Fokussierende Fragen gegen Verzetteln und Filterblasen

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Agile Befragungstools (4): Pain Points und Love Points im Unternehmen finden, dazu eignen sich fokussierende Fragen gut, sagt Anne M. Schüller. Erfahren Sie hier mehr.

Fokussierende Fragen kommen den wahren Beweggründen eines Individuums am schnellsten auf die Spur, ohne ihm dabei zu nahe zu treten. Es gibt eine Fülle von Varianten für die unterschiedlichsten Einsatzzwecke. Dieser Beitrag ist Teil einer Serie von Anne M. Schüller über schnelle, öffnende, agile Befragungstools.

Fokus heißt: Konzentration auf das Wichtigste – statt Verzettelung im Dickicht der Nebensächlichkeiten. Eine fokussierende Frage geht zum Beispiel so:

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  • Welches sind die drei Dinge, die Sie sich von Ihrer Führungskraft am meisten wünschen?

Wird diese Frage mündlich gestellt, ist eine längere Pause zum Nachdenken nötig. Drängen Sie also nicht. Und seien Sie offen für alles. Nicht selten spürt der Gefragte latente Erwartungen, die er dann auf die erwünschte Weise bedient. Denn letztendlich entscheidet ja der Chef, wer an die Honigtöpfe gelassen wird – und wer nicht.

Fokussierende Fragen: vielerlei Varianten

Damit die Mitarbeitenden ihren Talenten entsprechend eingesetzt werden, bieten sich folgende fokussierende Fragen an:

  • Wenn es eine Sache gibt, die Sie im Unternehmen unbedingt / liebend gern übernehmen wollten, was wäre das für Sie?
  • Wenn es eine Sache gibt, die Ihnen in Hinblick auf Ihre Arbeit als besonders nutzlos erscheint, die also wirklich niemandem etwas bringt, was wäre das für Sie?
  • Wenn es eine Sache gibt, die wir im Interesse der Kunden unbedingt verändern sollten, was wäre das Wichtigste aus Ihrer Sicht?

So erhalten Sie (hoffentlich) endlich wichtige Informationen über schlechte Arbeitsplatzbedingungen, über betriebliche Zwänge, Doppelarbeit und Zeiträuber, über Kommunikations-, Schnittstellen- und Kundenprobleme – und damit über die eigene Betriebsblindheit, deren missliche Folgen Sie unterschätzt oder erst gar nicht gesehen hatten. Ein weiterer Vorteil: Sie können schnell etwas bewirken. Dazu fragen Sie so:

  • Was genau kann ich jetzt sofort tun, um hierbei zu unterstützen? … Okay, danke. Und was noch?

Das Nachhaken ist wichtig, denn oft werden erst im zweiten Anlauf die wahren Anforderungen, Anliegen und Wünsche offengelegt.

Die Painpoints und die Lovepoints sondieren

Vor allem die so überaus gefährlichen kritischen Ereignisse lassen sich mit fokussierenden Fragen gut herausarbeiten. Ein kritisches Ereignis ist ein Moment in der Mitarbeiterbeziehung, das von starken Emotionen begleitet war und sich deshalb tief ins episodische Gedächtnis eingegraben hat. Solche Ereignisse werden wieder und wieder weitererzählt. Diese müssen Sie kennen, um Schaden von Arbeitgebermarke und Unternehmensreputation abzuwenden. Fragen Sie also so:

  • Erzählen Sie doch von einem Ereignis im Unternehmen, an das Sie sich überhaupt nicht gerne erinnern.

Fahnden Sie außerdem nach besonders erfreulichen Geschehnissen, um diese dann in internen und externen Medien als Erfolgsgeschichten zu nutzen. Das ist der erste Effekt. Und der zweite? Kaum etwas ist besser für das Engagement als ein Mitarbeitender, der sich selbst sagen hört, wie toll es ist, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Und da er das nun schon mal ausgesprochen hat, macht er dies in Zukunft wahrscheinlich öfter – offline und online. So wird er zum Botschafter und Corporate Influencer. Die Frage geht so:

  • Erzählen Sie doch von einem Ereignis im Unternehmen, an das Sie sich besonders gerne erinnern.

Die Erzählen-Sie-Frage ist magisch, denn im Plauderton deckt der Mitarbeitende seine Emotionen am ehesten auf. Solche Emotionen zu kennen und sich darauf einzulassen, ist sehr hilfreich, weil sich der/die Befragte dann angenommen fühlt. Und nicht vergessen: Ehrliche und mutige Mitarbeitende haben ein dickes Danke verdient. Zudem wollen sie am Ende immer auch wissen, was sie mit ihren Hinweisen bewirken konnten.

Fokussierende Fragen vom obersten Chef

Auch die Geschäftsleitung kann fokussierende Fragen stellen. Diese klingen zum Beispiel so:

  • Nur mal angenommen, Sie wären an meiner Stelle (oder: … hätten bei uns Managementverantwortung), was würden Sie als Erstes verbessern?

