Eine starke Integritätskultur ist kein Zufallsprodukt, Integrität muss professionell gemanagt werden, erklärt Jana Hecker, Global Organizational Integrity Institute. Wie kann sich HR hier einbringen?
Integrität ist die Voraussetzung für Vertrauen. Wann vertraut man dem Gegenüber? Wenn man den anderen einschätzen kann. Das gelingt, wenn man die Erfahrung gemacht hat und entsprechend die Erwartung hat, dass der andere tut, was er sagt. Und das im Hinblick darauf, dass seine Entscheidungen sowie das Handeln im Einklang mit gesellschaftlichen Normen wie Fairness, Solidarität, Transparenz, Nachhaltigkeit und Gemeinwohl stehen und ebenso vereinbarte feststehende Regeln allgemeiner Art eingehalten werden. Ethische Prinzipien also, die im privaten Umfeld, aber gleichsam auch im beruflichen Kontakt eine wichtige Rolle einnehmen.
„Vertrauen reduziert Komplexität“, so der Soziologe Niklas Luhmann. Vertrauen reduziert demnach das Überangebot von Verhaltensmöglichkeiten. Integrität lässt sich entsprechend als Schmiermittel im Unternehmen bezeichnen. Es macht Unternehmen schlicht effizienter. Wenn Führungskräfte und Mitarbeiter einander vertrauen können, weil sie um die Integrität des jeweils anderen wissen und darauf vertrauen können, sind weniger Kontroll- und Abstimmungsschleifen erforderlich, werden Informationen bereitwilliger ausgetauscht und werden auch Fehler eher eingestanden und können korrigiert werden.
Zudem macht Integrität Unternehmen krisenfester: das aufgebaute Vertrauen in das integre Verhalten und Handeln aller ermöglicht es Unternehmen, pragmatisch und schnell agieren zu können – was in Krisensituationen notwendig ist. Das Vertrauen in die Notwendigkeit und Richtigkeit kurzfristiger Maßnahmen ist somit gegeben.
Angesichts der vielen Graubereiche und der nahezu unüberschaubaren Anzahl an Mitarbeitern braucht es im Unternehmen also ein gemeinsames Werteverständnis, einen ähnlich ausgerichteten inneren Kompass. Dieser kommt dann zum Tragen, wenn Regeln, Gesetze oder Richtlinien nicht einfach anzuwenden sind, weil es beispielsweise für einen Einzelfall keine klare Regel gibt, weil Regeln sich widersprechen, Interpretationsspielraum besteht oder aber Zielkonflikte herrschen. Es braucht einen Kompass für wertorientiertes Handeln und Entscheiden im Unternehmen in Graubereichen.
Wie lässt sich eine starke Integritätskultur im Unternehmen aufbauen?
Wichtig ist, sich dessen bewusst zu sein, dass eine starke Integritätskultur kein Zufallsprodukt ist. Integrität muss professionell gemanagt werden, gleichwertig mit einer klaren Qualitäts- oder Kostenorientierung im Unternehmen. Integres Verhalten zu proklamieren, reicht nicht mehr aus. Auch Prozesse und Strukturen müssen so ausgerichtet sein, dass sie integres Verhalten fordern, fördern und ermöglichen. Gutes Integritätsmanagement verstanden als die bewusste und geplante Weiterentwicklung von Integrität im Unternehmen bedeutet, folgende zehn Hebel in Bewegung zu setzen.
- Integrität definieren – Integrität sollte als Haltung und Verhalten für die Organisation definiert werden: Was wollen wir darunter verstehen?
- Integrität institutionalisieren – Auf oberster Management-Ebene sollte eine Position eingerichtet werden, die Integrität und Compliance verantwortet.
- Integrität einordnen – Ethische Prinzipien sollten auf oberster Ebene eines Unternehmens klar formuliert werden.
- Integrität kommunizieren – Diese Prinzipien müssen nach außen kommuniziert, nach innen in die Organisation ausgerollt und das Unternehmen als Ganzes damit vertraut gemacht werden.
- Integrität zum Thema machen – Um integres Verhalten und eine starke Integritätskultur zu fördern, ist eine fortwährende Auseinandersetzung mit Integrität unabdinglich.
- Integrität strukturieren – Alle Prozesse und Strukturen müssen überprüft und überarbeitet werden, um Integrität auch strukturell zu unterstützen.
- Integrität trainieren – Gleichzeitig bedeutet es, für Integrität als Verhalten, in Entscheidungen zu sensibilisieren. Sprich: Ethische Entscheidungsfindung unterstützen.
- Integrität belohnen – HR-Systeme wie etwa Mitarbeitergespräche, aber auch „Reward & Recognition“ sollten Integrität im Blick haben und richtiges Verhalten honorieren.
- Integrität einstellen – Integrität muss auch bei Bewerbungen und Beförderungen als Kriterium angesehen werden, damit das Unternehmen immer eine kritische Masse an Überzeugungstätern hat.
- Integrität messen und verbessern – Unternehmen sollten eine Integritätsmessung vornehmen, um den Status quo beurteilen zu können. Nur so sind Verbesserungen möglich.
Wie können sich HR-Abteilungen beim Thema Integrität einbringen?
