„Lernprozess-Begleiter, Lerncommunity Manager, Co-Working-Moderator, Lern-Coach“: Sonja Wittig und Markus Brand schildern, welche Rollen HR im New Learning hat.
Der digitale Wandel, Agilisierung und New Work stellen Unternehmen heute vor große Aufgaben. Organisationen müssen sich immer schneller anpassen und in kürzeren Abständen Innovationen hervorbringen. Gleichzeitig veraltet Wissen kurzfristiger. In dieser komplexen, volatilen VUCA-Welt brauchen Unternehmen flexible und wissbegierige Mitarbeitende, die mit neuen Gegebenheiten umgehen können und stetig aus ihnen lernen (wollen). Kollaborative und selbstbestimmte Lernkonzepte können maßgeblich zur Wertschöpfung beitragen – wenn Unternehmen die Lernenden konsequent in den Mittelpunkt rücken.
HR und Lernende in einer neuen Rolle
In Weiterbildung und Wissensmanagement zeichnet sich ein deutlicher Paradigmenwechsel ab: Wo früher Lernen durch Instruktion funktionierte („Ich zeige Dir, wie es geht.“), lernen Mitarbeitende heute durch gemeinsames Ausprobieren – selbstbestimmt und kollaborativ. Führungskräfte, Personalentwickler und HR-Verantwortliche fanden sich bisher häufig in der Rolle des Maßnahmenplaners und -umsetzers und vielleicht noch in der des „Leistungs-Kontrolleurs“ wieder. Zukünftig werden sie eher als Lernprozess-Begleiter, Lerncommunity Manager, Co-Working-Moderator oder Lern-Coach fungieren und Lernräume für Co-Creation und Selbst-Reflexion schaffen.
Beim New Learning steht der Lernende mit seinen individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten im Vordergrund. Er möchte Lernprozesse selbst kreieren und steuern. Dies bedarf allerdings auch eines „höheren (Lern-)Reifegrads“ und spezieller Kompetenzen. Selbstbestimmtes Lernen wird in Zukunft eine Schlüsselfähigkeit sein: Eigenständige Mitarbeitende, die Wissen kritisch hinterfragen und es individuell für sich nutzbar machen, werden nicht nur persönliche Erfolgsgeschichten schreiben, sondern auch den Erfolg des Unternehmens maßgeblich mitbestimmen. Auf diese Entwicklung müssen sich HR-Verantwortliche einstellen und Konzepte entwickeln, die „reif genug“ für die „New Learner 4.0“ sind.
Fünf New Learning-Formate
New Learning ist heute Voraussetzung für die Entwicklung einer „lernenden Organisation“, in der Mitarbeitende aktiv und selbstbestimmt in den Lernprozess eingebunden werden. Weitsichtige Unternehmen entwickeln ein individuelles und kollaboratives Lernkonzept aus Online-, Onsite und hybriden New-Learning-Methoden. Hier ein paar Formatideen:
1. BarCamp
BarCamps sind Konferenzen, in denen die Teilnehmenden mit ihren individuellen Fragestellungen und Beiträgen im Mittelpunkt stehen. Sie dienen dem fachlichen Austausch und der Diskussion, zum Teil werden auch konkrete Resultate oder Lösungen erarbeitet. Das Besondere: Inhalte und Ablauf der Veranstaltung werden von den Teilnehmenden zu Beginn selbst entwickelt und im weiteren Verlauf gemeinsam ausgestaltet.
2. Learning Journey
Unter Learning Journey verstehen Experten eine „Lern-Reise zum Kunden“. Ausbildungs-teilnehmende besuchen Start-ups, Konzerne, KMU oder NGO (Non-governmental organisations) und bekommen einen konkreten und interaktiven Einblick in die Unternehmenspraxis. Sie tauschen sich vor Ort mit Experten und Betroffenen aus und erhalten praxisnahe Erfahrungsberichte über Themen wie Agilität, New Work oder Change-Prozesse im Unternehmen.
