Bin ich hier richtig? Wie Sie für mehr Wohlbefinden am Arbeitsplatz sorgen

| | , ,

Verstehbarkeit, Gestaltbarkeit, Sinnhaftigkeit, Zugehörigkeit und Individualität – Julia Kupfer, Psychologin im Beratungszentrum von Corrente, gibt Ihnen fünf Tipps, wie Sie die Bedürfnisse Ihrer Mitarbeitenden besser verstehen und so für mehr Wohlbefinden am Arbeitsplatz sorgen.

Leistungsstarke, kompetente und kreative Mitarbeitende sind die wichtigste Ressource eines Unternehmens. Basis dieser Qualitäten ist die Gesundheit der Mitarbeitenden – nicht nur physisch, sondern vor allem auch psychisch. Laut WHO (2004) bedeutet psychische Gesundheit einen „Zustand des Wohlbefindens, in dem der/die Einzelne seine/ihre Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv und fruchtbar arbeiten kann und imstande ist, etwas zu seiner/ihrer Gemeinschaft beizutragen“.

Wohlbefinden am Arbeitsplatz: Im Reinen mit sich und der Umwelt sein

Zu diesem Wohlbefinden gehört zum Beispiel das Grundbedürfnis, im Reinen mit sich und seiner Umwelt zu sein, was in der Sozialpsychologie auch als „Kohärenz“ bezeichnet wird.

- Anzeige -
Banner English Edition HR JOURNAL

1. Sinnhaftigkeit: Bin ich hier richtig?

Der erste Eckpfeiler des Kohärenzempfindens ist das Gefühl der Sinnhaftigkeit beziehungsweise der Bedeutsamkeit des eigenen Lebens. Jeder Mensch sucht nach einer glaubwürdigen Umsetzung seiner persönlichen und gesellschaftlichen Werte und möchte sich selbst und seine Tätigkeit als sinnstiftend erleben. Im Arbeitskontext erfüllt sich das Grundbedürfnis Sinnhaftigkeit dadurch, dass die Anforderungen und Aufgaben des gewählten Berufs, aber auch die Corporate Identity des Unternehmens, für das man tätig ist, mit den persönlichen Zielen und Werten zusammenpassen. Die zentrale Frage ist dabei:

„Bin ich hier richtig mit dem, was mir wichtig und heilig ist?”

Die Werte, für die ein Unternehmen steht (etwa Nachhaltigkeit, Diversität, Inklusion und Transparenz) werden immer wichtiger, sie spielen vor allem für die den aktuellen Arbeitsmarkt beherrschenden Generationen Y und Z (geboren ab 1980) eine zentrale Rolle. Wenn das persönliche Wertesystem und die Unternehmensphilosophie matchen, kann dies dazu beitragen, dass sich die Arbeitnehmenden auch in kritischen Situationen mit dem Unternehmen identifizieren und daraus Kraft beziehen.

Bringen Sie also gleich beim Bewerbungsgespräch auf den Punkt, für welche Core Values Ihr Unternehmen steht – und was es ganz konkret tut, um diese auch einzulösen! Präzisieren Sie auch, welche Wertigkeit die zukünftige Tätigkeit im Unternehmen hat, denn wenn die Ziele und Werte des Unternehmens unklar bleiben oder das persönliche Grundbedürfnis nach Sinnhaftigkeit nicht erfüllen, suchen die meisten Menschen nach Kompensation in anderen Lebensbereichen, und das Engagement bei der Arbeit sinkt.

2. Verstehbarkeit schafft Sicherheit

Wohlbefinden am Arbeitsplatz: Im Reinen mit sich und der Umwelt sein
Envato/Prostock-studio

Eine zweite Säule des Kohärenzempfindens ist das Gefühl der Verstehbarkeit. Für uns Menschen ist es von essenzieller Bedeutung, die Zusammenhänge im eigenen Leben klar begreifen zu können.

Unser Gehirn sucht stets nach dem, was es kennt, weil Abweichungen von vertrauten Mustern unbewusst als potenziell bedrohlich eingestuft werden. Je länger die Suche nach vergleichbaren Situationen dauert, desto mehr gerät das System in einen Alarmzustand. Eine automatische Stressreaktion wird ausgelöst. Die Informationsverarbeitung im Gehirn verschiebt sich: Statt der Top-Down-Kontrolle durch das Frontalhirn, das für Planen und rationales Denken zuständig ist, werden das Limbische System und die Amygdala aktiviert, die für impulsive Entscheidungen zuständig sind. Das schränkt die Fähigkeit zum kreativen Denken und damit die Arbeitsleistung ein.

Um dem entgegenzuwirken, sind klar kommunizierte leitende Informationen zur Situation im Unternehmen, etwa zu den grundlegenden Arbeitsmethoden, aber auch zu den Verantwortlichkeiten aller Mitarbeitenden von elementarer Bedeutung. Diese Informationen zu den Prozessen und Verantwortlichkeiten am Arbeitsplatz sollten regelmäßig kommuniziert und gut zugänglich gemacht werden, vor allem auch bei einer Neueinstellung. Das schafft grundlegende Orientierung und Sicherheit für alle!