HR-Abteilungen können sich beim Thema Integritätsmanagement einbringen oder eine maßgeblich treibende Rolle einnehmen. Viele der zuvor genannten Hebel liegen originär in den Händen der HR-Abteilungen. Um die Wichtigkeit des Themas und damit Anspruch und Erwartungshaltung des Unternehmens unmissverständlich zu verankern, sollte Integrität Mitarbeitenden über ihren gesamten Entwicklungszyklus hinweg begegnen. Idealerweise ist Integrität in allen relevanten Personalprozessen als Schlüsselkriterium verankert: vom Employer Branding, über die Einstellung und Entwicklung bis hin zum Austritt von Mitarbeitern.
Employer Branding:
Integrität spielt hier eine immer größere Rolle, Integrität ist heute eine Employer Value Proposition (EVP): Bewerber wünschen sich in einer Welt der religiösen Werteverluste einen Arbeitgeber, der nach Werten handelt und seine Mitarbeiter stolz macht. Sie wollen sich mit dem Unternehmen identifizieren können, auch wenn sie längst aus dem Büro oder aus dem Werk gegangen sind. Diesen EVP gilt es in den Ring zu werfen im Kampf um Talente.
Employer Branding beginnt allerdings innen: Egal, was ein Unternehmen nach außen propagiert, sollte es nach innen schon gelebte Realität sein. Leere Versprechen habe kurze Beine, wenn bereits auf der Website über Integrität nichts zu lesen ist, wenn sie keine Rolle spielt im Bewerbungsgespräch und wenn sich die ersten Tage nach dem Einstieg ins Unternehmen sehr schnell ein anderes Bild ergibt.
Personaleinstellung:
Weiter geht es bei der Auswahl neuer Mitarbeiter, zum Beispiel durch die Thematisierung im Bewerbungsprozess und die Gegenüberstellung von Werthaltungen und Erwartungen oder auch (bei Topmanagern) durch eine Prüfung, ob es in früheren Positionen zu Verfehlungen gekommen ist. Die Verpflichtung zu integrem Handeln kann überdies in den Arbeitsvertrag aufgenommen werden, und die Onboarding-Unterlagen für jeden neuen Mitarbeiter sollten Informationen über den Stellenwert von Integrität im Unternehmen enthalten.
Personalentwicklung:
Integrität sollte auch im Rahmen der Führungskräfteausbildung eine Rolle spielen: Prüfungen im Rahmen der Aufstiegsqualifizierung sind Kontrollpunkte, um sicherzustellen, dass die „richtigen Menschen an die richtigen Positionen“ gelangen. Integrität sollte Bestandteil sein. Genauso kann sie in die jährlichen Mitarbeitergespräche integriert werden, zur Leistungsbeurteilung oder gar im Rahmen von Zielvereinbarungen. Voraussetzung hierfür ist, Integrität so zu definieren, dass sie sich neutral beurteilen lässt.
Denn der Begriff Integrität ist vielfältig interpretierbar. Es braucht ein gemeinsames Verständnis oder auch einen Verhaltensanker, die es ermöglichen, Verhalten im Hinblick auf Integrität beurteilen zu können. Und schließlich kann Integrität natürlich auch bei der Bonifizierung des Topmanagements eine Bedeutung zukommen – wenn auch eher im negativen Sinne von Abzügen bei Fehlverhalten gedacht, um nicht zu belohnen, was doch als selbstverständlich erwartet wird.
Auch Schulungen und Trainings kann HR anbieten, um nicht nur die Bedeutung und Relevanz von Integrität zu vermitteln, sondern gemeinsam sehr konkret herauszuarbeiten und zu diskutieren, worin sich integres Handeln im Führungs- /Arbeitsalltag zeigt und beweist. Neben dedizierten Integritäts- (und/oder Compliance-) Schulungen können dazu auch bestehende Schulungen, etwa zu Führungsverhalten oder Entscheidungskompetenz um die Integritätsperspektive ergänzt werden.
Wie führt man integer und wie trifft man integre Entscheidungen? Ratsam ist es, den Teilnehmern nicht das Gefühl zu vermitteln, dass sie unter Generalverdacht stehen, nicht integer zu handeln und deshalb an der Schulung teilnehmen müssen. Es geht nicht um moralisieren, sondern vielmehr darum, Integritäts-Skills als Teil der eigenen Professionalität zu verstehen, die jeden Einzelnen erfolgreicher machen und das Unternehmen schützt, aber auch leistungsfähiger macht.
Ausscheiden von Mitarbeitenden:
Durch die Aufnahme von Integrität in Arbeitsverträge und Arbeitsordnungen kann Fehlverhalten Sanktionen und Entlassungen zu Konsequenz haben. Transparente Kommunikation zu diesen Vorfällen, selbstverständlich anonym, bestärkt sehr wahrnehmbar für alle die Bedeutung, die das Unternehmen integrem Verhalten zuweist.
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Jana Hecker ist Geschäftsführerin des Global Organizational Integrity Institutes und Geschäftsführerin der Unternehmensberatung cetacea. Sie hat mehrere Transformations-, Reorganisations- und Integritätsprogramme internationaler Konzerne wie auch mittelständischer Unternehmen mitgestaltet – immer mit dem Schwerpunkt Change Management und Change Communications.