Über schlechte Führungskräfte wird gerne offen gelästert, über unfähig-unwillige Teammitglieder eher im kleinen Kreis. Jannis Tsalikis und Eva Stock schildern beide Seiten.
Jannis Tsalikis und Eva Stock erzählen in ihrem Buch „HR True Story“ Geschichten aus dem „HR-Nähkästchen“ – und sie schlagen Lösungen vor. Einen großen Raum geben sie der Diskussion über „schlechte“ Chefinnen und Chefs – und den Pendants in der Belegschaft.
Chefinnen und Chefs
„Die meisten Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter kündigen nicht wegen des Jobs, sondern wegen der Führungskräfte“ – diese bekannte Aussage hat immer noch ihre Berechtigung. Oftmals wird der durchsetzungsstärksten und lautesten Persönlichkeit Führungscharakter zugesprochen. Oder der besten Fachkraft wird in Ermangelung von Alternativen die Teamleitung anvertraut. Zudem gilt: Hauptsache, der Laden läuft. In den allermeisten Organisationen werden Führungskräfte vor allem an den Ergebnissen ihres Verantwortungsbereiches gemessen. Nicht aber an dem Schaden, den sie in ihren Teams anrichten (können). In vielen Unternehmen ändern sich allerdings Führung und Führungsstrukturen, nicht zuletzt aufgrund der Pandemie.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Dann gibt es auf der anderen Seite aber auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zum Verzweifeln sind. Junge Menschen, die gut sind, keine Frage, die sich selber manchmal aber auch vollkommen überschätzen und mit den unglaublichsten Entwicklungs- und Verdienstwünschen um die Ecke kommen. Ältere Kolleginnen und Kollegen, die sich Veränderungen verweigern. Oder solche, die sich einfach nicht mehr weiter entwickeln wollen.
Was HR tun kann
Unternehmen brauchen ein HR-Management, das permanent im Sinne einer Krisenfrüherkennung agiert und handelt, sagen Jannis Tsalikis und Eva Stock. Dies bedeutet:
- Früh erkennen, wo es Probleme mit der Performance oder der Führung gibt.
- Verstehen, was genau zu der problematischen Situation führt, und Lösungsansätze ausloten.
- Lösungsmöglichkeiten vereinbaren und die Umsetzung begleiten.
Jetzt aber kommen zwei HR True Stories aus dem Buch, die viele von Ihnen kennen dürften.
Chefinnen und Chefs: Die Fehler der anderen
„So wie du arbeitest, machen andere Urlaub“, sagte Michael, als er am Morgen auf dem Weg ins Büro an seinem Assistenten vorbeikam. Michael war Geschäftsführer eines Meinungsforschungsinstituts und hielt sich selbst für einen großartigen Lenker, Visionär und Mentor – insbesondere für seinen Assistenten Thorsten.
Schon während dessen Vorstellungsgespräch hatte Michael klargemacht, worauf es ihm in der Firma ankomme. „Ich stelle hier nur Leute mit Einser-Durchschnitt ein, denn in meiner Firma arbeiten nur die Besten“, hatte er gesagt, dabei allerdings verschwiegen, dass er selber nur ein abgebrochenes Sportstudium hinter sich hatte. Inspiriert von TV-Charakter Bernd Stromberg hatte Michael ein Rudel aus testosteronsprühenden Kollegen um sich geschart, die selbstverständlich seinen Humor für den größten und lustigsten hielten.
Davon überzeugte sich Michael regelmäßig, indem er keine Gelegenheit ausließ, diesen Humor zu demonstrieren, woraufhin er überwiegend auch zustimmendes Gelächter erhielt. Er liebte Sprüche wie „Du kriegst gleich ’nen Schlag an den Hals“ oder auch „Wie, heute nur halbtags?“, wenn andere vor ihm das Büro verließen. Gern sagte er auch sowas wie „Karriere ist kein Nonnen-Hockey“ oder „Sei mal nicht so eine Sissy“, vor allem zu seinem noch jungen Assistenten Thorsten.
Thorsten war in dem Unternehmen unter anderem für die Forecast-Planung, das Projektcontrolling und die Abrechnung zuständig. Gemeinsam mit der IT-Abteilung hatte er sogar ein Programm eigens für das Unternehmen entwickelt, sodass er die Zahlen immer aktuell im Blick hatte und direkt auch an Michael berichten konnte. Er erinnerte die Abteilungsleiter regelmäßig daran, die Umsatzplanung in das Programm einzutragen und diese Angaben auch regelmäßig zu überprüfen.