3. Gestaltbarkeit ermöglicht es, Herausforderungen zu bewältigen

Essenziell für das Kohärenzempfinden ist weiterhin die Überzeugung, dass man das eigene Leben selbst gestalten kann. Das entspricht dem menschlichen Grundbedürfnis nach Selbstwirksamkeit, d. h. nach Entwicklungs-, Entscheidungs- und Handlungsspielraum. Die Erfahrung, mit dem persönlichen Handeln etwas gestalten – bzw. handhaben und bewältigen – zu können stärkt das Selbstvertrauen und die Problemlösekompetenz. Und es macht sogar glücklich, denn das passende Maß an Gestaltungsspielraum löst Belohnungsreaktionen im Stoffwechsel des Gehirns aus.

Wenn Menschen dagegen vor schwierigen Herausforderungen stehen, in denen sie Einfluss auf das Ergebnis oder auf die Rahmenbedingungen der Situation nehmen könnten, es aber nicht dürfen, entstehen Stressreaktionen. Je stärker das Gefühl wird, ausgeliefert oder ein Opfer externer Einflüsse zu sein, desto intensiver wird eine Hilflosigkeit erlebt, die auf Dauer krank machen kann.

Sicher kann nicht jeder mitarbeitenden Person im Unternehmen gleich viel Handlungsspielraum oder Verantwortlichkeit übergeben werden; doch schon das Recht, Aufgaben nach der eigenen Methodik zu bewältigen oder die Rahmenbedingungen der eigenen Arbeitssituation zu beeinflussen – etwa durch die Option, die tägliche Arbeitszeit dem persönlichen Biorhythmus oder familiären Anforderungen entsprechend flexibel festzulegen – können das Grundbedürfnis nach Gestaltbarkeit zufriedenstellen.

4. Zugehörigkeit: Ein gutes Team macht angstfreier!

Foto Jugendliche mit Smartphone
Envato/DisobeyArtPh

Menschen sind soziale Wesen, die den Zusammenhalt mit anderen brauchen, um zu überleben, die sich im Kontakt mit anderen selbst regulieren und voneinander lernen.

Im Arbeitsleben manifestiert sich das menschliche Grundbedürfnis nach Zugehörigkeit als Bindung an das Team, mit dem man arbeitet und an das Unternehmen, für das man tätig ist. Insbesondere ein grundlegend wertschätzender Umgang miteinander, auch bei einer kritischen Auseinandersetzung mit den Ideen oder der Arbeitsleistung anderer, wirkt sich positiv auf das Wir-Gefühl und das Wohlbefinden am Arbeitsplatz aus.

Dies fördern zum Beispiel regelmäßigen Feedbackrunden, in denen offen und ehrlich die Stimmung im Team und aktuelle Belastungen besprochen werden, oder schlicht gemeinsame Mittagspausen. In kritischen Situationen kann der gute Kontakt und Zusammenhalt im Team Defizite bei der Einlösung anderer Bedürfnisse ausgleichen, und je stärker die Bindung an das Team bzw. das Unternehmen ist, desto höher ist zumeist auch das Engagement und damit die Leistung der einzelnen Mitarbeitenden.

5. Individualität: Was braucht jede/r Einzelne?

Aus den Tipps, wie Sie die menschlichen Grundbedürfnisse Verstehbarkeit, Gestaltbarkeit, Sinnhaftigkeit und Zugehörigkeit im Personalmanagement angemessen berücksichtigen können, ergibt sich am Ende kein schlichtes Patentrezept, das vom individuellen Eingehen auf die Mitarbeitenden befreit. Das Wichtigste ist immer der persönliche Kontakt. Nur so sind Sie in der Lage, alle Mitarbeitenden angemessen zu unterstützen und ihnen zum Ausschöpfen ihres persönlichen Potenzials zu verhelfen.

Daher hier der letzte und wichtigste Tipp: Gehen Sie individuell ins Gespräch mit jedem einzelnen Teammitglied! Fragen Sie Ihre Mitarbeitenden einfach ganz direkt, was sie für ihr Wohlbefinden am Arbeitsplatz wollen und brauchen!

Lesen Sie auch die folgenden Beiträge:

Foto Julia Kupfer

Julia Kupfer, M. Sc. in Psychologie, arbeitet seit August 2021 als Case Managerin bei Corrente. Dort unterstützt sie Mitarbeitende und ihre Angehörigen bei der Bewältigung persönlicher oder beruflicher Herausforderungen. Ihre Leidenschaft für das Thema psychische Gesundheit spiegelt sich dabei auch in ihrer Zuständigkeit für die Entwicklung, Durchführung und Auswertung psychologischer Verfahren zur Erfassung des Stressniveaus von Klientinnen / Klienten wider.

Vorheriger Beitrag

7-Punkte-Plan: Unternehmenssprache erweitern, internationale IT-Fachkräfte gewinnen

Nachhaltige Kommunikation 2.0: Die Rolle digitaler Tools in HR

Folgender Beitrag