Der Insolvenzantrag eines Unternehmens bedeutet Hochbetrieb für HR. Die Arbeitsrechtlerin Elke Trapp-Blocher beschreibt in einem zweiteiligen Beitrag die arbeitsrechtlichen Konsequenzen einer Insolvenz. Arbeitnehmerinnen / Arbeitnehmer nehmen in einem Insolvenzverfahren eine Sonderstellung ein, trotzdem ändert sich ihre arbeitsrechtliche Situation. In diesem Beitrag stellen wir die zweiten fünf der zehn wichtigsten Punkte im Zusammenhang mit einer Insolvenz vor.
Im vergangenen Jahr haben in Deutschland rund 17.800 Unternehmen einen Insolvenzantrag gestellt – mindestens 165.894 Beschäftigte waren davon betroffen. Die Zahlen, die das Statistische Bundesamt Mitte März veröffentlicht hat, sprechen eine deutliche Sprache. Der Anstieg bei den Unternehmensinsolvenzen wird sich aller Voraussicht nach auch in diesem Jahr fortsetzen – gerade auch, da die Insolvenzantragspflicht seit dem Jahreswechsel wieder in vollem Umfang greift.
Daher lohnt der Blick auf die zehn wichtigsten Punkte im Zusammenhang mit einer Insolvenz. Hier kommen die Punkte sechs bis zehn. Der erste Teil dieses Beitrags wurde am 2. Mai 2024 veröffentlicht.
6. Arbeitsverhältnisse in der Insolvenz
Vorab: Einen selbstständigen Kündigungsgrund „Insolvenz“ gibt es nicht. Auch ein Insolvenzverwalter kann ein Arbeitsverhältnis nur kündigen, wenn dafür ein Kündigungsgrund vorliegt – etwa die Stilllegung des Geschäftsbetriebs. Der Insolvenzantrag und die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hingegen haben als solche grundsätzlich keinen Einfluss auf Fortbestand und Inhalt des Arbeitsverhältnisses. Konkret heißt das, dass Arbeitsverträge in der Insolvenz zunächst weiterhin gültig sind.
Sie können allerdings nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit einer Kündigungsfrist von maximal drei Monaten zum Monatsende gekündigt werden – eine im Arbeitsvertrag vereinbarte längere Kündigungsfrist ist dann aufgehoben. Hintergrund ist, dass damit Kündigungen, die für den Erhalt des Unternehmens notwendig sind, schneller wirksam werden.
Das Insolvenzrecht gilt zudem auch für Arbeitsverhältnisse, die erst in der Insolvenz – also vom Insolvenzverwalter – begründet wurden. Tarifliche Fristen oder einzelvertraglich vereinbarte Kündigungsfristen, die kürzer sind als die insolvenzspezifische Frist, werden weiterhin angewandt. Vertragliche, gesetzliche oder tarifliche Kündigungsfristen, die länger als drei Monate sind, werden auf die insolvenzspezifische Höchstfrist verkürzt.
7. Gleiches Recht für beide Seiten: Wenn der Arbeitnehmer / die Arbeitnehmerin kündigt
Was für den Arbeitgeber im Eigenverwaltungsverfahren oder den Insolvenzverwalter gilt, gilt auch für den Arbeitnehmer. Bei einer Kündigung gilt auch für den Arbeitnehmer die Höchstfrist von drei Monaten zum Monatsende. Und ohne, dass ein wichtiger Grund vorliegt, kann auch der Arbeitnehmer nicht fristlos kündigen.
8. Ansprüche in bestimmten Fällen: Schadensersatz bei Kündigung mit verkürzter Frist
Wird ein Arbeitnehmer / eine Arbeitnehmerin mit der verkürzten Frist des Insolvenzrechts gekündigt, kann er seinen finanziellen Schaden als Insolvenzforderung zur sogenannten Insolvenztabelle anmelden. Er/sie erhält dann wie alle anderen Gläubiger auch einen Anteil gemäß der Quote im Insolvenzverfahren. Angerechnet wird aber nur der tatsächliche Lohnausfall, jeder anderweitig erzielte oder erzielbare Verdienst verringert die Forderung, die der Arbeitnehmer / die Arbeitnehmerin zur Tabelle anmelden kann. Einen Anspruch auf Schadensersatz haben Arbeitnehmerinnen / Arbeitnehmer grundsätzlich aber nur dann, wenn in seinem Arbeitsverhältnis eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist oder ihre /seine Kündigungsfrist länger als die Drei-Monats-Frist gewesen wäre.
