Deutschland ist nicht wirklich attraktiv für globale Talente, grundsätzlich aber gut aufgestellt. Philipp Riedel, CEO von Avantgarde Experts, verrät, was Politik und Unternehmen tun können, damit ein „welcome to Germany“ bei ausländischen Fachkräften erfolgreich ankommt.
Globale Talente einzustellen, ist zu einem wichtigen Faktor für die Volkswirtschaft avanciert. Dementsprechend hat sich der weltweite Wettbewerb um hochqualifizierte Arbeitskräfte verschärft. Schließlich können sich begehrte Fachkräfte das beste Zielland für sich und ihre Familie aussuchen.
Leider liegt Deutschland auf diesem Gebiet nicht nur im Mittelfeld. Wir sind im Vergleich zu 2019 auch zurückgefallen, wie die aktuelle Studie „Indicators of Talent Attractiveness“ der OECD und der Bertelsmann Stiftung ergeben hat.
Ein Grund für den Rückstand innerhalb der 38 Industriestaaten: Die Bedingungen bei uns haben sich zwar nicht verschlechtert – allerdings sind andere besser geworden. Im harten Wettbewerb um globale Talente passen die OECD-Länder ständig ihre Einwanderungspolitik an, um hochqualifizierte Arbeitskräfte, Unternehmerinnen / Unternehmer und Studierende aus dem Ausland anzuziehen. Hierzulande ist – außer an Debatten und Ankündigungen – nichts Handfestes passiert.
Stagnation zeigen sich hier ähnlich wie in anderen Politik- und Lebensbereichen. Ende März wurde zumindest ein Entwurf für ein neues Fachkräfteeinwanderungsgesetz vom Bundeskabinett beschlossen. Damit sollen die Weichen gestellt werden, dass internationale Fachkräfte auf unserem Arbeitsmarkt besser Fuß fassen können. Ein wichtiger Schritt, denn ohne qualifizierte Zuwanderung können wir dem Fachkräftemangel nicht entgegenwirken.
Globale Talente: Andere Länder tun mehr
Die Studie hat für alle OECD-Länder die Rahmenbedingungen auf sieben Gebieten untersucht: Qualität der beruflichen Chancen, Einkommen und Steuern, Zukunftsaussichten, Möglichkeiten für Familienmitglieder, das Kompetenzumfeld sowie Diversität und Lebensqualität. Zusätzlich wurde auch die Visaerteilung berücksichtigt – ein zentrales Ärgernis, das jeder versteht, der es schon einmal mit deutschen Behörden und Ämtern zu tun hatte.
Interessant an den Ergebnissen ist, dass aus Sicht hochqualifizierter Fachkräfte nicht die USA auf den vorderen Plätzen zu finden sind, sondern eher kleine und mittelgroße Länder wie Neuseeland, Schweden, Schweiz, Australien und Norwegen. Gegen Deutschland sprachen die Chancen ausländischer Akademikerinnen, hochqualifizierte Jobs entsprechend ihrer Kompetenz zu besetzen, die Einbürgerungspraxis und die schleppende Digitalisierung.
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Attraktivität für Unternehmen aus dem Ausland. Hier sind Schweden, die Schweiz, Kanada, Norwegen und Neuseeland an der Spitze – Deutschland fällt drastisch von Platz 6 auf Platz 13 zurück. Neben der miserablen Digitalisierung spielt hier das erforderliche Mindestkapital für Kapitalgesellschaften eine Rolle. Zum ersten Mal wurden die Rahmenbedingungen für Start-up-Gründerinnen und -Gründer untersucht. Und obwohl sich die Bundesrepublik für die Startup-Kultur rühmt, sind andere Länder attraktiver: Kanada, USA, Frankreich, Großbritannien und Irland. Deutschland liegt abgeschlagen auf Platz 12.
Unsere Stärken liegen in den Universitäten: Wir sind ein Magnet für internationale Studierende, und zwar gleich auf Platz 2 hinter den USA. Hier können wir aus Sicht der Bertelsmann Stiftung mit „exzellenten Universitäten, geringeren Kosten für das Studium und guten Arbeits- und Bleibemöglichkeiten punkten.“
Von anderen Ländern abheben
Deutschland hat kein generelles Attraktivitätsproblem. In Kultur, Infrastruktur, (sozialer) Sicherheit und Lebensqualität präsentiert sich die Bundesrepublik stark. Doch allgemein muss es ausländischen Fachkräften und Unternehmer:innen von außerhalb der EU deutlich einfacher gemacht werden, sich eine Karriere aufzubauen. Dazu gehören vor allem bürokratische und langwierige Antragsprozesse für das Visum und die Aufenthaltserlaubnis: Hier muss endlich der Knoten gelöst werden, schließlich leben wir im Zeitalter der Digitalisierung.
