Hotelification: Neue Büros werden immer häufiger als Hotel gedacht, das den Menschen ein Maximum an Services bietet. Oliver Lehmann, General Manager bei Mindspace, wirft einen Blick in die -nahe- Zukunft.
Social-Areas zum gewollten Abschalten und Abschweifen, offene Küchen als Kommunikationszentren, gutes Raumklima und gute Laune durch Grünpflanzen und ausgeklügelte Lüftungssysteme – das alles ist längst Normalität bei modernen Bürolandschaften. Denn die architektonische und bauliche Ausgestaltung stellt immer mehr die physische und psychische Gesundheit der Menschen ins absolute Zentrum.
Bei Flexoffice-Anbietern und Coworking-Spaces geht man in diesem Punkt üblicherweise sogar noch über die reine bauliche Bürogestaltung hinaus und wird sozial: Ausgangspunkt sind sogenannte Community-Manager. Sie sind dafür verantwortlich, das individuelle Stresslevel der Menschen zu senken – indem sie ihnen die vielen kleinen und größeren täglichen Herausforderungen abnehmen, die nicht direkt mit der eigentlichen Arbeit zusammenhängen.
Zudem erschaffen sie eine Community innerhalb des Gebäudes. Sie bringen inspirierende Menschen aus unterschiedlichen Unternehmen zusammen. Ähnlich wie bei einer guten Nachbarschaft in einem Wohnhaus werden im Flexoffice-Gebäude wohltuende Gemeinschaftswerte getriggert, oft kombiniert mit Health-Benefits. Beispiele sind gemeinsame Yoga-Kurse, Pilates-, Meditations- oder Entspannungssessions. Oder Events oder Expertenvorträge rund um eine gesundheitsfördernde Ernährung.
„Hotelification“ – Das Büro als Hotel
Derartige Angebote dürften vom Flexoffice bald auch auf „normale“ Büros überschwappen und den Menschen damit auch dort noch mehr ins Zentrum rücken. Das Fraunhofer Institut sieht Yoga-Kurse und Entspannungssessions als generelles Büro-Szenario, das hierzulande bis 2030 Realität werden kann — und tatsächlich sehe ich beispielsweise in Israel, wie weit Büros in anderen Ländern bei diesem Thema schon sind.
Zudem nimmt der Trend zur „Hotelification“ des klassischen Büros weiter zu: Neue Offices werden immer häufiger als Hotel gedacht, das den Menschen auf der Fläche ein Maximum an Annehmlichkeiten und Services bietet. Statt Quadratmetern zählt „Office as a Service“ – und die Frage, wie gut ein Büro zur Kollaboration und Kreativarbeit einlädt, wie beispielsweise der Bestandshalter Wealthcap in einer aktuellen Studie über die Zukunft der Wissensarbeit feststellt.
Auch dort die Botschaft: Es braucht „Kümmerer“ in den Büros, die vernetzen und für Gesundheit und Well-being sorgen, sei es ein engagierter Concierge oder besagter Community-Manager. Unsere Gesellschaft scheint auf einer Schnellstraße zum Wellness-Büro zu sein, das nicht nur im Flexoffice-Segment, sondern allgemein die Arbeitslandschaft dominieren wird.
Zwei Drittel aller Büros sind veraltet
Anders als das Fraunhofer Institut halte ich für „normale“ Büros allerdings einen Zeitraum bis 2030 nicht für realistisch. Ein Grund ist baulicher Natur: Es sind eben nur die jungen, modernen Bürolandschaften, die mit den eingangs genannten Social-Areas, mit opulenten Küchen und Co. punkten. Dem stehen die vielen veralteten Grundrisse und Strukturen gegenüber, die hierzulande gegenwärtig noch massiv in der Mehrheit sind. Sie machen ungefähr zwei Drittel aller Büroimmobilien in Deutschland aus, wie die Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg kurz vor der Pandemie erhoben hat. Wie groß müsste die Büroneubau- und Sanierungsquote sein, um eine derartige Dominanz der verstaubten Flure innerhalb von acht Jahren zu brechen und mehrheitlich die baulichen Voraussetzungen für Wellness-Büros zu schaffen?
