Junge Unternehmen, auch New-School-Unternehmen genannt, schaffen eine Kultur, die mit dem schnellen Wandel Schritt halten kann. Und Future Leader, also die Führungskräfte, die wir dort finden, sorgen für die notwendigen Rahmenbedingungen, um den Sprung in die Zukunft möglich zu machen. Anne M. Schüller beschreibt hier, was die jungen Unternehmen auszeichnet.
Es ist Mittag. Johannes, dessen Schreibtisch zwischen all den anderen steht, geht zur Kaffeemaschine und bringt eine Tasse frisch gebrühten Kaffee rüber zu Sven. Während er den Kaffee vorsichtig neben dem Computer platziert, fragt Johannes, ob Sven noch etwas braucht. Sven schaut verlegen von seinem Bildschirm hoch und erwidert, dass er am Abend ein Date habe, aber sein Hemd vorher noch in die Reinigung müsse. Ruckzuck schnappt sich Johannes den Kleiderbeutel und ist schon unterwegs.
Sven schreibt die Software für Johannes’ Firma. Sven und Johannes arbeiten auf Augenhöhe. Und Johannes, der Chef, hat verstanden, dass jede Rolle im Unternehmen primär eine Funktion ist, auch die des CEO. Er weiß, dass es sich besser arbeiten lässt und Leistungshochs dann entstehen, wenn der Arbeitsplatz frei von Blockaden ist und Leistung anerkannt wird. „Ich würde ihm auch mein Auto geben, wenn er danach fragt“, sagt Johannes. „Denn Sven macht uns hier alle erfolgreich.”
Johannes ist ein Future Leader. Er hat erkannt: Hochkompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brauchen keine Ansager und Aufpasser im Nacken, niemanden, der den großen Zampano gibt und um den alles kreist, keinen Vorgesetzten, die zeigt, wo‘s langgeht. Sie brauchen Führende, die sich als Dienstleister verstehen, die alles Hinderliche entfernen, die für Rückenwind sorgen und den Machern im Unternehmen ermöglichen, ihr Bestes auszuspielen. Das klassische Management kann von ihnen einiges lernen.
Future Leader zeigen Wandlungsmut und Weiterentwicklung
Die Kultur in jungen Unternehmen ist geprägt von Wandlungsmut und Weiterentwicklung. Ständig suchen alle gemeinsam nach neuen Modellen, Methoden und Möglichkeiten, um den Erfolg des Unternehmens zu mehren – und zugleich zur Lebensqualität der Menschen wie auch zur Unversehrtheit der Umwelt beizutragen. So setzen Future Leader einen High-Performance-Kreislauf in Gang. Sie wissen, dass schlechte Führung ein zentraler Grund für das Ausscheiden von Top-Talenten ist.
Die wirkungsvollste Strategie für Erfolg in der Zukunft ist die, allgemein etablierte Dinge infrage zu stellen, und es anders zu machen als üblich. Die neuen Marktplayer begeben sich deshalb erst gar nicht auf Aufholjagd. Sie eifern nicht dem Bestehenden nach, um es effizienter zu machen und marginal zu verbessern. Sie versuchen auch nicht, alte Technologien aufzupeppen. Sie überspringen sie einfach. Herkömmliche Branchengesetze sind ihnen komplett egal. Gewohntes wird radikal infrage gestellt. Unbekümmert und forsch kreieren sie die Dinge anders und neu.
Freiraum für Experimente und Fehlertoleranz: völlig normal
Eine wesentliche Maxime in jungen Unternehmen ist Lust auf Fortschritt statt Bestandserhaltung und Steuerung nach Planvorgaben. Sie probieren alles Mögliche aus, preschen schnell vor, wenn sich Erfolgsaussichten am Horizont zeigen, brechen aber genauso schnell wieder ab, wenn ihr Plan nicht zündet. Sie haben verstanden: Nur da, wo nichts passiert, passieren garantiert keine Fehler. So gibt es jede Menge Freiraum für Experimente. Sie probieren alles Mögliche aus und kalkulieren das Scheitern mit ein. Für den Fall, dass etwas misslingt, misslingt es früh. Kosten halten sich so in Grenzen.