3. Working Out Loud
Working Out Loud basiert auf einer Idee des IT-Spezialisten Bryce Williams. Er definiert Working Out Loud (WOL) so:
Working Out Loud = Observable Work + Narrating Your Work
Das Erfolgskonzept dahinter bedeutet übersetzt: Wenn jeder Einzelne alle anderen an seiner Arbeits-, Erfahrungs- und Gedankenwelt teilhaben lässt, lernen alle Beteiligten gleichermaßen und werden besser. Soziale Netzwerke und Kollaborationstools helfen dabei, sich aktiv in den Prozess einzubringen. Die WOL-Methode wurde von John Stepper weiterentwickelt und für Unternehmen nutzbar gemacht.
Fünf Aspekte bilden den Kern von Working Out Loud:
- Beziehungen (Relationships)
- Großzügigkeit (Generosity)
- Sichtbare Arbeit (Visible work)
- Zielgerichtetes Verhalten (Purposeful Discovery)
- Wachstumsorientiertes Denken (Growth Mindset)
4. Design Thinking
Grundgedanke und gleichzeitig Ziel des Design Thinking: das Erschaffen einer herausragenden Innovation, das Lösen eines Problems oder die Entwicklung neuer Ideen durch interdisziplinäre Teams. In diesem Prozess wird insbesondere die Kunden- oder Nutzersicht in den Mittelpunkt gestellt, die sogenannte Customer Centricity. Die klassischen Phasen des Design Thinking sind:
- Problem verstehen und definieren
- Kunden-/Nutzerbedürfnisse beobachten und verstehen
- Standpunkt entwickeln
- Brainstorming
- Prototyp entwickeln
- Testen und durch Feedback optimieren
5. Social Learning
Der Mensch ist von Natur ein soziales Wesen. Von klein auf lernt er von anderen: durch Beobachtung, Zuhören, Nachahmung. Dieses ureigene Bedürfnis bedienen Social-Learning-Formate im Unternehmenskontext. Menschen lernen mit- und voneinander: sowohl online (z.B. über Social-Media-Kanäle, E-Learning-Programme oder Kollaborationsblogs), als auch offline (in Präsenz-Workshops, Gruppendiskussionen, BarCamps, durch Mentorenprogramme, On-the-Job-Trainings usw.). Im Fokus aller Social-Learning-Methoden steht der informelle Austausch mit anderen Lernenden. Auch Social-Collaboration-Tools wie Mindmeister, Slack, oder Circuit fördern den Wissensaustausch und somit den Lernprozess.
New Learning zeichnet sich dadurch aus, dass die Auswahl und Kombination der Lernformate persönlichkeitsorientiert und situativ an die Anforderungen der Lernenden angepasst wird. Nur dann kann neues Lernen zur Wertschöpfung des Unternehmens und zum Lernerfolg des Einzelnen beitragen. Evaluieren Sie die individuellen Bedürfnisse, Werte und Erwartungen Ihrer Mitarbeitenden – und entwickeln Sie eine vielseitige Lernreise. New Learning bedeutet nämlich nicht nur, dass das Lernen neu gedacht, sondern vor allem auch neu gelernt werden muss.
Sonja Wittig und Markus Brand vom Institut für Persönlichkeit sind Preisträger des Europäischen Trainingspreis 2021 des Berufsverband für Training, Beratung und Coaching (BDVT) in der Kategorie „New Learning“.
Markus Brand ist Gründer und Leiter des Instituts für Persönlichkeit. Als Diplom-Psychologe, Managementtrainer, Coach, Autor und Speaker hat er umfangreiche Coachingausbildungen, u. a. in systemischer Transaktionsanalyse und lösungsfokussierter Kommunikation. Er ist zertifiziert für die Arbeit mit zahlreichen diagnostischen Instrumenten und bildet als einer der erfahrensten Experten weltweit auch andere interessierte Menschen für das Reiss Motivation Profile® und die 9 Levels of Value Systems® aus.
Sonja Wittig ist Mitinhaberin des Instituts für Persönlichkeit und Geschäftsführerin von 9 Levels Deutschland. Als Facilitator begleitet sie Transformationsprozesse von Einzelpersonen, Teams und ganzen Organisationen. Durch passgenauen Einsatz und Zertifizierung für Tools wie Reiss Motivation Profile® und 9 Levels of Value Systems® erfasst sie dabei individuelle Muster und macht sie in Coachings, Trainings, Teamentwicklungen und Beratungsprojekten für die Zielerreichung nutzbar.