Die Erfahrungen, die Menschen und Unternehmen mit Inklusion machen, sind sehr individuell. Das ist einer der Gründe, warum es für viele Arbeitgeber eine Herausforderung ist, inklusive Teams aufzubauen. Arne Wettig, Geschäftsführer von Pfennigparade Business. Inklusiv., gibt hier Tipps, an denen sich Unternehmen orientieren können.
Marie beendet ihren Video-Call. Mittels der Live-Untertitel konnte sie der Besprechung ihres Teams gut folgen. Die Marketing-Managerin ist von Geburt an schwerhörig. Dank moderner Technologie kann sie fast problemlos an Besprechungen teilhaben.
Ihr Kollege hingegen kämpft sich in einer anderen Abteilung langsam zurück ins Arbeitsleben. Der Projektmanager ist nach einer Erkrankung nahezu erblindet und lernt nach und nach, sich mit den neuen Verhältnissen zu arrangieren. Sein Arbeitsplatz ist jetzt mit einer speziellen Tastatur für blinde und stark sehbehinderte Menschen ausgestattet. In der zum Unternehmen gehörenden Produktionsstätte arbeitet Karl, ein junger Mann mit Downsyndrom. Gewissenhaft sorgt er dafür, dass alle Werkzeuge am Abend wieder an ihrem Platz stehen und die Inventarliste up to date ist.
Die Arbeit in inklusiven Teams hat heutzutage in unserer Gesellschaft einen anderen Stellenwert als früher. So geht laut einer Studie der IU Internationalen Hochschule hervor, dass Unternehmen, die Diversity und Inklusion leben, auch für Bewerberinnen und Bewerber attraktiver sind (75,1 Prozent). Angesichts des anhaltenden Fachkräftemangels sollten Arbeitgeber daher auch in dieser Hinsicht bei potenziellen Mitarbeitenden punkten. Die Bereitschaft zu mehr Inklusion ist da, die tatsächliche Umsetzung ist für die meisten Unternehmen eine große Herausforderung.
Die Ergebnisse einer internationalen Vergleichsstudie von Indeed zeigen, dass Deutschland bei den Themen Diversity und Inklusion weit hinten liegt. Weniger als ein Drittel der Befragten gab an, einen Gleichstellungsbeauftragten im Unternehmen zu haben. Gleichzeitig bewerten nur 36 Prozent die Bemühungen ihres Arbeitgebers als gut. Ein Grund dafür ist unter anderem fehlendes Wissen über die Unterstützungsmöglichkeiten und die Besonderheiten aus Arbeitsrecht und Sozialgesetzbuch. Fragen bezüglich den speziellen Bedarfen von Menschen mit Behinderung oder den notwendigen Rehaaufenthalten und Förderungen muss der Arbeitgeber beantworten (können). Hier besteht dringender Unterstützungsbedarf.
Unterschiedliche Anforderungen an den Arbeitsplatz berücksichtigen
Die eingangs genannten Beispiele zeigen nur einen kleinen Ausschnitt der vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Menschen mit Behinderung und machen deutlich, dass je nach Einschränkung unterschiedliche Anforderungen an den Arbeitsplatz bestehen. Als Grundlage geht es darum, ein Bewusstsein zu schaffen, was ein inklusives Arbeitsumfeld ausmacht.
Ein sanfter Schritt, sich inklusivem Arbeiten anzunähern, wäre zum Beispiel, Arbeitsprozesse an inklusiv arbeitende Dienstleister auszulagern und aus der Zusammenarbeit zu lernen. Unternehmen, die direkt einsteigen möchten, sollten vorbereitend überlegen, welche Hürden zu meistern sind. So unterscheidet man zunächst zwischen den folgenden Herausforderungen.
- Physisch: Hierunter versteht man etwa den Zugang zu den Arbeitsplätzen. Dieser lässt sich meist durch einfache Umbaumaßnahmen, wie das Errichten von Rampen oder das Verlegen des Arbeitsplatzes in leicht zugängliche Büros, lösen. Doch auch der Zugang zu sanitären Einrichtungen und gemeinsam genutzten Räumlichkeiten muss gewährleistet werden.
- Technologisch: Dies bezieht sich auf Hindernisse, die durch mangelnde oder ungeeignete Technologien entstehen und den Zugang zu Informationen, Kommunikation und Arbeitsaufgaben erschweren. Kommunikationsbarrieren machen sich zum Beispiel durch die fehlende Bereitstellung von Informationen in leichter Sprache, Gebärdensprache oder Braille bemerkbar.
Assistive Technologien, wie Bildschirmleser für Sehbehinderte oder spezielle Eingabegeräte für motorisch eingeschränkte Personen, können hier unterstützen. Arbeitgeber, die noch wenig Erfahrung mit Inklusion haben, sind hier besonders auf die Informationen ihrer Mitarbeiter angewiesen, was diese für die Arbeit benötigen. - Rechtlich und bürokratisch: Damit ist fehlendes Wissen über spezielle Rechte für Menschen mit Behinderungen im Arbeitsrecht und Sozialgesetzbuch gemeint – auf Seiten der Arbeitgeber, aber auch der Arbeitnehmer. Zusätzlich ist der Zugang zu Unterstützungsmaßnahmen oder Förderprogrammen oft mit bürokratischen Hürden verbunden. Professionelle Ansprechpartner, wie zum Beispiel die zuständigen Inklusionsämter, die Integrationsfachdienste oder die Bundesagentur für Arbeit können hier Hilfestellungen leisten.
