Lorenz Illing, Geschäftsführer und Cheftrainer der TAM Akademie, schildert hier seine 5 Hauptgründe, weshalb er die 4-Tage-Woche für keine gute Idee hält.
Die Studien und Erfahrungen, welche gerade in Business-Netzwerken, Magazinen, Artikeln und Büchern aus dem Boden sprießen, finde ich extrem spannend und ich freue mich wirklich sehr, wenn das Konzept für viele Menschen und Unternehmen funktioniert.
Dennoch möchte ich hier meine 5 Hauptgründe teilen, weshalb ich die 4-Tage-Woche für keine gute Pauschal-Idee halte:
1. Pauschallösungen sind alles andere als New Work.
Was soll die generalistische Diskussion über eine feste Stundenanzahl und über eine feste Aufteilung der Arbeitszeit auf vier Tage? Was hat das mit individuellen Lebenssituationen, Lebensentwürfen, Präferenzen und Lebenszielen zu tun? New Work bedeutet, den Menschen als Individuum mit seinen unterschiedlichen Bedürfnissen in den Mittelpunkt der Arbeitsgestaltung zu stellen, nicht einfach neue Methoden und Modelle zu schaffen, um sie dann erneut einfach allen überzustülpen!
2. Tu, was du wirklich wirklich willst.
Das war das Ziel des ursprünglichen New-Work-Gedankens. Warum soll man das, was man wirklich wirklich will, dann nur an vier Tagen in der Woche – und nicht an fünf oder sechs Tagen tun? Wenn die Arbeit sinnvoll ist, wenn sie mich erfüllt, warum soll ich sie dann nur vier Tage machen?
Die Grundannahme der 4-Tage-Woche ist, dass es etwas Sinnvolleres, Wertvolleres für mich zu tun gibt als das, was ich beruflich mache. Das ist häufig der Fall und völlig legitim (Kinder, Eltern, Haustiere, soziale Engagements, Side-Businesses, und so weiter). ABER: die 4-Tage-Woche schert alle über einen Kamm und geht davon aus, dass “Arbeit” nur den Zweck des Geldverdienens hat – und das ist mal so gar nicht New Work.
3. Wie viel Potenzial bleibt auf der Strecke?
Du findest nicht heraus, was in dir steckt, wenn du nur die 4-Tage-Woche kennst. Gerade in den Zwanzigern gibt es so wenige Verpflichtungen, so viel Kreativität, jugendlichen Leichtsinn und Energie wie wahrscheinlich nie wieder im ganzen Leben. Das ist der Lebensabschnitt, in dem ich herausfinde, was ich kann, wo ich hinwill, was in mir steckt. “The sky is the limit”.
Diese Jahre entscheiden über das berufliche Selbstvertrauen. Wer in dieser Phase nicht den fünften oder gar sechsten Gang kennenlernt, wird ihn wahrscheinlich nie kennenlernen. Das bedeutet nicht, dass sich jede / jeder in 80-100-Stunden-Wochen bis zum Burnout treiben soll. Es bedeutet, dass man sich in mehr Zeit auch mehr selbst kennenlernen, austesten und ausweiten kann, um so langfristig das wahre Potenzial ausschöpfen zu können. Finde heraus, was in dir steckt. Growth Mindset in Verbindung mit maximaler Unterstützung: das ist New Work.
4. Eine 4-Tage-Woche benötigt zu viel Effizienz!
Ein rein auf Effizienz getrimmter Arbeitsplatz ist ein unattraktiver Arbeitsplatz. Ich habe neulich eine Dokumentation über eine Agentur gesehen, die die 4-Tage-Woche eingeführt hat. Und, was soll ich sagen? Sie hat mir einen riesigen Schrecken eingejagt! So würde ich nicht arbeiten wollen.
Zur Arbeit kommen, um fokussiert gegen die rückwärts laufende Uhr zu arbeiten und den informellen Austausch unter Gleichgesinnten, freies Brainstorming, spaßige Pausen und mehr rauszukürzen, fühlt sich einfach nur wie Akkordarbeit an.
Die sozialen und kulturellen Komponenten im Arbeitsalltag sind doch ein wesentlicher Teil, warum viele ihre Arbeit lieben. Wir können die “100-80-100 Regel” (100 Prozent Gehalt, 80 Prozent Arbeitszeit, 100 Prozent Output) zum neuen Nordstern machen, aber das ist wie ein Restaurantbesuch gegen die Stoppuhr. Es geht nicht ausschließlich um die schnellstmögliche Nahrungsaufnahme: Arbeitszeit ist Lebenszeit. New Work heißt MEHR MENSCH am Arbeitsplatz, nicht weniger.
5. Weiterbildung ab sofort bitte in eurer Freizeit.
Die modernen “Lern-Nuggets” könnt ihr euch ja dann auf dem Handy in der Bahn reinziehen. Was ist mit intensiven Onboardings, umfangreichen Weiterbildungen, Hard- und Softskill-Entwicklung, Lese- und Study-Times? Ist dafür dann noch Zeit? Nehmen sich Seniors dann noch Zeit für Mentorings von Juniors? Helfen sich Kolleginnen / Kollegen dann noch untereinander? Bleibt noch Zeit für gemeinsame Kulturentwicklung?
Ich glaube, hier würde sehr viel verloren gehen.
Wir bei der TAM Akademie machen das anders. Wir haben gemeinsam den “No-Meeting-Tuesday” eingeführt. Einen Tag fürs “Tunneln”. Fürs Abarbeiten, Lernen, Brainstormen, Benchmarken. Fürs “mal mittags zum Sport gehen”, Wäschewaschen oder für das ungestörte Widmen von aufgeschobenen To-Do’s, die einem im Nacken sitzen. An diesem Tag finden keine Meetings statt, niemand stellt dringende Anfragen. Man kann ungestört Aufgaben erledigen und trotzdem mit Kolleg:innen frühstücken gehen.
Denn ich bin überzeugt: man muss Menschen nicht vor der Arbeit beschützen. Man muss ihnen nur genug Möglichkeiten geben, die Arbeit nach ihren Vorstellungen mitzugestalten.
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Lorenz Illing ist Geschäftsführer und Cheftrainer der TAM Akademie, eine der ältesten und renommiertesten Weiterbildungsakademien Deutschlands, die sich auf die Themen Modern Leadership und New Work spezialisiert hat.