Festigen Organisationen vielleicht sogar Vorurteile mit der Betonung der Unterschiede zwischen den Generationen, fragt Jule Deges, Senior Behavioral Scientist bei CoachHub. Sie meint: Es ist an der Zeit, sich von dem “Konflikt” Gen Z vs. Boomer zu verabschieden, und stattdessen von “Potenzial” zu sprechen. Teams sollten nicht nur divers, sondern auch inklusiv sein.
Noch vor nicht langer Zeit stand die Generation Y im Zentrum der Diskussion über disruptive, neue Erwartungen einer jungen Arbeitnehmerschaft an die etablierte Arbeitswelt der Vorgängergeneration X. Inzwischen macht diese Gen Y sehr bald den größten Anteil der Arbeitnehmenden in Deutschland aus. Dazu gesellt sich nun eine weitere, noch jüngere Generation: Generation Z, die Digital Natives 2.0. Nicht zuletzt mit dem kürzlich angehobenen Rentenalter, mit dem die Beteiligung der 60- bis 64- Jährigen (der „Boomer“) am Arbeitsmarkt weiter steigen wird, ist der 4-Generationen-Arbeitsplatz für viele Unternehmen Realität.
Es wird diverser in unserer Arbeitswelt – und das ist auch gut so. Denn diversere Organisationen sind bekanntlich erfolgreichere Organisationen (vgl. McKinsey). Umso spannender, dass sich viele Unternehmen für mehr Diversität und Inklusion am Arbeitsplatz einsetzen, jedoch im Zentrum der Debatte um X, Y, Z und Boomern häufig der “Generationenkonflikt” steht. Wenn man sich jedoch die Datenlage ansieht, erkennt man schnell, dass sich die unterschiedlichen Generationen in ihren Erwartungen und Bedürfnissen am Arbeitsplatz gar nicht so unähnlich sind.
Gen X, Y, Z & Boomer: Erwartungen und Bedürfnisse ähnlich
Eine Umfrage (vgl. Gallup) hat ergeben, dass für alle vier Generationen die Priorisierung von physischer und psychischer Gesundheit sowie ethische Unternehmensführung zu den zwei wichtigsten Merkmalen eines Arbeitgebenden gehören. Und Daten der digitalen Entwicklungsplattform CoachHub zeigen, dass Coachees generationsübergreifend an denselben Entwicklungsthemen arbeiten: Konfliktmanagement, Emotionale Regulation und Zeitmanagement.
Ohne Frage können Angehörige unterschiedlicher Generationen auch unterschiedliche Erfahrungen, Perspektiven, Stärken und Bedürfnisse an den Arbeitsplatz mitbringen. Doch festigen Organisationen vielleicht sogar Vorurteile und gegenseitiges Missverständnis mit der Betonung der Unterschiede (vgl. Havard Business Review)? Es ist an der Zeit, den “Konflikt” abzulösen, und stattdessen von “Potenzial” zu sprechen.
1. Ressourcenorientierte Führung zur Förderung von gegenseitigem Verständnis
Etwaige Unterschiede der Generationen können Führungskräfte und Unternehmen nutzen und wertschätzen, indem sie zum Beispiel den Austausch über und die Anwendung von individuellen Stärken anregen. Einen guten Einstieg in stärkenorientierte Teamführung bieten Ansätze aus der Positiven Psychologie, wie das VIA Assessment. Hier können Teammitglieder ihre jeweiligen Stärken kennenlernen und im Anschluss gemeinsam reflektieren und aktiv im Arbeitsalltag anwenden. Solch ein stärkenbasierter Team-Prozess fördert gegenseitiges Verständnis und schafft zusätzlich einen anderen Blick auf individuelle Unterschiede. Anders als das Alter ist nämlich ein Stärkenprofil sehr stabil über die Lebens- und Arbeitszeit hinweg.
2. Inklusive Teamkultur schaffen
Gegenseitiges Verständnis und Wertschätzung sind die Basis für ein Team, das nicht nur divers, sondern auch inklusiv ist und in dem sich Teammitglieder aller Generationen willkommen und zugehörig fühlen. Den wichtigsten Hebel dabei hat die Führungskraft. Ein effizientes Modell der inklusiven Führung umfasst verschiedene Verhaltensweisen, die eine inklusive Führungskraft an den Tag legen sollte, von der aktiven Förderung von Zugehörigkeit und Fairness im Team bis hin zur eigenen Reflexion und Entwicklung der Rolle der inklusiven Führungskraft.
