Führungsentwicklung bei Pfisterer – warum nicht groß denken?

| | ,

Nach der Pandemie hat man sich bei Pfisterer entschlossen, konsequent in die Entwicklung der eigenen Führungskräfte zu investieren. Aber wie? Stefanie Puckett und Tobias Liedl schildern hier, wie sie Schritt für Schritt die Führungsentwicklung neu aufgelegt haben.

Kleinere und mittelgroße Unternehmen investieren nicht immer in ihre Führungskräfte. Und wenn, dann eher punktuell, indem unterschiedliche Fortbildungen extern besucht werden. So wirklich nachhaltig gestalten sich solche Lösungen allerdings nicht. Gerade wenn es um Themen wie Agilität oder auch New Work geht, kommen die Führungskräfte oft zurück mit dem Eindruck: Hier kann ich das so nicht umsetzen. Und selbst wenn sie einzelne Ansätze einbauen möchten, stehen sie allein da in ihren Anstrengungen, etwas zu verändern.

Bei Pfisterer ging es derweil um mehr. Die Organisation soll sich weiterentwickeln, die Belegschaft gestärkt werden. Zusammenarbeit und aktive Mitarbeiter sollten gefördert werden. Auch die Kultur des Unternehmens sollte spürbarer werden, und zwar über alle Standorte, Funktionen und Bereiche hinweg. Ein ganzheitliches Vorhaben, das eine ganzheitliche Lösung braucht.

- Anzeige -
Banner English Edition HR JOURNAL

Führungsentwicklung als Teil eines mehrstufigen Programms

Für uns bot sich ein mehrstufiges Programm an. So könnten wir alle Führungskräfte miteinbeziehen und auf langfristige Entwicklung setzen. Von der Stange sollte es allerdings nicht sein. Pfisterer ist ein Unternehmen mit Tradition, mit einer Kultur, in der jede/r Mitarbeitende zählt, auf die die Mitarbeitenden stolz sind. Das HR-Team ging davon aus, dass es ein Programm braucht, das speziell für das Unternehmen konzipiert und durchgeführt wird. Nur so könne man die Führungskräfte wirklich bei ihrer Arbeit und in ihrer Entwicklung unterstützen.

Bei ca. 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bestand unsere Zielgruppe aus rund 100 Führungskräften. Lohnt sich da der Aufwand eines eigenen Programmes? Die Antwort von Pfisterer lautete: ja. Denn mit einem unternehmenseigenen Programm lässt sich deutlich mehr erreichen, als mit dem oben beschriebenen punktuellen Vorgehen. Die für Pfisterer besonders wichtigen Ziele, auf die das Programm hinarbeitet, sehen wie folgt aus.

Was wollten wir mit dem Programm erreichen?

  • Erstens, die „Eine-Firma“-Identität stärken.
    Die Unternehmenswerte werden im Training erlebbar gemacht und alle Führungskräfte setzen sich mit der Vision auseinander. Hier entstehen gerade im Austausch immer wieder Ideen, die sich umsetzen lassen. Erwartungen an Führungskräfte werden formuliert und gemeinsame Standards etabliert.
  • Zweitens, unternehmensweit Führungskompetenz professionalisieren.
    Nur so wird eine wertebasierte Entwicklung der Führungskultur auch für die Belegschaft spürbar. Mit dem unternehmenseigenen Design konnten wir den aktuellen Kompetenzstand berücksichtigen und mit dem Programm gezielt auf den Wissenstand aufbauen.
  • Drittens sollen alle profitieren, auch die Teams, auch die Abteilungen.
    Hierfür haben wir Fallarbeit integriert, bei der Führungskräfte an ihren eigenen Engpässen arbeiten, was auch den Transfer sicherstellt. Außerdem setzten wir ein 360°-Feedback ein, über das das Umfeld konkret mit einbezogen wird, im Anschluss daran verstärkt über Feedbackgespräche und -workshops. Ganz nebenbei erhalten Führungskräfte auch Wissen und Handwerkszeug, das sie mit ihren Teams anwenden, und auch zum Teil den Mitarbeitenden on-the-job vermitteln können, um auch in deren Zukunftskompetenzen zu investieren.
  • Viertens sollen organisch firmenweite Netzwerke entstehen bzw. gestärkt und erweitert werden, und bereichsübergreifendes Denken gefördert werden.
    Führungskräfte etablieren zumindest auf ihrer Ebene eine Kultur des Austausches und des gemeinsamen Lernens. Das strahlt in die ganze Organisation aus. Um dies zu fördern, haben wir ein paar etwas ungewöhnliche Praktiken eingebaut – Ideen, die aus dem HR-Team kamen oder sich aus dem Feedback der Teilnehmenden entwickelt haben.

Wie sind wir vorgegangen?