- Arbeitsorganisatorisch: Bedeutet, dass keine Flexibilität im Arbeitsalltag zugelassen wird. Starre Arbeitszeiten und -bedingungen können für Menschen mit chronischen Erkrankungen oder körperlichen Einschränkungen problematisch sein, da sie möglicherweise anpassbare Arbeitszeiten oder Pausen benötigen. Bedürfnis- und talentorientiertes Arbeiten sowie die Möglichkeit von flexiblen Arbeitszeitbedingungen und Mobilem Arbeiten sollten stärker in den Fokus rücken.
Stärken hervorheben und Hemmungen abbauen
Sind Arbeitgebern diese Barrieren bewusst, können sie diese mit überschaubarem Aufwand abbauen. Mitarbeitende mit Behinderung haben dann die Möglichkeit, ihre Einschränkungen mit Hilfe von Technologie oder organisatorischen Anpassungen zu kompensieren. Im zweiten Schritt geht es nun darum, auch mit einem gesellschaftspolitischen Blick auf inklusives Arbeiten zu schauen.
Denn Menschen mit und ohne Behinderung haben in unserer Gesellschaft häufig viel zu wenige Berührungspunkte. So kann es sein, dass es anfängliche Hemmungen in der Zusammenarbeit gibt. Hier ein paar Tipps, die helfen, aus Menschen mit und ohne Einschränkungen ein produktiv arbeitendes Team zu gestalten:
1. Nach Bedürfnissen und Stärken agieren
Grundsätzlich hilft es, Mitarbeitende mit und ohne Behinderung stärkenorientiert einzusetzen. Karl beispielsweise ist gewissenhaft und gut darin, Ordnung zu schaffen und einen Überblick über die notwendigen Materialien zu bewahren. Deshalb arbeitet er in der Produktionsstätte, wo er sein Talent gerne und sinnvoll für das Unternehmen einsetzt. Wird allen Teammitgliedern eine „passende” Rolle mit Aufgaben und Verantwortlichkeiten zugeordnet, werden gleichzeitig Teamfähigkeit und Sozialkompetenz gefestigt. Es entstehen mehr Ideen, mehr Kreativität – und so auch eine höhere Produktivität.
2. Future of Work inklusiv gestalten
Flexible Arbeitszeitmodelle, die Art von Technologie und die Art zu arbeiten, selbst zu wählen – all das sind Aspekte, die die sogenannte „Zukunft der Arbeit“ ausmachen. Hier gibt es relevante Überschneidungen, die genauso für das Arbeiten in inklusiven Teams gelten. Denn Mitarbeitende mit bestimmten Einschränkungen, wie chronische Krankheiten oder andere Behinderungen, wissen genau, wann sie produktiv sind, und sollten daher die Möglichkeit erhalten, sich ihre Arbeitszeit entsprechend einzuteilen. Die Implementierung von „Future of Work“-Elementen zahlt also sowohl auf die Attraktivität des Arbeitgebers bei BewerberInnen ein als auch auf die Förderung von Inklusion im Unternehmen.
3. Erfolgreiches Miteinander fördern
Eine gute Führung schafft eine nachhaltige Unternehmenskultur. Unternehmensverantwortliche und Mitarbeitende gleichermaßen können aktiv zum Beispiel als BotschafterInnen eine Vorreiterrolle einnehmen und Inklusion nach innen und außen leben. Körperliche Einschränkungen müssen nicht versteckt, aber auch nicht permanent thematisiert werden. Den Unterschied machen oft schon kleine Änderungen bei der Formulierung der Kommunikation, zum Beispiel bei einer Terminvereinbarung: „Übrigens, es kommt einer mit dem Rollstuhl“ ersetzen durch „Der Meetingraum muss barrierefrei für Rollstühle zugänglich sein“. Das Thema steht im Fokus und nicht die Person mit Behinderung.
Fazit: Sich trauen, einfach machen und profitieren
Unsere Arbeitswelt wandelt sich und der Fachkräftemangel zwingt Arbeitgeber dazu, über den Tellerrand zu schauen. Eine gute Ausgangslage, um Mitarbeitende mit Einschränkungen endlich viel stärker einzubinden. Die oben angeführten Tipps geben eine erste Hilfestellung, was Unternehmen beachten können, um inklusives Arbeiten intern zu fördern.
Unternehmen müssen in jedem Fall flexibel sein, um sich an die Erfordernisse anzupassen und Routinen im Alltag zu etablieren. Ich rate, dem offen gegenüberzutreten, damit loszulegen, auszuprobieren und von einer offenen Belegschaft zu profitieren – und so neben all dem, einen wichtigen Beitrag für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft zu leisten.
Zwar wird Inklusion auch nach wirtschaftlichen Aspekten beurteilt und lässt sich monetär leider nur schwer bewerten. Doch genau deshalb ist es jetzt so wichtig, aufzuklären und Unterstützungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
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Arne Wettig ist Geschäftsführer Pfennigparade Business. Inklusiv. Er vereint langjährige Erfahrung im Controlling mit Personalmanagement von Menschen mit und ohne Behinderung. Die Förderung eines inkludierenden Arbeitsumfeldes hat für ihn dabei stets oberste Priorität. Die Stiftung Pfennigparade mit ihren 15 Gesellschaften ist eines der größten Rehabilitationszentren für Menschen mit und ohne Körperbehinderung. Im Bereich Pfennigparade Business. Inklusiv. bieten inklusive Teams Dienstleistungen mit sozialem Faktor für Unternehmen jeder Größe. Foto: Carina Pilz