Was unterscheidet die „geschlechterneutrale Elternzeit“ bei Henkel von der gesetzlichen Elternzeit? Eine rechtliche Einordnung von Arbeitsrechtler Volker Serth.
Der Konsumgüterriese Henkel beabsichtigt die Einführung einer sogenannten „geschlechterneutralen Elternzeit“ für das Jahr 2024. Dieses Konzept soll es dem Partner oder der Partnerin im ersten Jahr nach der Geburt, der Aufnahme oder der Adoption eines Kindes ermöglichen, bis zu acht Wochen freigestellt zu werden. Diese Freistellung soll unter vollständiger Lohnzahlung erfolgen, indem Henkel das bisherige Elterngeld für diesen Zeitraum auf das volle Gehalt aufstockt.
Mit der „Familienstartzeit“ plant die Bundesregierung 2024 ebenfalls einen gesetzlichen Anspruch auf eine 10- tägige Freistellung des Partners nach der Geburt des Kindes. Henkel will das eigene Modell der sogenannten „geschlechterneutralen Elternzeit“ dagegen rückwirkend für alle ab dem 1. Januar 2024 geborenen Kinder in Standorten in 80 Ländern anbieten. Henkel möchte damit nicht nur werdende Eltern, sondern auch Adoptiv- und Pflegeeltern insbesondere in der ersten intensiven Zeit nach der Geburt, der Aufnahme oder Adoption des Kindes unterstützen.
I. Inwiefern unterscheidet sich die geschlechterneutrale Elternzeit von der bereits zur Verfügung stehenden „Elternzeit“?
Gemäß § 15 BEEG (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz) haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen Anspruch auf Elternzeit, wenn sie mit ihrem Kind in einem Haushalt leben und dieses Kind selbst betreuen und erziehen. Die Elternzeit gewährt einen Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeit für bis zu drei Jahre. Grundsätzlich besteht der Anspruch auf Elternzeit bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres eines Kindes. Dabei handelt es sich um ein einseitiges Gestaltungsrecht des Arbeitnehmers, weshalb die Freistellung allein aufgrund der Erklärung des Arbeitnehmers eintritt. Dabei bedarf es nicht des Einverständnisses des Arbeitgebers. Gemäß § 15 Abs.2 S.6 BEEG ist der Anspruch auf Elternzeit unabdingbar, d.h. es darf hiervon nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers abgewichen werden.
Im Gegensatz dazu ist die sogenannte „geschlechterneutrale Elternzeit“ eine freiwillige Sonderleistung von Henkel, auf welche der Arbeitnehmer keinen gesetzlichen Anspruch hat. Weiterhin knüpft die „geschlechterneutrale Elternzeit“ an den direkten Zeitraum nach der Geburt, der Adoption oder der Aufnahme des Kindes an.
Rechtsfolge der Elternzeit ist das Ruhen des Arbeitsverhältnisses. Darunter ist das Aussetzen der Hauptleistungspflichten, somit Vergütung und Arbeitsleistung, zu verstehen. Das Arbeitsverhältnis lebt nach Beendigung der Elternzeit wieder auf, wobei ein Anspruch auf Rückkehr an den früheren Arbeitsplatz nicht besteht.
Besonderheiten der Elternzeit sind unter anderem, dass der Arbeitnehmer gemäß § 18 BEEG einen besonderen Kündigungsschutz genießt. Ferner können Arbeitnehmer in Teilzeitarbeit während der Elternzeit weiter beschäftigt werden.
Die Elternzeit erfolgt unbezahlt. Die Eltern können staatlich gewährtes Elterngeld beantragen. Die Höhe des Elterngeldes hängt von dem Einkommen des Elternteils ab. Grundsätzlich werden 65 Prozent des Voreinkommens, aber nicht mehr als 1.800 Euro, gezahlt.
Die Elternzeit ist somit im Gegensatz zur sogenannten „geschlechterneutralen Elternzeit“ deutlich länger, aber auch mit höheren Lohneinbußen verbunden. Dafür gewährt die Elternzeit einen besonderen sozialen Schutz, wie u.a. durch den besonderen Kündigungsschutz.
II. Gibt es Möglichkeiten auf eine andere Form des Ausgleichs, wenn diese bezahlte Freistellung nicht angenommen wird oder aufgrund betrieblicher Besonderheiten nicht umgesetzt werden kann?