Führungsentwicklung bei Pfisterer
Envato/bialasiewicz

Von Anfang an wurden hier die Vorzüge des Mittelstands sichtbar. Man denkt und agiert nachhaltig und ganzheitlich. So wurden vom Vorstand über die Führungskräfte bis zum Betriebsrat alle in die Konzeption mit einbezogen. Diese begann mit einer Bestandsaufnahme. Wir haben die Wünsche in der Belegschaft erfragt und mit der Vision von oben abgeglichen. Das HR-Team bei Pfisterer ist im Unternehmen gut verwurzelt und eng mit dem Business verzahnt. So konnten wir auch die Geschäftsherausforderungen, die für die Firma aktuell sind und in Zukunft zu erwarten sind, betrachten und daraus Ableitungen für die Themenzusammenstellung treffen.

Agilität konkret: Individuelle Schulungsansätze

Dabei durften aktuelle Themen nicht fehlen, die auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse vermittelt werden. Die Themen Agilität und New Work zum Beispiel wurden berücksichtigt.

Aber auch hier zählte: Das Thema muss für Pfisterer relevant und anwendbar sein. Die Vision von Pfisterer für das Führungsprogramm spiegelt diese Agilität wider. Das Zielbild ist eine Organisation, in der Mitarbeiter auf allen Ebenen mitdenken, mitsteuern und Verantwortung übernehmen. Agilität und New Work sind hierbei nicht einfach Schlagwörter, sondern werden auf der Basis der Unternehmensidentität und -kultur sowie der aktuellen Marktrealität verankert. Das Programm trägt den passenden Namen „Führen in die Zukunft“ und setzt damit den klaren Fokus auf die Frage, wie Führungskräfte dazu beitragen können, das Unternehmen in die Zukunft zu führen.

Der Ansatz, Agilität und New Work nicht als Trends zu behandeln, sondern als Werkzeuge für effektive Lösungen von aktuellen Herausforderungen, zeichnet das Programm aus. Hierzu wurden ausgewählte Theorien und Ansätze integriert. So ein empirisch untermauertes Führungskompetenzmodell (HAVE-Modell, Global Center for Digital Business Transformation, basierend auf den Ausarbeitungen von Neubauer und Puckett, 2018) und ein Modell zu den Grundpfeilern agiler Arbeitsweisen (TEC-Modell, Puckett, 2020).

Die Teilnehmenden haben die entsprechenden Bücher erhalten, um stellenweise Inhalte vertiefen zu können. Impulse, die eigenen Teams zukunftsfähig zu machen, lieferte dabei das Buch „Moderne Führung und Selbstorganisation“, was ebenfalls begleitend zum Programm eingesetzt wurde. Es hat sich gezeigt: So wichtig der Fokus auf die Anwendung und Umsetzung ist, so hilfreich und wichtig ist auch ein solider theoretischer Unterbau.

Und hier ergab sich dann ein ganz wichtiger Punkt für unser Vorgehen:

Agile Prinzipien in der Programmentwicklung berücksichtigen

Wichtig war und ist ein iteratives Vorgehen. Nach jedem Modul wird Feedback eingeholt und gemeinsam überlegt, was wir beim nächsten Mal anders tun sollten. Auch wird unser Themenbacklog immer wieder mit allen Stakeholdern besprochen und priorisiert. So wird Schritt für Schritt jedes der Module aufeinander aufgebaut und an aktuelle Entwicklungen und sich verändernde Bedürfnisse angepasst. Ein Beispiel sind die neu entwickelten Unternehmenswerte bei Pfisterer, die nun thematisch in das nächste Modul aufgenommen werden.

Walking the Talk: Agile Prinzipien im Programm

Foto Menschen im Büro
Envato/davidpereiras

Wenn man in einer Organisation Agilität ermöglichen will, muss man eine Umgebung schaffen, die dies erlaubt. Wie diese aussieht, ist in den drei Grundpfeilern agiler Organisationen des „Agilen Kulturcodes“ (TEC Modell) beschrieben: Transparenz, Empowerment und Kollaboration. Unser Anspruch war, diese Elemente auch direkt in das Programm zu integrieren.

Um Transparenz zu fördern, machten wir die Schulungsinhalte für die gesamte Belegschaft zugänglich. Auch werden alle Themen auf allen Hierarchieebenen behandelt. Es soll jeder strategisch mitdenken können. Feedbackmechanismen schufen außerdem eine transparente Bewertung des Programms.

Auch Aspekte der Geschäftsagilität, wie datengesteuerte Entscheidungen wurden über den Einsatz entsprechender Instrumente direkt angewendet.

Empowerment wurde aktiv gefördert, indem die Teilnehmerinnen / Teilnehmer in die Gestaltung des Trainings einbezogen wurden. Dabei wurden die Führungskräfte in Lerngruppen unterstützt, und die Vorgesetzten spielten eine unterstützende Rolle in moderierten Gesprächen. Thematisch zieht sich das Thema entwickeln und befähigen von Einzelnen und Teams für mehr Verantwortungsübernahme durch alle Module hindurch.