Durch eine solche Frage kommt die Führungscrew gravierenden Schwachpunkten schnell auf die Spur. Gerade die unliebsamen Wahrheiten kommen ihnen ansonsten doch meist gar nicht zu Ohren. In Hierarchien kann der berufliche Aufstieg ja praktisch nur dann gelingen, wenn man Erfolgsmeldungen sendet und Patzer verschweigt.

Auch gute Ideen gelangen oft nicht bis nach Oben, weil sie vom mittleren Management aus welchen Gründen auch immer ausgesiebt werden. So sind Top-Entscheider die am schlechtesten informierten Personen im Unternehmen. Die Entscheidungsgrundlagen, mit denen man sie versorgt, sind interessengeleitet, gefiltert und nicht selten manipuliert. „Executive Isolation“ nennt man diese bedrohliche Filterblase.

Hingegen lässt sich im Zuge einer direkten Mitarbeiteransprache und mithilfe fokussierender Fragen treffsicher und rasch konkreter Handlungsbedarf erkennen. So löst man nicht nur die Probleme einzelner, sondern wappnet sich gegen die Unzufriedenheit vieler. Das Ergebnis: Das Bleibepotenzial wird gestärkt, Fluktuation wird verringert und die Arbeitgeber-Attraktivität steigt.

Die Mitarbeitenden gezielt konsultieren

Haben die Obersten erst einmal die Vorteile einer solchen Vorgehensweise erkannt, können sie die Beschäftigten in einem regelmäßigen Rundgang-Ritual konsultieren. Dazu wird im Vorfeld überlegt, welche Fragen passend sind. Zum Beispiel diese:

  • Mich interessiert Ihre ganz persönliche Meinung zu folgendem Thema … Interessant, und wie könnte das im Einzelnen aussehen?
  • Ich habe mir zum Thema … die folgenden Gedanken gemacht, die ich gerne einmal mit Ihnen besprechen / teilen wollte …
  • Angenommen Sie wären bei dieser Frage der Entscheider, was würden Sie tun? … Interessant, und welche Überlegungen bringen Sie zu dieser Entscheidung?
  • Wie würden Sie an das Thema herangehen, wenn es Ihr Geld wäre? … Und was würden Sie keinesfalls tun?
  • Gesetzt den Fall, wir würden das morgen schon umsetzen. Was würde dann passieren? … Was müssten wir unbedingt noch beachten?
  • Wie sehen Ihre Kollegen – ohne jetzt Namen zu nennen – die Situation? … Und was würden die mir dazu raten?
  • Wenn es eine Sache gibt, die dieses Projekt womöglich zum Scheitern bringen könnte, was wäre da aus Ihrer Sicht der kritischste Punkt?
  • Was wäre denn ein Weg, mit dem die Mitbewerber niemals rechnen? … Wie würden Sie denn die Konkurrenz überrumpeln?

Die Antworten können am Anfang zögerlich kommen. Selbst dann, wenn die Oberen gelöst und nahbar wirken, sind sie, aus dem Blickwinkel der Belegschaft betrachtet, immer noch Respektspersonen. Das können Sie mildern, indem Sie vom Stil her keine Befragung, sondern eine Unterhaltung führen. Bei Bedarf ermuntern Sie die Leute freundlich nickend wie folgt: „Nur weiter!“ Und: „Erzählen sie mehr!“ Oder: „Das klingt spannend.“ Oder: „Ja, das leuchtet mir ein.“

Aber Achtung: Fragen sind immer auch ein Zeichen von Macht. Denn wer fragt, der führt. Das Wie einer Fragestellung ist deshalb entscheidend. Deshalb dürfen Fragen nicht bedrängend wirken – und niemals in ein Verhör ausarten. Wer hingegen gut und richtig fragt, erhält laufend neue gute Ideen. Die Mitarbeitenden spüren, wie wertvoll sie für das Unternehmen sind. Bei Problemen kann man umgehend reagieren und gegensteuern. Gutes kann man loben. Die schließlich getroffenen Entscheidungen stehen auf einer besseren Basis, und man vermeidet Fehlentscheide am grünen Tisch.


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Anne M. Schüller:
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Mitarbeiterführung in unserer neuen Businesswelt
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Lesen Sie auch die weiteren Beiträge von Anne M. Schüller zur Serie „Agile Mitarbeiterumfragemethoden“:

Mitarbeiterbefragungen nach Schema F? Nein, danke

Wenn die Belegschaft die Gewissensfrage stellt

„Kill a stupid Rule!“: Internen Ballast abwerfen

Punktuelle Umfragen: Ehrliche Antworten statt Kreuzchen

Anne M. Schüller

Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenfokussierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge auf Tagungen, Fachkongressen und Online-Events. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Beim Business-Netzwerk Linkedin wurde sie Top-Voice 2017 und 2018. Von Xing wurde sie zum Spitzenwriter 2018 und zum Top Mind 2020 gekürt. Ihr Touchpoint Institut bildet zertifizierte Touchpoint Manager und zertifizierte Orbit-Organisationsentwickler aus.

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