Permanentes Feedback und eine fehlertolerante Lernkultur sind in jungen Unternehmen völlig normal. Mancherorts bietet man den Mitarbeiterinnen / Mitarbeitern bei Fehlstarts sogar eine Bühne: „Stelle ein Projekt vor, das so richtig gegen die Wand gefahren ist“, lautet die Aufforderung dort. Der dahinterliegende Sinn: Alle sollen daraus lernen. Nicht der Fehler, sondern die Lernerfahrung wird also gefeiert. Denn eine negative Haltung gegenüber Fehlern erstickt jeden Hauch von Wagemut schon im Keim. Über einen Mangel an Innovationen darf man sich dann natürlich nicht wundern.
Die zehn Kernmaximen in jungen Unternehmen
New-School-Unternehmen schaffen eine Kultur, die mit dem schnellen Wandel Schritt hält, sowie die Rahmenbedingungen, um dies möglich zu machen. Die Kernelemente:
- Sie lieben ihre Kunden – und deren Daten,
- sie hassen Bürokratie, da sie Verschwendung bedeutet,
- ihr Vorgehen ist offen, wendig, flexibel und schnell,
- sie nutzen agile und kollaborative Arbeitsmethoden,
- sie agieren niedrighierarchisch mit Minimalstrukturen,
- die Mitarbeitenden arbeiten weitestgehend selbstorganisiert,
- die Kernbelegschaft wird durch Externe (Freelancer) ergänzt,
- die Vermarktung geschieht über Wertschöpfungsnetzwerke,
- wenig Besitz, vielmehr kostengünstiges Mieten und Teilen,
- sie denken ihre Geschäftsmodelle von Anfang an digital.
Die Architektur in innovativen jungen Unternehmen ist geprägt von maximaler Transparenz. Gearbeitet wird vernetzt und auf Augenhöhe. Crowdsourcing und Open Innovation sind üblich. Die Prozesse sind stets hoch flexibel und laufen sehr zügig ab. Die Orte der Arbeit sind meist minimalistisch und funktional. Sie bieten die Grundlage für Kollaboration und Konnektivität. Steife Vorgaben und umfangreiche Regelwerke haben in jungen Unternehmen keinen Platz, weil dies zu Frust, zu Mittelmaß und zu Effizienzverlust führt. Dennoch braucht es ein Minimum an Strukturen ebenso wie die Standardisierung von Basisprozessen. Sie geben Halt und sorgen für Sicherheit.
Futurefit: Das vorrangige Credo ist Kundenzentrierung
Kundenzentrierung impliziert, dass die Prototypisierung beim Kunden beginnt – und nicht in der Entwicklungsabteilung. Es ist nämlich klug, wenn man erst den Kunden versteht, bevor das Produkt entsteht. Deshalb bauen junge Unternehmen ihre Teams interdisziplinär um Kundenprojekte herum, und zwar entlang der gesamten Prozesskette, in der die Kundenleistung entsteht: der Entwickler, der Designer, die Produktion, der Vertrieb, der Kundendienst und wer sonst noch wichtig ist, agieren gemeinsam, damit das Ganze wie aus einem Guss funktioniert.
Agile junge Unternehmen beschäftigen sich zuvorderst mit Problemstellungen, die durch digitale Ideen verbessert werden können. Nur so können fortan Lösungen entstehen, die Kundenbedürfnisse perfekt bedienen. Was aus Kundensicht nutzlos ist, wird sofort ausgemustert, was veraltet ist, wird zügig erneuert. Ein anweisender und bewilligender Vorgesetzter wäre bei derart innovativem Vorgehen nur hinderlich. Denn hierarchische Macht killt Kreativität. Sie verlangsamt Entscheidungsprozesse. Sie züchtet das Jasager-Syndrom. Und sie stört den schnellen Fortgang der operativen Arbeit.
Das Buch zum Thema – auch als Hörbuch erhältlich
Anne M. Schüller, Alex T. Steffen
Die Orbit-Organisation
In 9 Schritten zum Unternehmensmodell
für die digitale Zukunft
Gabal Verlag 2019, 312 Seiten, 34,90 Euro
ISBN: 978-3869368993
Finalist beim International Book Award 2019
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- Future Leaders: an die Kletterwand!
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Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenfokussierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge auf Tagungen, Fachkongressen und Online-Events. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Beim Business-Netzwerk Linkedin wurde sie Top-Voice 2017 und 2018. Von Xing wurde sie zum Spitzenwriter 2018 und zum Top Mind 2020 gekürt. Ihr Touchpoint Institut bildet zertifizierte Touchpoint Manager und zertifizierte Orbit-Organisationsentwickler aus.