Gesundheit als Auslöser gesamtgesellschaftlicher Veränderung
Ein weiterer Grund, warum das Jahr 2030 fraglich sein dürfte, ist der sogenannte Kondratjew-Zyklus: Darin wird eine allgemein wellenförmige Wirtschaftsentwicklung unterstellt – mit Innovationen als auslösende Schübe für eine veränderte gesamtwirtschaftliche und auch gesamtgesellschaftliche Entwicklung, die im Abstand von 40 bis 60 Jahren einen neuen Zyklus einleiten. Eine Art Biorhythmus für den ständigen Strukturwandel.
Der aktuelle Zyklus, der zwischen 2000 und 2010 begann, hat seinen Auslöser in der psychischen und physischen Gesundheit, genauer gesagt: in der Gesundheitskompetenz als maßgeblicher Wettbewerbsfaktor zwischen Unternehmen und Volkswirtschaften. Es gibt Stimmen am Markt, die auch das Wellness-Büro zu einem wichtigen Element dieser Entwicklung erklären. Denn die baulich-räumliche Arbeitsumgebung verändert sich je nach Zyklus. Büros sind immer gebaute Antworten auf die Veränderungsphasen und Umwälzungen durch die jeweilige Welle.
Gebaute Antworten
Allerdings zeigt eine Dissertation an der Leibnitz Universität Hannover: Mit Beginn einer Kondratjew-Welle folgt durchaus rasch eine neue bis sogar Prototyp-artig revolutionäre Architektur mit zunehmender Nutzerorientierung. Ein Beispiel: In den 1980er- und 1990er-Jahren war die veränderte Informationstechnik der Auslöser für einen Strukturwandel der Wirtschaft und Gesellschaft und brachte eine neue Welle hervor.
In einer Werbeagentur in Los Angeles wurde daraufhin erstmals ein „Mobile Office“ ausprobiert: Mit Laptops, die man beim Reinkommen abgeholt hat, und gänzlich freier Platzwahl, mit inspirierendem Design und einem neuen Look-and-Feel. Eine Revolution damals, aber eben nur ein Prototyp. Wir alle wissen, dass das „Mobile Office“ noch Jahrzehnte brauchte, um sich tatsächlich durchzusetzen.
Mit Blick auf den Beginn des aktuellen Zyklus (wie gesagt: irgendwann zwischen 2000 und 2010) und der Dauer der Zyklen (40 Jahre und mehr) klingt für mich das Jahr 2040 oder 2050 als Horizont für die komplette oder zumindest weitgehende Marktdurchdringung wahrscheinlicher als 2030.
Wachsender Druck
Allerdings bleibt die Entwicklung im Flexoffice- und Coworking-Segment zu beobachten. Bis 2030 wird weiterhin ein enormes Wachstum auf bis zu 30 Prozent Marktanteil prognostiziert. Vielleicht wird dieser Zeitpunkt verfehlt. Aber die Richtung stimmt: Viele Flexoffice-Anbieter wachsen derzeit, wir auch. Dadurch wächst auch der Druck auf konventionelle Büroanbieter, dem Trend in Richtung Wohlfühlimmobilie und „Hotelification“ zu folgen.
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Oliver Lehmann ist General Manager bei Mindspace, einem globalen Anbieter von Boutique Coworking Spaces. Mit mehr als 13 Jahren Erfahrung im Immobiliengeschäft verantwortet der Experte für Sales und Real-Estate seit 2019 die Strategie des israelischen Unternehmens in Deutschland. Oliver hat für diverse Firmen das europäische Geschäft aufgebaut und ist der Überzeugung, dass der richtige Arbeitsplatz dazu beiträgt, die Produktivität zu steigern und die besten Talente anzuziehen und zu halten.