Es reicht nicht, wenn wir gut oder sehr gut sind – Deutschland muss sich von anderen Ländern abheben. Allerdings sind wir sogar durchgehend schlecht – sowohl im Vergleich der Länder als auch der einzelnen Bereiche – besonders beim Kriterium der „Qualität der beruflichen Chancen“. Zusätzlich abschreckend wirkt auch die hohe Steuerlast. Haben Beschäftigte in Deutschland maximal die Möglichkeit auszuwandern, haben es Arbeitnehmende aus dem Ausland wesentlich leichter und entscheiden sich im Zweifel für ein Land, welches ein höheres Nettoeinkommen bietet.
Englisch im Alltag etabliert?
Ein weiteres Defizit ist die Sprache: Es ist kein Wunder, dass im Ranking die englischsprachigen Länder und Skandinavien, wo Englisch im Alltag etabliert ist, besonders gut abschneiden. Nun ist Englisch auch hier Businesssprache in vielen Startups und Konzernen – jedoch nicht flächendeckend in allen Abteilungen. Vor allem große Unternehmen tun sich – anders als erwartet – oft schwer, Sprachbarrieren abteilungsübergreifend abzubauen. Natürlich sollte es für in Deutschland lebende Fachkräfte ein Anspruch sein, unsere Sprache zu erlernen. Um Einstieg und Arbeitgeberattraktivität zu erhöhen, spielt sprachliche Barrierefreiheit allerdings eine entscheidende Rolle.
Studierende halten
Deutschland für Fachkräfte attraktiver zu machen, ist eine politische sowie unternehmerische Kraftanstrengung. Eine Chance könnte genau da liegen, wo wir auf dem Siegertreppchen stehen: bei den Studierenden. Denn sobald diese mit dem Studium fertig sind – und die deutsche Sprache, Kultur und Land kennen – werden sie oft genug vergrault, nicht selten, weil es bisher noch keine weitere automatische Aufenthaltserlaubnis gibt.
Ein Wahnsinn, ausgerechnet jene wieder loszuwerden, die hochqualifiziert und bereits vor Ort sind. Der hier nötige politische Federstrich wurde zumindest erkannt und in dem neuen Gesetzentwurf berücksichtigt. Mit einem in Deutschland erworbenen Abschluss soll man künftig direkt eine qualifizierte Beschäftigung bei uns ausüben dürfen. Unternehmen können dem vorweg greifen und sollten internationalen Studierenden frühzeitig Arbeitsverträge anbieten, um sie zu binden und eine Abwanderung in Deutschland ausgebildeter Talente zu verringern.
Altbekannte Hürden abbauen
Die nächsten Brennpunkte sind die Anerkennung ausländischer Abschlüsse und das Erlangen der Staatsbürgerschaft. Auch diese beiden sattsam bekannten Themen müssen endlich gesetzlich-politisch gelöst werden. Im neuen Gesetzentwurf zur Fachkräfteeinwanderung wurden immerhin erste Hürden zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse reduziert und entsprechende Verfahren sollen künftig deutlich schneller gehen. Hoffentlich gelingt hier die Übertragung in die behördliche Praxis – denn bekanntermaßen sind Gesetzbeschluss und Umsetzungsmöglichkeiten in der Realität zweierlei Dinge.
Des Weiteren gibt es eine Reihe von Punkten, die uns alle hierzulande betreffen – aber erst recht aus ausländischer Perspektive betrachtet unattraktiv wirken: Unternehmen müssen mehr in die berufliche Bildung investieren und radikal besser für Aufstiegschancen sorgen. Zusätzlich muss von staatlicher Seite gefördert werden, dass Privatleben, Familie und Arbeit gleichzeitig möglich sind. In diesem Zuge müssen Frauen besser gefördert werden, damit der Wiedereinstieg in den Beruf, nachdem sie Kinder bekommen haben, erleichtert wird. Gerade bei diesen Aspekten sind beispielsweise skandinavische Länder offener und flexibler.
Globale Talente: Punktesystem einführen
Vor allem aber muss Deutschland endlich das langersehnte Programm zur gezielten und systematischen Einwanderung von globalen Talenten installieren – nach bewährtem Punktesystem à la Kanada oder Australien. Dahinter steht dann ein gewaltiger Verwaltungskraftakt – der aber, selbst wenn er erfolgreich ist, nicht ausreicht. Vielmehr benötigen wir eine umfassende Willkommenskultur für Top-Leute. Wir müssen mehr für jene werben, die wir brauchen. Doch ich habe Hoffnung und die Ausgangsvoraussetzungen sind gut für ein „Herzlich willkommen in Deutschland!“. Denn die Konkurrenz zeigt uns, wie man es richtig macht.
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Philipp Riedel ist CEO der Personalberatung AVANTGARDE Experts. Das Unternehmen vermittelt Fach- und Führungskräfte aus den wichtigsten Unternehmensbereichen und verfügt über Standorte in München, Hamburg, Köln, Stuttgart und Dubai. Zu den über 1.000 Kunden zählen nationale und internationale Markenkonzerne, mittelständische Betriebe sowie Agenturen und Startups.