Die Fluktuation im Topmanagement hat sich deutlich erhöht. Claus Verfürth, Geschäftsführer und Partner bei The Boardroom, rät Unternehmen und Führungskräften auf Jobsuche, sich einige kritische Fragen zu stellen.
Die Verweildauer von Managern / Managerinnen in Spitzenpositionen verringert sich deutlich. Zwar ist es normal, dass es auf Führungsebene regelmäßig zu Wechseln kommt – der Trend nimmt jedoch seit einigen Jahren deutlich zu. Für die Entscheider in den Unternehmen bedeutet dieser Trend vor allem, dass sie die Tragweite von Neubesetzungen genau im Blick haben müssen. Auch ist es wichtig zu ergründen, warum die Verweildauer stetig abnimmt und welche Stellschrauben gedreht werden müssen, um diesem Trend entgegenzuwirken. Im Gegenzug können sich kurze Verweildauern in Spitzenpositionen durchaus positiv auf das Unternehmen auswirken – auch hier sind Entscheider gefragt, die sich bietenden Chancen zu nutzen.
Ein neues Rollenverständnis
Zunächst ist es wichtig, zu ergründen, warum die Wechsel an der Spitze immer häufiger und kurzfristiger durch das Unternehmen initiiert werden. Manchmal wird einfach eine neue und noch unvoreingenommene Perspektive benötigt. Die Neubesetzung einer Führungsposition sollte deshalb auch mit einer inhaltlichen Neuaufstellung der zu besetzenden Stelle einhergehen, um sich den offenbar gewandelten Gegebenheiten anzupassen.
Daneben gibt es bei den von Seiten der Führungskräfte selbst gewollten Wechseln eine deutlich spürbare Veränderung des eigenen Rollenverständnisses. Die persönliche Flexibilität hat heutzutage einen deutlich höheren Stellenwert als früher.
In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde der Druck für eine notwendige Veränderung und Anpassung in vielen Fällen von außen auferlegt. Allerdings sind nicht alle Branchen gleichermaßen von diesem Trend betroffen. Schwerpunktmäßig geht es vor allem um diejenigen Sektoren, die aufgrund von völlig neuen Marktstrukturen ihr Geschäftsmodell anpassen und sich dazu auch personell neu aufstellen müssen.
Wechsel an der Spitze betreffen das ganze Unternehmen
Sowohl die strategische Planung als auch die Kompetenz zur Besetzung der neuen Führung wird häufig in Frage gestellt, wenn die Fluktuation an der Spitze hoch ist. So rücken auch die Entscheider in den Aufsichtsräten oder der Geschäftsführung, gewollt oder ungewollt, in den Fokus. Bisherige Prozesse müssen vielfach überdacht und neu strukturiert werden. Ebenso wirken sich häufige Wechsel auf die Mitarbeiter, Firmenkultur und Außenbeziehungen des Unternehmens aus.
Die Entscheider sollten hier sehr genau analysieren, welche Wirkung ein schneller Wechsel an der Spitze auf das ganze Unternehmen inklusive aller Beziehungen hat. Und vor allem die Frage klären, warum der/die ausgesuchte Manager/Managerin nicht der Richtige war oder ein Manager seine Zukunft nicht mehr im Unternehmen sieht.
Am Ende bergen schnelle Wechsel die Gefahr, das Unternehmen zu lähmen, weil sich die Organisation immer erst auf die neuen Top-Manager einstellen muss. Darum ist es den Entscheidern zu raten, lieber mehr Zeit für die Besetzung ihrer Top-Position zu investieren und ihre Prozesse für die Auswahl und Nachfolge genauestens zu prüfen.
Zwei Sichtweisen – ein Problem
Leider wird oft vernachlässigt, dass die rasant sinkende Verweildauer von Führungskräften immer zwei Seiten hat, die zu berücksichtigen sind. Auf der einen Seite gibt es die Perspektive der Unternehmensverantwortlichen. Sie müssen vakante Positionen wieder neu besetzen und sich dabei kritische Fragen stellen: Warum war die Auswahl des bisherigen Stelleninhabers nicht die richtige Entscheidung? Hat sich das Unternehmen so schnell weiterentwickelt und die Kompetenz der Führungskraft reichte dafür nicht mehr aus?