Als Alternative kann der Arbeitnehmer während der Elternzeit das Arbeitsverhältnis in Teilzeit fortführen. Mit Zustimmung des Arbeitgebers kann auch von der Untergrenze der zu leistenden Arbeitszeit gemäß § 15 Abs.7 Nr.3 BEEG abgewichen werden. Es kann somit auch eine wöchentliche Arbeitszeit von weniger als 15 Wochenstunden vereinbart werden.
Ferner kann der Arbeitnehmer die Elternzeit flexibel in Anspruch nehmen. Der Arbeitnehmer kann die Elternzeit auch für einen kürzeren Zeitpunkt beantragen und muss somit auch nur geringere Lohneinbußen in Kauf nehmen.
Darüber hinaus können die Möglichkeiten von Homeoffice in den entsprechenden Unternehmen ausgebaut und erweitert werden, um dem Partner oder der Partnerin die Unterstützung der Mutter zu erleichtern.
III. Schwangere genießen bereits einen starken gesetzlichen Kündigungsschutz. Ist nach solchen Initiativen wie hier damit zu rechnen, dass der Kündigungsschutz auch auf den anderen Elternteil ausgeweitet wird?
Schwangere und Mütter werden gemäß §17 MuSchG (Mutterschutzgesetz) vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes während ihrer Schwangerschaft und nach der Entbindung oder einer Fehlgeburt geschützt. Ziel des Mutterschutzes ist gemäß § 1 MuSchG der Schutz der Gesundheit der Mutter und ihres Kindes. Zweck des Kündigungsschutzes ist es sicherzustellen, dass erwerbstätige Frauen während der Schwangerschaft, sowie nach einer Fehlgeburt und nach der Entbindung, nicht um den Bestand des Arbeitsverhältnisses und ihrer wirtschaftlichen Grundlage fürchten müssen. Zudem soll eine psychische Belastung durch ein mögliches Kündigungsschutzverfahren verhindert werden. Ferner sollen Mütter vor Benachteiligung aufgrund der Schwangerschaft geschützt werden.
Eine Ausweitung auf den anderen Elternteil, welcher das Kind nicht gebärt, würde somit dem ausdrücklichen Schutzzweck gemäß § 1 MuSchG nicht entsprechen, da eine Benachteiligung aufgrund der Schwangerschaft nicht möglich ist.
Der Schutz der Familie und des Partners vor einer Kündigung wird bereits durch das BEEG gewährt. Auch der Partner genießt Kündigungsschutz, wenn er Elternzeit in Anspruch nimmt. Gemäß § 18 Abs.1 BEEG ist die Kündigung eines Arbeitsnehmers unzulässig, wenn er Elternzeit verlangt hat oder höchstens ab acht Wochen vor Beginn der Elternzeit. Dabei ist es unerheblich, ob das Arbeitsverhältnis bereits bei der Geburt des Kindes bestanden hat oder ob es erst später begründet worden ist. Auch der Partner wird geschützt, welcher erst während der Zeit, in der er Elternzeit beanspruchen kann, ein neues Arbeitsverhältnis aufnimmt (BAG Urt. v. 27.3.2003 – 2 AZR 627/01).
Infolgedessen ist, mangels Vergleichbarkeit mit § 17 MuSchG und der Gewährung eines besonderen Kündigungsschutzes während der Elternzeit, nicht mit einer Ausweitung des Kündigungsschutzes auf den anderen Elternteil zu rechnen.
IV. Welche Unterlagen oder Nachweise werden für das Verfahren benötigt?
Die sogenannte „geschlechterneutrale Elternzeit“ befindet sich bei Henkel noch in einem Frühstadium der Konzeption. Die Grundlage dafür stellt der Antrag auf die gesetzlich geregelte Elternzeit dar. Weitere Details zum genauen Ablauf hat das Unternehmen noch nicht öffentlich kommuniziert. Zuerst sollen die Mitarbeitenden über die Voraussetzungen, Prozesse und nächsten Schritte informiert werden.
Lesen Sie auch die folgenden Beiträge:
- Elternzeit für Väter – Ja, bitte!
- Studie: Väter fürchten Folgen langer Elternzeit
- Elternzeit für Männer in Führungspositionen – das geht!
Volker Serth ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Leiter der Praxisgruppe Arbeitsrecht bei der Kanzlei FPS in Frankfurt.