Familienarbeit ist immer noch Frauensache, sagen Professorin Gudrun Sander und Nicole Niedermann, Universität St.Gallen. Was können Unternehmen und HR tun, um dies zu ändern?
Die Gleichstellung der Geschlechter – ein ewiger Mythos, oder längst erreicht? Nehmen wir die wirtschaftliche Beteiligung der Frauen in den Fokus, wird die noch bestehende «Ungleichheit» zwischen Frauen und Männern besonders deutlich. Deutschland liegt zwar im Globalen Gender Gap Report auf Rang 11 von 156, jedoch sind Frauen nach wie vor mit weniger als einem Drittel (29 Prozent) in Kaderpositionen vertreten (WEF, 2021).
Die sogenannte gläserne Decke, welche diese unsichtbare Barriere beschreibt, die es Frauen unmöglich macht, in die oberen Geschäftsetagen zu gelangen, ist längst nicht überwunden. Aber weshalb scheitern Unternehmen Jahr für Jahr an dieser gläsernen Decke und verpassen es, