Unbewusste, erlernte Annahmen können im Headhunting dazu führen, dass nicht immer das fachlich beste Talent den Job bekommt. Benjamin Körner, CEO der Personalberatung Steerer, erläutert, wie sich bei der Besetzung von Führungspositionen Vorurteile und Stereotypen überwinden lassen und bessere Entscheidungen getroffen werden.
Headhunterinnen / Headhunter in Executive-Search-Beratungen besetzen manche der gefragtesten Führungspositionen Deutschlands – damit wird ihnen in dieser Funktion ein besonderes Maß an Verantwortung zuteil. Schließlich sind sie es, die die Talente vorselektieren und gewissermaßen als Gatekeeper fungieren. Aber: Auch Headhunterinnen / Headhunter sind vor Phänomenen wie (Unconscious) Bias nicht gefeit, die im schlimmsten Fall dazu führen können, dass nicht immer das fachlich beste Talent den Job bekommt. Mit einigen hilfreichen Tipps können diese Stolpersteine aber überwunden werden – für eine bessere, gerechte Berufswelt.
1. Erkenntnis als erster Schritt zur Besserung
Wie so häufig gilt auch bei diesem Thema: Erkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung. Viele Menschen haben bereits von Unconscious Bias gehört und tatsächlich jeder hat sie: oftmals unbewusste, erlernte Annahmen, Überzeugungen oder Einstellungen. Insbesondere Headhunterinnen / Headhunter müssen sich hier ihrer enormen Verantwortung gegenüber Kandidatinnen und Kandidaten bewusst werden und aktiv daran arbeiten, Bias zu hinterfragen, Stereotypen aufzudecken und Vorurteile aufzulösen.
Drei häufige Bias vorgestellt:
- Der „Mini Me Effect“ beschreibt, wenn Menschen, die einem selbst ähnlich sind, automatisch sympathischer oder passender erscheinen. Fatal wäre es beispielsweise, wenn ein männlicher CEO sich am Ende für den ebenfalls männlichen Kandidaten entscheidet, obwohl die weibliche Kandidatin besser für die Stelle als zum Beispiel CDO geeignet gewesen wäre.
- „Gender Bias“ beschreibt die verzerrte Wahrnehmung durch geschlechtsbezogene Vorurteile und Stereotypen, beispielsweise unterschiedliche Interpretation gleicher Leistung. Tatsächlich sind auch Frauen – egal ob eine CEO oder Headhunterin – nicht davor gefeit, die Leistung anderer Frauen aufgrund von Vorurteilen schlechter einzustufen.
- Der Halo- beziehungsweise Horns-Effekt beschreibt, wenn man aufgrund einer einzigen Eigenschaft oder eines Merkmals einen positiven (Halo-Effekt) oder negativen Gesamteindruck (Horns-Effekt) von einer Person hat. Ein/e Headhunter / Headhunterin sollte sich beispielsweise nicht von einem Abschluss an einer namhaften Wirtschaftsuniversität blenden lassen und falsche Rückschlüsse auf die tatsächliche berufliche Kompetenz ziehen.
Auch Studien, wie die „Think Talent, think male“-Studie von Prof. Marion Festing (ESCP Berlin), bringt spannende Erkenntnisse für das Recruiting und Headhunting – denn gerade beim Thema Talent Management trifft man häufig auf genderspezifische Verzerrungen und geschlechtsspezifische Diskriminierung. Wenn beispielsweise nach der Wahrnehmung von typischen Charakteristika von Talenten gefragt wird, wird dies indirekt mit männlichen Führungskräften und stereotypen maskulinen Eigenschaften assoziiert – beispielsweise Durchsetzungsvermögen oder die Fähigkeit, sich gut zu verkaufen.
Die Chancen weiblicher Kandidaten auf eine Führungsposition sinken entsprechend signifikant, wenn diese Bias, Stereotypen und Vorurteile nicht überwunden werden.
2. Mit eigener Quote arbeiten und einen diversen Talentpool aufbauen
Der Talentpool einer jeden Executive-Search-Beratung ist das Herzstück der täglichen Arbeit. Viele der Kontakte wurden über mehrere Jahre auf- und ausgebaut, ebenso viele kommen regelmäßig neu hinzu. Dabei sollten Headhunterinnen / Headhunter bewusst darauf achten, dass neue Köpfe in allen Dimensionen möglichst divers sind: beispielsweise in Sachen Alter, Geschlecht und geschlechtliche Identität sowie ethnische Herkunft und Nationalität. Eine vollständige Übersicht bietet die Charta der Vielfalt.
Ebenso hilfreich kann es für Headhunterinnen / Headhunter sein, wenn Shortlists für offene Führungspositionen bereits einer selbst gesetzte Quoten folgen – beispielsweise, dass die Hälfte der Kandidatinnen / Kandidaten weiblich ist.
3. Handfeste Argumente, um auch die Unternehmen zu überzeugen
Die Shortlist an Kandidatinnen / Kandidaten kann noch so divers sein – wenn die Auftraggebenden nicht überzeugt sind, dass mehr Diversität sinnvoll und wichtig ist, ist diese Bemühung umsonst. Denn natürlich sind auch Unternehmen nicht frei von Bias und Vorurteilen – entsprechend liegt es an den Headhunterinnen / Headhuntern, den zum Beispiel Geschäftsführer/-innen verständlich zu machen, warum diverse Teams auch wirtschaftlich Sinn machen und eine strategisch wichtige Entscheidung sein können.
Eine Analyse von McKinsey aus dem Jahr 2020 zeigt, dass Unternehmen mit hoher Gender-Diversität beispielsweise eine um 25 Prozent höhere Chance haben, überdurchschnittlich profitabel zu sein. Unternehmen mit einem Frauenanteil von mehr als 30 Prozent in ihren Führungsteams haben eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit, wirtschaftlich besser abzuschneiden als Unternehmen mit einem Frauenanteil zwischen 10 und 30 Prozent, und diese Unternehmen wiederum übertreffen mit größerer Wahrscheinlichkeit Unternehmen mit weniger oder gar keinen weiblichen Führungskräften.
Fazit
Fakt ist: Für eine gerechte Arbeitswelt ebenso wie für wirtschaftlichen Erfolg ist es essenziell wichtig für Unternehmen, dass insbesondere auch im Top-Management möglichst diverse Blickwinkel Beachtung finden. Denn genau das führt bei den großen strategischen Themen zu intensiven Diskussionen und letztlich zu besseren Entscheidungen, von denen das gesamte Unternehmen langfristig profitiert. Dafür müssen Headhunterinnen / Headhunter ebenso wie Unternehmenslenker/-innen sich ihrer Verantwortung bei der Besetzung von Führungspositionen bewusst werden, Bias, Vorurteile und Stereotypen überwinden sowie echte Chancengleichheit schaffen.
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Benjamin Körner ist Co-Gründer und -CEO der Personalberatung Steerer. Das Unternehmen besetzt seit mehr als 15 Jahren Führungspositionen im Digitalbereich mit einem Fokus auf Innovationsthemen. Steerer fungiert als Wegbereiter für engagierte, innovative Führungspersönlichkeiten und mutige Unternehmen, die gemeinsam die Zukunft gestalten wollen.