei dem man feststellen kann, ob man zusammenpasst.
Wie ich vorher schon gesagt habe, gibt der Coach keine Beratung oder Empfehlung und muss daher auch kein Nachhaltigkeitsexperte sein. Natürlich ist es aber hilfreich, wenn man eine Interessensschnittmenge hat. Auf der Website der ICF Germany gibt es einen Coachfinder, der bei der Suche nach einem geeigneten Coach helfen kann.
Wo sehen Sie den größten Coaching Bedarf und das größte Potential, wenn es um das Erreichen von ESG-Zielen geht?
Wie bei jeder strategischen Ausrichtung oder Neuausrichtung geht es um Alignment und darum, diejenigen, die das Unternehmen repräsentieren, abzuholen. Coaching kann sehr gut dabei unterstützen, mit Leben zu füllen, was in der Strategiebeschreibung manchmal wie ein Buzzword oder sehr abstrakt klingt. ESG-Ziele richten sich auch nach gemeinschaftlichem Erfolg aus. Wir sehen daher auch bereits jetzt einen erhöhten Bedarf und eine steigende Nachfrage nach Teamcoaching oder Supervision, für die in meinen Augen dieselben Kriterien bei der Wahl eines passenden Coaches oder einer Supervisorin / einem Supervisor gelten wie bei einem Einzelcoaching.
Und unsere Frage zum Schluss: Ein Coaching, das andere dabei unterstützt, nachhaltig zu agieren, sollte auch selbst nachhaltig sein. Was kann man tun, um den Coaching-Erfolg nachhaltig zu sichern?
Dies sind zwei verschiedene Aspekte. Zum einen beleuchten wir hier das Thema Authentizität und Glaubwürdigkeit, die dadurch erhöht wird, dass ich als Coach selber lebe, wonach der Coachee strebt. Einen nachhaltigen Effekt hat das Coaching dadurch, dass die Inhalte der Coaching-Sessions erfolgreich in den Alltag transferiert werden. Daher gilt: Die Transformation findet zwischen den Sessions statt und hängt in hohem Maße von der Reflektionsbereitschaft des Coachees ab, denn Coaching ist eine Möglichkeit, sich durch Reflektion verschiedene Perspektiven zu eröffnen, um besser agieren oder interagieren zu können.
Dies beeinflusst zum Beispiel die Motivation, Führung und Kommunikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, was an sich schon einen nachhaltigen Einfluss hat. Es ist ein aktiver Weg, der Zeit braucht, weswegen Unternehmen manchmal die Frage der Effizienz ins Spiel bringen. Auf den ersten Blick hat Coaching keinen positiven Einfluss auf das zahlenmäßige Betriebsergebnis, da es keinen Umsatz generiert. Wenn wir aber Wertesysteme, Mitarbeiterzufriedenheit und -bindung mit berücksichtigen, dann verursacht Coaching nicht nur Kosten, sondern es ist ein Investment in die Zukunft des Unternehmens.
ICF
Die International Coaching Federation (ICF) stärkt professionelle Coaches, Coaching-Kunden, Organisationen und die Gesellschaft durch Coaching. ICF ist die weltweit größte internationale Non-Profit-Organisation, die die globale Weiterentwicklung des Coaching-Berufs anführt und die Rolle des Coachings als integralen Bestandteil einer blühenden Gesellschaft fördert. Seit ihrer Gründung im Jahr 1995 arbeiten ihre mehr als 50.000 Mitglieder in mehr als 140 Ländern und Territorien auf gemeinsame Ziele hin, um das Bewusstsein für Coaching zu stärken und die Integrität des Berufsstandes sowie die höchsten ethischen Standards zu wahren.
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Antje Brügmann ist Master Certified Coach und President Past bei der ICF Germany. Sie hat über 20 Jahre Erfahrung sowohl in verschiedenen Positionen in der Unternehmenskommunikation, in der PR und im Marketing als auch als Agile, Business und Career Coach. Zu ihrem Kundenkreis gehört die C-Suite, genauso wie Führungskräfte, Teams und Einzelpersonen. Foto: Henning Angerer