Angesichts des Krieges in der Ukraine erscheint die gewohnte Arbeitsroutine trivial. Kimberly Breuer, Psychologin und Gründerin von Likeminded, erklärt, was Führungskräfte jetzt tun können.
Während viele zu Beginn des Jahres noch auf eine Rückkehr zur “Normalität” hofften, lässt uns der Krieg in der Ukraine aktuell weiterhin kollektiv den Atem anhalten. Seit einigen Wochen prasseln minütlich Nachrichten-Updates auf unsere Bildschirme und rufen ein Gefühl der Hilflosigkeit und Angst hervor – ganz egal, ob man direkt oder indirekt betroffen ist.
Nicht selten erscheint die gewohnte Arbeitsroutine angesichts von Krieg und Gewalt trivial. Die tägliche To-do-Liste wird für viele von Nachrichten, Bildern und Gedanken rund um den Krieg übertönt. Umso wichtiger ist es, dass Führungskräfte einfühlsam mit dieser Situation umgehen. Aber wie macht man das am besten?
Den ersten Schritt machen
Zu Beginn ist es vor allem wichtig, die eigenen und fremden Emotionen zur aktuellen Lage zu formulieren. Schließlich fühlen sich auch Führungskräfte von den Geschehnissen betroffen. Indem sie das Gespräch eröffnen und darauf eingehen, dass die aktuelle Situation auch für sie schwer ist, zeigen sie, dass es wichtig und richtig ist über die eigenen Gedanken und Gefühle zu sprechen – auch und gerade am Arbeitsplatz.
Wer sich im Gespräch schwertut, kann das auch zunächst schriftlich, beispielsweise in Form einer Rundmail tun. Ein Ersatz für das direkte Gespräch ist das jedoch nicht. Denn gerade durch Ausnahmezustände und Sorgen spitzen sich Stress und Burnout weiter zu und können sich auf das ganze Team auswirken, wenn ein Unternehmen auf Prävention und Gegenmaßnahmen verzichtet.
Raum für offene Gespräche bieten
Eine gute Option ist das direkte Gespräch im Team während des Team-Meetings oder in einem separaten Termin. Das kann zum Beispiel so eingeleitet werden: „Derzeit herrscht Krieg in einem sehr nahegelegenen Land. Manche von uns sind davon direkt betroffen, andere indirekt. Wahrscheinlich geht es euch, ähnlich wie mir, nicht besonders gut mit dieser Situation und das kann ich sehr gut verstehen. Ich möchte Euch daher einen Raum geben, offen darüber zu sprechen.“
Kurzfristig zugängliche Gruppen- oder Einzelgespräche mit Fachleuten können helfen, das erhöhte Stressempfinden, Ängste und Sorgen zu thematisieren und den gegenseitigen Halt im Team zu verbessern. Laut der World Health Organization (WHO) hat der Arbeitsplatz positive Auswirkungen auf die psychische Gesundheit – sofern ein positives Arbeitsumfeld besteht.
Den Arbeitsplatz also als Ort des Verständnisses und der gegenseitigen Unterstützung wahrzunehmen, suggeriert, dass Sorgen und Ängste gemeinsam bewältigt werden. Für viele deutsche Unternehmen stellt sich zudem die Frage, welche Vernetzung sie mit dem russischen Markt haben und wie sich die aktuelle Krise direkt oder indirekt auf ihre Wirtschaftlichkeit auswirkt. Je nach Branche kann der Einbruch wirtschaftlicher Verbindungen so nicht nur Sorgen um die Menschen im Krisengebiet schüren, sondern auch die eigene finanzielle Existenz angreifen. Studien zeigen, dass schon die Angst davor, den Job zu verlieren, zu psychischen und körperlichen Leiden führen kann. Diese Szenarien zu thematisieren und Mitarbeitende zu bekräftigen kann diesen Ängsten entgegenwirken.
Gemeinsam proaktiv Hilfe leisten
Führungskräfte haben eine aktive Vorbildfunktion, um einen offenen Raum für Gespräche zu schaffen, beispielsweise in wöchentlichen Meetings, in denen die aktuelle Lage besprochen wird, und gleichzeitig Handlungsspielräume sichtbar zu machen. Um Mitarbeitenden die Möglichkeit zu geben, selbst aktiv zu werden, können HR-Managerinnen und –Manager Initiativen ins Leben rufen, beispielsweise durch Sach- und Geldspenden an humanitäre Organisationen.
Solche Initiativen können dabei helfen, aus dem Gefühl der Hilflosigkeit in das Gefühl von Kontrolle zurückzukehren. Denn das bestärkt unsere Selbstwirksamkeit, also die innere Überzeugung, herausfordernde Situationen gut meistern zu können. Hilfsinitiativen können innerhalb des Unternehmens unter den Teams aufgeteilt werden und mit Gruppengesprächen verbunden werden. Gerade in schwierigen Zeiten kann die Botschaft, an einem gemeinsamen Strang zu ziehen, helfen, Stress und daraus resultierende Verluste für das Unternehmen zu minimieren.
Konkrete Tipps für Mitarbeitende
Nicht selten nutzen Menschen übermäßigen Nachrichtenkonsum als Bewältigungsmechanismus, um die entstandenen Lücken in unvorhersehbaren Situationen mit Neuigkeiten zu füllen und so ein besseres Verständnis von dem zu erhalten, was derzeit geschieht und noch bevorsteht. Doch gerade wenn Mitarbeitende bereits besorgt sind und sich ihre Gedanken stark um die aktuelle Krise drehen, sollten sie darauf achten, den Nachrichtenkonsum auf eine bestimmte Tageszeit zu beschränken und auf vertrauenswürdige Quellen zu setzen, um Fakten nicht mit Fehlinformationen zu vermischen. Ein anschließender Spaziergang, Sport oder Entspannungsübungen helfen, das Geschehene zu verarbeiten.
Das Telefon sollte zudem nicht ständig bei sich getragen werden und am Abend vor dem Schlafengehen ausgeschaltet werden, um Gedankenspiralen entgegenzuwirken. Eine Gegenmaßnahme ist die Ausarbeitung eines Leitfadens, der Mitarbeitenden dabei Tipps zur Bewältigung an die Hand gibt. Achtsamkeit bedeutet in diesem Zusammenhang, die eigenen Emotionen und Ängste wahrzunehmen, sich jedoch aktiv Pausen und Ruhephasen zu geben, um Stress und Sorgen zu reduzieren. Denn psychische Gesundheit verläuft auf einem Kontinuum und sollte im Sinne des Unternehmens, der Führungsebene und der Mitarbeitenden achtsam behandelt werden.
Lesen Sie auch:
- Mindfulness im Unternehmen: Was HR tun kann
- Gesundes Arbeiten: Wie Sie ihre Teams motivieren
- Employee Wellbeing: Bei den Führungskräften anfangen
Kimberly Breuer ist Psychologin und Gründerin von Likeminded. Das Start-up bietet Unternehmen und ihren Mitarbeitenden ganzheitliche Unterstützung für mentale Gesundheit mit dem Ziel, dass mentale Gesundheit am Arbeitsplatz zukünftig genauso ernst genommen wird wie physische Gesundheit.