Auf der anderen Seite steht der Manager/die Managerin selbst mit seiner/ihrer Entscheidung, das Unternehmen zu verlassen. Wollte er/sie sich spontan neu orientieren, weil er/sie in einem anderen Unternehmen ein attraktiveres Angebot erhalten hat? Oder musste er/sie sich überraschend und schnell neu orientieren? Hatte sie/er trotz seiner langen, erfolgreichen Karriere hierfür genug Erfahrung? Resümierend lässt sich also eine Frage festhalten, die sich alle Entscheider im Unternehmen stellen müssen: Ist der Manager/die Managerin an der Spitze gescheitert oder passten er/sie und das Unternehmen einfach nicht zusammen?
Führungskräfte sollten ausreichend Zeit einplanen
Auch wenn sich der Arbeitsmarkt wandelt und die Situation immer schnelllebiger wird: Top-Führungskräfte sollten nicht zu voreilig ihre Entscheidung für einen neuen Job treffen. Auch ein Jahr ohne Job ist auf dieser Ebene noch nicht problematisch. Im Schnitt dauert es meist neun Monate, bis unsere Klienten mit Hilfe unserer Beratung eine neue Spitzenposition antreten. Es ist also empfehlenswert, sich lieber etwas mehr Zeit für die Suche zu nehmen.
Natürlich ist dies für Manager/Managerinnen besonders ungewohnt, da sie ihre Aufgaben immer zügig und strukturiert erledigt haben wollen. Am Ende ist jedoch die Dauer der beruflichen Umbruchsituation nicht das Wichtigste. Es wird zukünftig viel entscheidender sein, den richtigen Job im passenden Unternehmen gefunden zu haben, als irgendeine Position möglichst schnell einzunehmen.
Für die Entscheider ist vor allem eines zu tun: kritisch zu hinterfragen, ob die Stelle, die zu besetzen ist, wirklich ein attraktives Angebot für einen Manager/eine Managerin darstellt, seine/ihre berufliche Heimat langfristig in diesem Unternehmen zu suchen. Auch müssen Auswahlprozesse und schon die Kandidatensuche dahingehend ausgerichtet werden. Nur wenn die Voraussetzungen im Unternehmen stimmen, finden sich auch die passenden Kandidaten/Kandidatinnen für eine langfristige Besetzung.
Fluktuation im Topmanagement – Fazit
Wechsel auf Executive-Ebenen sind normal. Doch sind sie zu häufig und zu kurzfristig, kann sich dies negativ auswirken. Daher ist es empfehlenswert, wenn Entscheider für diese Position frühzeitig die Prozesse der Nachfolgeregelung überprüfen, ihre Auswahl sorgsam vorbereiten und auf jeden Fall genug Zeit für die Kandidatensuche einplanen. Nur so kann die Neubesetzung erfolgreich gelingen und eine echte Veränderung bringen. Ansonsten sind die Auswirkungen nicht nur auf Top-Ebene, sondern auch im gesamten Unternehmen zu spüren.
Auf der anderen Seite ist es wichtig, dass Unternehmen frühzeitig den Wechselwillen bei ihren Führungskräften erkennen – und ggfs. erfolgreich gegensteuern. Wenn die Gründe für die hohe Fluktuation an der Spitze des Unternehmens erst einmal bekannt sind, ist es ein Leichtes, mit effektiven Maßnahmen gegenzusteuern und Führungskräfte langfristig für das Unternehmen zu begeistern.
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- Top-Führungskräfte: Ein Bruch bedeutet nicht das Ende
Claus Verfürth ist Geschäftsführer und Partner bei The Boardroom, dem Beratungsbereich für Top-Manager in der von Rundstedt Gruppe. Mit seiner Expertise begleitet er Topmanager in unterschiedlichen Phasen ihrer Karriere. Egal, ob sie eine neue Position suchen oder sich in ihrem Unternehmen entwickeln möchten.