Kollaboration wurde durch die gezielte Zusammenstellung von Gruppen aus verschiedenen Standorten und Abteilungen, sowie dem Aufsetzen von Lerngruppen gefördert. Auch das zusätzliche Vernetzen zu verschiedenen Herausforderungen der Führungskräfte trug seinen Teil bei. Durch Rotation einzelner Teilnehmer entstand eine weitere innovative Idee, die die unternehmensweite Kollaboration stärkte.

Heraus kam ein Programm, dass sich mit 4-5 zweitägigen Präsenzveranstaltungen auf rund 2,5 Jahre ausstreckt. So kann eine Lernreise stattfinden, die auch die Organisation als Ganzes entwickelt.

Und dies ist nur der Start. Das Programm wird das Unternehmen hoffentlich noch die nächsten zehn Jahre begleiten, beim Training neuer Führungskräfte. Ein Beitrag zur Beständigkeit und Nachhaltigkeit des Programms.

Was haben wir aus dem Projekt gelernt?

Führungsentwicklung bei Pfisterer – warum nicht groß denken?
Envato/nenetus

Es läuft nicht immer alles wie geplant. Auch ein solches Programm muss agil steuerbar sein. Das fängt bei der zeitlichen Planung an. Zum Teil wurden die Abstände zwischen den Modulen länger als geplant. Hilfreich war hier, dass wir die Zeit zwischen den Modulen begleiten, mit dem Fokus auf Transfer und Umsetzung. Lerngruppentreffen sind eines der Elemente, die sich bei zeitlichen Änderungen auch flexibel ausbauen lassen.

Was sich sehr bewährt hat, war das Investieren in Einzelcoaching-Sessions. So gelang uns, die ganze Führungsmannschaft mitzunehmen, aber doch ein individuelles Lernerlebnis zu schaffen.

Wichtig ist es, die optimale Teamgröße zu finden. Dadurch, dass wir ein so kleines Team waren, konnten wir uns regelmäßig austauschen und auch gegenseitig unterstützen. So kennt das Team mittlerweile die Themen und Strukturen gut genug, um den Teilnehmenden auch beratend zur Seite zu stehen. Die Kommunikationswege bei uns sind kurz und der Informationsverlust gering. Das kleine Team hat auch dazu beigetragen, das Vertrauen aufzubauen.

Die iterative Entwicklung des Programms nach agilen Prinzipien ermöglichte nicht nur schnelle Anpassungen an Veränderungen, sondern auch eine kontinuierliche Integration von Feedback. Kurze Entscheidungswege bei Pfisterer, eine offene Kultur für neue Ideen und ein HR-Team, das immer den Mehrwert für die Teilnehmenden und die Organisation im Blick hat und hier kreativ und auch mal unkonventionell denkt, ermöglichten schnelle und kreative Reaktionen auf Feedback und eine kontinuierliche Weiterentwicklung des Programms.

Quellen:

Puckett, S. & Neubauer, R. M. (2018). Agiles Führen – Führungskompetenzen für die agile Transformation. Göttingen: BusinessVillage.
Puckett, S. (2020). Der Code Agiler Organisationen – Ein Playbook für den Wandel zur Agilen Organisationskultur. Göttingen: BusinessVillage
Puckett, S. (2021). Moderne Führung und Selbstorganisation – Mit psychologischem Wissen Zukunftskompetenzen entwickeln. Freiburg: Haufe.


Das Buch zum Thema

Buchcover Moderne Führung und Selbstorganisation

Stefanie Puckett
Moderne Führung und Selbstorganisation.
Mit psychologischem Wissen Zukunftskompetenzen entwickeln
Haufe, 1. Auflage 2021, 262 S., 39,95 €
ISBN: 978-3-648-15561-5

 

 


Lesen Sie auch die folgenden Beiträge:

Stefanie Puckett

Diplom Psychologin Dr. Stefanie Puckett begleitet seit über 15 Jahren Unternehmen in der Entwicklung ihrer Führungskräfte und -kultur. Sie ist Gründerin von Psychology4Agility und Geschäftsführerin von SynergyMind Consulting, einem Unternehmen, das sich auf die kundenspezifische Umsetzung von Führungsentwicklung fokussiert. Sie ist Autorin mehrerer Sach- und Fachbücher, unter anderen „Moderne Führung und Selbstorganisation“ und „Agiles Führen“ und zertifizierter Executive Coach.

Foto Tobias Liedl

Tobias Liedl ist Corporate HR Director bei der Pfisterer Holding SE. Er verfügt über mehr als zehn Jahre Erfahrung im HR-Management mit verschiedenen Stationen in unterschiedlichen Unternehmen. Bei Pfisterer bringt er diese vielfältige Erfahrung in die kontinuierliche Weiterentwicklung des HR-Bereichs ein, wobei ihm die Entwicklung der Unternehmenskultur und die Entwicklung und Unterstützung der Führungskräfte und Mitarbeitenden besonders am Herzen liegt.

Vorheriger Beitrag

„Geschlechterneutrale Elternzeit“ versus gesetzliche Elternzeit

Die multifaktorielle Krise der Talentakquise

Folgender Beitrag