3. Mitarbeitende befragen, anstatt Annahmen zu machen
Die Debatte um Generationenkonflikte am Arbeitsplatz ist bezeichnend für die häufig große Diskrepanz zwischen den Bedürfnissen von Mitarbeitenden und der Bereitschaft der Organisation, diesen Bedürfnissen Beachtung zu schenken. Das hat zum Beispiel eine Studie (vgl. McKinsey) gezeigt, in der Mitarbeitende und Organisationen gefragt wurden, aus welchen Gründen Arbeitnehmende kündigen. Organisationen sind der Ansicht, dass Mitarbeitende ihre Unternehmen wegen fehlender Remote-Arbeitsmodelle, unzureichender Vergütung oder besserer Jobangebote verlassen. Mitarbeitende selbst hingegen zeichneten ein anderes Bild. Hier wurden das fehlende Zugehörigkeitsgefühl und die fehlende Wertschätzung durch Führungskraft und Organisation am häufigsten angegeben.
Diese Diskrepanz kann fatale Folgen haben, auch in der Frage um die Einbindung aller Generationen. Eine Lösung kann sein, Mitarbeitende regelmäßig zu befragen und anhand der Daten besser zu verstehen, welche Hebel den größten Einfluss auf die Motivation und das Engagement unterschiedlicher Segmente der Belegschaft haben. Hier helfen Fragen wie: Ist das Engagement der jüngeren Mitarbeitenden in unserer Organisation tatsächlich niedriger als das der älteren Belegschaft, wie einige Studien zeigen?
Wenn dem so ist, welche Angaben machen jüngere Mitarbeitende über ihre Arbeitsumgebung? Ist das tatsächlich die fehlende Flexibilität in der Arbeitszeit? Vielleicht sind es doch viel mehr Elemente wie fehlende Autonomie, soziale Eingebundenheit oder Kompetenzerleben – also die drei psychologischen Grundbedürfnisse, die laut der Selbstbestimmungstheorie von Richard M. Ryan and Edward L. Deci der menschlichen Motivation zu Grunde liegen. Die Grundbedürfnisse, die uns über die gesamte Lebensspanne hinweg begleiten, unabhängig davon, welcher Generation wir angehören.
4. Individualisierte, personalisierte Entwicklung und Unterstützung bieten
Während der älteren Generation Bedürfnisse wie klare Strukturen, Disziplin und die Bereitschaft, mehr Verantwortung zu übernehmen, zugeschrieben werden, wird häufig angenommen, dass Digital Natives 2.0 andere Anforderungen haben wie Flexibilität, Freiraum für Kreativität und klare Trennung zwischen Arbeit und Freizeit. Anstatt kategorisierende Klischees über Generationen zu bedienen, können Unternehmen und Führungskräfte stattdessen das Individuum ins Zentrum des Erlebens und Schaffens am Arbeitsplatz stellen.
Zu häufig werden auf Basis verallgemeinerter Annahmen Initiativen, Programme, und andere Interventionen ausgerollt, die häufig an den tatsächlichen Bedürfnissen des Einzelnen vorbeigehen. Ein alternativer Ansatz sind individualisierte, personalisierte Entwicklungs- und Unterstützungsangebote, wie zum Beispiel ein digitales Coaching-Programm, in dem Mitarbeitende und Führungskräfte sich mit ihren individuellen Herausforderungen und Stärken auseinandersetzen können.
Das Narrativ ändern
Wir schreiben das Jahr 2030. Auftritt Generation Alpha, eine Generation, die aktuell noch die Schule besucht und dennoch in nur wenigen Jahren die Schlagzeilen um disruptive neue Erwartungen einer jungen Arbeitnehmerschaft an die etablierte Arbeitswelt beherrschen wird. Um dieser Zukunft entgegenzuwirken, können wir heute das Narrativ ändern und Organisationen schaffen, die Unterschiede wertschätzen, individuelle Bedürfnisse von Mitarbeitenden erkennen und Interventionen umsetzen, die diese Bedürfnisse beantworten. Kurz: Organisationen, in denen nicht von „Generationenkonflikt“, sondern von “Potenzial durch Diversität” gesprochen wird.
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Mit ihrem Hintergrund in Organisationspsychologie, Positiver Psychologie und Coaching unterstützt Jule Deges als Senior Behavioral Scientist bei CoachHub Organisationen in der Entwicklung und Evaluation holistischer Coaching Programme, die darauf ausgerichtet sind, erfolgreiche und engagierte Individuen, Teams und Organisationen zu schaffen. Vor Ihrer Zeit bei CoachHub hat Jule Organisationen in der Entwicklung und Umsetzung globaler Mitarbeiterbefragungsprogramme beraten und hat langjährige Erfahrung in den Themen Führungskräfteentwicklung- und Assessment.