Eines Tages fiel Thorsten bei der Erstellung des monatlichen Reportings auf, dass Umsätze fehlten, die fest eingeplant gewesen waren. Es ging um Defizite, die für das Unternehmen gefährlich werden konnten. Michael tobte, als er davon erfuhr, schließlich hatte ihm Thorsten von ganz anderen Zahlen und damit auch von einer guten Projektlage berichtet. Aufgeregt rief er Thorsten zu sich ins Büro und bat ihn, alle Zahlen in Abstimmung mit den Abteilungsleitern zu prüfen. Der Fehler müsse schnellstmöglich gefunden werden. Die nächste Gesellschafterversammlung stehe vor der Tür, sowas könne er gerade gar nicht gebrauchen.
Thorsten machte sich an die Arbeit und wühlte sich durch sämtliche Rechnungen, Verträge und die Forecast-Planung. Keiner der Abteilungsleiter hatte eine Erklärung, keiner half ihm. Thorsten arbeitete die ganze Nacht durch. Leider ohne Ergebnis. Über den aktuellen Stand informierte er Michael direkt per SMS. Als Michael dann im Büro erschien, blieb er an Thorstens Schreibtisch stehen und sagte mit hochrotem Kopf und verzerrtem Gesicht zu ihm: „Das geht gar nicht! Es ist deine Schuld, dass uns die Umsätze fehlen, und es ist deine Schuld, dass wir jetzt Mitarbeiter entlassen müssen!“ Thorsten wusste nicht, wie ihm geschah. Er war so schockiert und so müde, dass er einfach nicht reagierte und wie versteinert auf seinem Stuhl sitzen blieb.
Noch am gleichen Tag stellte sich heraus, dass die Umsätze gar nicht fehlten, sondern von den Abteilungsleitern falsch in das System eingetragen worden waren. Thorsten hatte dies schließlich anhand der jeweiligen Nutzerprofile und der darin gespeicherten Daten nachvollziehen können, sodass auch Michael am Ende des Tages wieder lachen konnte. In der darauffolgenden Mitarbeiterversammlung kam er auf das Thema noch einmal zu sprechen. Der Fehler habe glücklicherweise gefunden und behoben werden können. Michael bedankte sich für die akribische Arbeit – bei den Abteilungsleitern. Thorsten erwähnte er mit keinem Wort.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Kein Anschluss unter dieser Nummer
Mit viel Elan, aber auch mit einem etwas mulmigen Gefühl, startete Lars in seine neue Aufgabe in der Zentrale eines großen Konzerns. Während seines einjährigen Traineeships sollte er so viele Stationen wie möglich kennenlernen, und diese drei Monate in der Zentrale waren eigentlich der Höhepunkt. Nervös war Lars aber auch, weil er in der Personalabteilung eingesetzt werden sollte. Er wusste von dieser Abteilung nur eines: dass sie nie zu erreichen war. Wann immer er dort vorstellig geworden war – es hatte jedes Mal ewig gedauert, bis er auf seine Fragen eine Antwort erhalten hatte. Ans Telefon war eigentlich nie jemand gegangen.
„Na ja, Mama, ich hab jetzt sicherlich viel Stress … da können wir wahrscheinlich nur alle 14 Tage mal sprechen. Jaha, Mama, ich werde mir auch mal was kochen“, hatte Lars am Vorabend seines ersten Arbeitstags zu seiner Mutter gesagt, als er, schon etwas genervt, noch einmal mit ihr telefonierte. Ansonsten war aber alles ziemlich aufregend, Zentrale, Großstadt, er hatte sogar ein nettes Zimmer zur Zwischenmiete in einer WG gefunden. Aber ein bisschen mulmig war ihm dann eben doch zumute.
Der erste Arbeitstag verging wie im Fluge. Lars lernte die Kolleginnen und Kollegen kennen und wurde durch das Haus geführt. Dann musste er sich seinen Rechner einrichten und ein paar E-Mails bearbeiten, die schon in seinem Postfach lagen. Und vor allem musste er eines: ans Telefon gehen. Das klingelte nämlich bei seinen beiden Kolleginnen, mit denen er das Büro teilte, ziemlich oft. Nur – die beiden waren nicht da. „Sorry, du kommst wirklich leider ungünstig, wir sind den ganzen Tag im Meeting! Aber schön, dass du da bist!“, war das einzige, was Lars an diesem ersten Tag von ihnen hörte.
