Führungskräfte sind in den letzten Jahren oft mit den Herausforderungen alleine gelassen worden, sagt Stefanie Puckett. Ein Aufruf für eine systematische Führungskräfteentwicklung im Mittelstand.
Ein Blick in mittelständische Unternehmen mit zwischen 400 und 4.000 Mitarbeitern zeigt häufig ein typisches Bild. Führungskräfte entstammen den eigenen Reihen und entwickeln sich aus der Fachposition in eine Führungsposition und von dort in eine nächste. Dies oft ohne irgendeine Art von Schulung oder Training. Trifft man in diesen Firmen Führungskräfte, die bereits eines oder mehrere Führungsseminare besucht haben, dann kommen diese meist aus größeren Konzernen, wo sie auch die Seminare besucht haben.
Woran liegt das? Auch mittelständische Unternehmen haben ein Budget für Weiterbildung. Und dieses nutzen sie auch, auch für vereinzelte Weiterbildungen für Führungskräfte, indem sie Lernangebote auf dem Markt aussuchen, zu denen die einzelnen geschickt werden.
Solche offenen Kurse vermitteln mal dieses mal jenes Wissen, was mal mehr mal weniger zum Unternehmen passt und mal mehr mal weniger anwendbar und sicher nicht immer umsetzbar ist. Zudem sind die Angebote relativ teuer.
„Konzerne gehen derweil häufig anders vor. Warum auf dem Markt nach mal mehr mal weniger passenden Angeboten suchen?“
Einen firmenweiten Führungsstandard schaffen
Konzerne gehen derweil häufig anders vor. Warum auf dem Markt nach mal mehr mal weniger passenden Angeboten suchen? Warum nicht genau jenes Angebot schaffen, das Themen bietet, die ausschließlich relevant sind? Und diese dann so aufbereiten, dass sie im eigenen Unternehmenskontext anwendbar sind. Man arbeitet hier mit Anbietern, die ein kundenspezifisches Programm designen und firmenweit umsetzen. Die Vorteile liegen auf der Hand. Auch wird ein firmenweiter Führungsstandard geschaffen, der Werte transportiert und Kompetenzen und auch Führungskultur stärkt. Ein Konzept, das auch für den Mittelstand sehr gut funktionieren kann. Und dies günstiger, als ein Finanzieren von Besuchen externer Seminare.
„vielleicht die effektivste Maßnahme zur Organisationsentwicklung“
Wie aber sehen solche Weiterbildungen thematisch aus? Auch der Mittelstand macht nicht davor Halt – wenn auch oft zurückhaltend – nach Themen wie Agilität oder moderner Führung zu fragen. Über die Zukunft wird aber diskutiert und die Firmen haben in der Regel sogar ein sehr klares Bild davon, wo es hingehen soll, und welche Art der Führung und Kultur sie hierfür stärken möchten bzw. anstreben.
Braucht es die Themen Agilität oder New Work?
Die meisten Unternehmen haben gerade in den letzten Jahren erlebt, wie unvorhersehbar sogar die unmittelbare Zukunft sein kann, und, dass eine schnelle Reaktionsbereitschaft und -fähigkeit zu einem Wettbewerbsvorteil führt. Viele Unternehmen haben tatsächlich sehr agil agiert und sich nicht nur den Veränderungen schnell angepasst, sondern auch weitergedacht und Chancen identifiziert und ergriffen. Brauchen diese Unternehmen jetzt eine „Agilitätsschulung“? Die Frage ist berechtigt und lässt sich in vielen Fällen klar verneinen.
„Gerade in den letzten Jahren hinterfragen Unternehmen jedoch verstärkt, wie sie arbeiten und führen. Gerade in den letzten Jahren ist aber auch bereits einiges an Veränderung und Entwicklung passiert.“
Gerade in den letzten Jahren hinterfragen Unternehmen jedoch verstärkt, wie sie arbeiten und führen. Gerade in den letzten Jahren ist aber auch bereits einiges an Veränderung und Entwicklung passiert. Nun neue Konzepte zu proklamieren ist oft eher irreführend. Einige dieser Konzepte sind durchaus hilfreich – aber auch ganz ohne sie unter ein Buzzwort wie Agilität zu stellen. Mittlerweile können wir auch auf einige neuere wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgreifen und haben einige wertvolle Einsichten gewonnen, die Führungskräften und ihren Teams helfen, erfolgreicher und motivierter zu arbeiten. Dieses Wissen sollte Führungskräften nicht vorenthalten werden.
Die Wege sind vielfältiger geworden
„Ein Fokus in der Fortbildung allein auf neuere Konzepte greift meist zu kurz.“
Sich dabei das gesamte Spektrum der Führung und ihrer alten und neuen Herausforderungen anzusehen, ist aber unerlässlich. Ein Fokus in der Fortbildung allein auf neuere Konzepte greift meist zu kurz. Im Grunde gehen Herausforderungen der Führungskräfte auf den Umgang mit Menschen zurück, dem Schaffen von Systemen, die Motivation und Leistung fördern und dem Setzen strategisch kluger Ziele. Das ist heute nicht anders. Die Wege dorthin sind aber vielfältiger und interaktiver geworden. Führung heute bedeutet viel mehr Einbezug und Befähigung der Menschen. Das will in der Tat gelernt sein.