9. Nicht wahllos: Freistellung in der Insolvenz
Der Insolvenzverwalter kann Arbeitnehmerinnen / Arbeitnehmer aus insolvenzspezifischen Gründen freistellen – etwa bei reduziertem Beschäftigungsbedarf und zur Schonung der Masse. Jedoch kann er bei der Freistellung nicht wahllos vorgehen. Er ist dabei wie jeder andere Arbeitgeber an die Grenzen des sogenannten billigen Ermessens gebunden: Das heißt, dass soziale Gesichtspunkte – wie zum Beispiel Alter, Betriebszugehörigkeit oder Unterhaltspflichten – in der Regel eine gewisse Rolle spielen. Sparen Arbeitnehmerinnen / Arbeitnehmer durch die Freistellung Geld oder verdienen sie in ihrer „freien“ Zeit etwas dazu, werden diese Beträge von der Vergütung abgezogen.
10. Möglich, aber zumeist begrenzt: Sozialplan in der Insolvenz
Ein Sozialplan, der vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, jedoch nicht früher als drei Monate vor dem Antrag auf Insolvenzeröffnung abgeschlossen wurde, kann sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Betriebsrat widerrufen werden. Ohne Widerruf werden die Ansprüche aus einem solchen Sozialplan zu Insolvenzforderungen – es sei denn, ein starker vorläufiger Insolvenzverwalter hat den Sozialplan abgeschlossen. Dann werden sie zu Masseverbindlichkeiten.
Wird ein Sozialplan nach Insolvenzeröffnung abgeschlossen, ist er auf ein Drittel der Insolvenzmasse und auf einen Gesamtbetrag von maximal 2,5 Bruttomonatsverdiensten der von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmerinnen / Arbeitnehmer begrenzt. Dies bedeutet aber nicht, dass jede(r) dieser Arbeitnehmer / Arbeitnehmerinnen diesen Betrag als Sozialplanleistung bekommen muss. Die Abfindung des einzelnen Arbeitnehmers / Arbeitnehmerin kann durch Kriterien wie Alter, Betriebszugehörigkeit oder Schwerbehinderung darüber oder darunter liegen.
Fazit: Insolvenz! Was tun?
Zusammengefasst gilt über die aufgeführten zehn Punkte hinweg der Grundsatz, dass Arbeitnehmerinnen / Arbeitnehmer in der Insolvenz eine Sonderstellung haben. Einerseits wird ihr Arbeitsverhältnis grundsätzlich fortgesetzt, andererseits sind sie etwa durch den Anspruch auf Insolvenzgeld gegenüber der Bundesagentur für Arbeit in gewisser Weise gegenüber den anderen Gläubigern bevorrechtigt. Gleichwohl sind aber auch sie davon betroffen, dass sich die arbeitsrechtliche Situation in den unterschiedlichen Phasen eines Insolvenzverfahrens ändert – etwa mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Für Personalverantwortliche ist es daher wichtig, dass sie diese Veränderungen kennen und ihre Kolleginnen und Kollegen im Fall der Fälle schnell und umfassend informieren können. Denn jeder/jede kann von der Insolvenz des Arbeitgebers betroffen sein.
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Dr. Elke Trapp-Blocher ist Fachanwältin für Arbeitsrecht im Geschäftsbereich Sanierungsberatung am Stuttgarter Standort der Kanzlei Schultze & Braun. Ihr Werdegang: Universitätslehrgang für Wirtschaftsjuristen – Master of Business Law (M.B.L.) an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Paris Lodron Universität Salzburg in Zusammenarbeit mit der Salzburg Management GmbH – University of Salzburg Business School. Tätigkeit in einer Rechtsanwaltskanzlei sowie als Rechtsanwältin bei einer Kanzlei für Insolvenzverwaltung. Foto: Annegret Hübner