Am nächsten Morgen kam Lars gut gelaunt ins Büro. Als er die Tür öffnete und ein freundliches „Guten Morgen!“ hineinschmetterte, kam nur ein zögerliches „Morgen“ zurück, ohne dass eine der beiden Damen aufgeblickt hätte. „Na, dann halt nicht!“, dachte sich Lars, fuhr seinen Rechner hoch und öffnete sein E-Mail-Programm. Nach zirka 15 Minuten klingelte das Telefon. Es klingelte und klingelte. Die jüngere Kollegin schaute kurz aufs Display und widmete sich weiter ihren E-Mails. Die ältere reagierte nicht einmal. So ging das an dem Morgen noch zirka acht Mal, und Lars fühlte sich bei jedem Anruf, der nicht angenommen wurde, unwohler. Gegen Mittag erhoben sich die beiden Damen, wünschten „Mahlzeit“ und verschwanden in die Kantine – ohne Lars einzuladen.
Lars war unsicher. Wollten sie, dass das Büro immer besetzt war?! Er blieb sitzen, nahm zwei Anrufe entgegen und fertigte dazu Gesprächsnotizen an, die er zu den anderen Notizen auf den Schreibtisch legte. Nachdem die beiden Kolleginnen aus der Mittagspause zurückgekehrt waren, wartete Lars noch einen Moment. Vielleicht würden sie ihn ja fragen, ob er schon essen war oder noch gehen würde. Nach zirka zwei Minuten kam ein spitz-säuerliches: „Duuuu, Laaars…“ über den Schreibtisch geflogen. „Ja?“ Lars sah zur jüngeren Kollegin auf.
„Lars, also was sollen denn diese Notizen hier?! Das haben wir heute Morgen schon gesehen!“ „Na ja, äh, das sind Gesprächsnotizen. Die Leute haben angerufen, als ihr nicht da wart, und bitten um Rückruf.“ „Ja, also das verstehe ich schon. Aber weißt du: Wir sind hier in der Zentrale, ich kann nicht für Hinz und Kunz erreichbar sein – da komme ich ja zu gar nix!“ „Also, äh … das waren ja Kolleginnen und Kollegen aus den Regionen, und ich dachte …“ „Lars, ich arbeite hier schon länger, und lass dir gesagt sein: Da müssen wir nicht rangehen! Die können ja auch eine E-Mail schreiben, wenn es so doll wichtig ist, nicht?! Wir gehen hier nur bei den Leitern ran.“ Die Kollegin verzog das Gesicht zu einem verkniffenen Lächeln.
„Ah so. Na ja. Okay. Ich geh dann jetzt mal in die Mittagspause …“ Lars dachte an die unzähligen Male, die er vergeblich versucht hatte, die Zentrale zu erreichen, als er in der Kantine lustlos den Kartoffelbrei in sich hineinschaufelte. Nach dem zweiten Monat hatte Lars sich schon einen festen Platz in der Wahrnehmung der regionalen Personalerinnen und Personaler erobert, und meistens riefen die Leute einfach ihn an, wenn sie Hilfe oder Auskunft brauchten. Der Wind in der Abteilung drehte sich erst, als ein neuer Chef einzog und die fragwürdige Telefonpraktik unterband. Eine der Kolleginnen wechselte daraufhin in eine andere Abteilung.
Das Buch zum Thema
Tsalikis, Jannis, Stock, Eva: HR True Story: Die heimlichen Herausforderungen und Katastrophen der Personalarbeit und wie man sie meistert; Springer Gabler 2019; 212 Seiten; eBook ISBN 978-3-658-25655-5; Softcover ISBN 978-3-658-25654-8; 32,99 Euro
Eva Stock ist Head of Business Relations bei Jobufo, einem innovativen Recruiting-Anbieter aus Berlin. Sie bloggt zudem auf hrisnotacrime.com über HR-Themen. © Janek Coppenhagen
Jannis Tsalikis ist General Manager Human Resources bei Lautsprecher Teufel in Berlin und Mitinitiator des HR Barcamps. Er bloggt seit 2009 auf „Mein Freund die Arbeitgebermarke“ zu Themen wie Employer Branding, Personalmarketing und Recruiting. Das „Personalmagazin” zählte ihn 2018 zu Deutschlands 25 Top HR-Influencern. Zusammen mit Eva Stock veröffentlichte er in 2019 das Buch "HR True Story - Die heimlichen Herausforderungen und Katastrophen der Personalarbeit und wie man sie meistert".