Wie findet man die richtigen Themen?
„Was den Unternehmen aber in jedem Fall guttut, ist das Investment in die Führungskräfte. Denn diese sind gerade in den letzten Jahren oft mit den Herausforderungen alleine gelassen worden.“
Was den Unternehmen aber in jedem Fall guttut, ist das Investment in die Führungskräfte. Denn diese sind gerade in den letzten Jahren oft mit den Herausforderungen alleine gelassen worden. Gerade die engagierten Führungskräfte setzen sich oft aus sich selbst heraus mit ihrem Führungsbild auseinander und fragen sich, ob dies noch zeitgemäß ist. Sie lesen in ihrer Freizeit Artikel über agiles Führen oder prominente Konzepte wie Empathie in der Führung, Psychologische Sicherheit, Resilienz oder Selbstorganisation.
In die Führungskräfte zu investieren, bedeutet in diesem Kontext, diese Interessen aufzugreifen, sie aber mit einer soliden „Grundausbildung“ zum Thema Führung zu verbinden. Und – vielleicht am wichtigsten – mit der Vision, den Zielen, Werten und der Kultur des Unternehmens zu verknüpfen.
Eine solche passgenaue Führungskräfteentwicklung erfordert Maßschneidern. Dabei helfen im ersten Schritt sechs Fragen:
- Wo stehen unsere Führungskräfte heute (Führungsbild/ -kultur)?
- Was machen unsere Führungskräfte in der Regel sehr gut und was weniger gut?
- Wie gut passt dies zu den Herausforderungen, denen wir begegnen? Und wie zu unserem Zukunftskonzept?
- Bei welchen Kompetenzen oder Skills sehen wir Nachholbedarf?
- Wo muss sich unsere Führungskultur weiterentwickeln?
- Was wünschen sich die Führungskräfte?
Ohne Reflexion kein Lernen
Das Lernen hier fängt jedoch immer bei sich selbst an. Einen Raum dafür bilden feste Lerngruppen, die über einen längeren Zeitraum (etwa sechs bis 24 Monate), von ein oder zwei festen Trainerinnen / Trainern begleitet werden. Dies in einem Programm, das ein Reflektieren des eigenen Führungsverhaltens und der eigenen Erfahrungen vor dem Hintergrund von alten und neuen Konzepten, Theorien und Methoden ermöglicht. Ein solches Programm sollte immer auch das Üben in geschütztem Rahmen erlauben und ein Anwenden auch die individuellen Führungssituationen zum Thema machen.
„Wertschätzung, Unterstützung und die Möglichkeit zum professionellen und persönlichen Wachstum – eine Erfahrung, die die Führungskraft dann auch zum Fokus für die Arbeit mit ihrem Team machen kann.“
Eine systematische und unternehmensspezifsche Führungskräfteentwicklung sollte nicht nur Thema in Konzernen sein. Davon ist Stefanie Puckett überzeugt. Die Arbeit mit dem Mittelstand mit seiner Tradition und Verbundenheit zu seinen Produkten und Services nimmt sie dabei oft sogar als ganzheitlicher und auch effektiver wahr als mit großen Konzernen.
Und für die Führungskräfte bedeutet eine solches Investition in sie Wertschätzung, Unterstützung und die Möglichkeit zum professionellen und persönlichen Wachstum – eine Erfahrung, die die Führungskraft dann auch zum Fokus für die Arbeit mit ihrem Team machen kann.
Das Buch zum Thema
Stefanie Puckett
Moderne Führung und Selbstorganisation
Mit psychologischem Wissen Zukunftskompetenzen entwickeln
Haufe 2021, 262 Seiten, 39,95 Euro
ISBN: 978-3-648-15561-5
Lesen Sie auch die folgenden Beiträge:
- Kompetent mit Kompetenzmodellen arbeiten
- Drei Erfolgsfaktoren: Fortbildungen für Führungskräfte
- KI in der Führung: Mehr Freiräume, mehr Kooperation, mehr Verantwortung
Diplom Psychologin Dr. Stefanie Puckett begleitet seit über 15 Jahren Unternehmen in der Entwicklung ihrer Führungskräfte und -kultur. Sie ist Gründerin von Psychology4Agility und Geschäftsführerin von SynergyMind Consulting, einem Unternehmen, das sich auf die kundenspezifische Umsetzung von Führungsentwicklung fokussiert. Sie ist Autorin mehrerer Sach- und Fachbücher, unter anderen „Moderne Führung und Selbstorganisation“ und „Agiles Führen“ und zertifizierter Executive Coach.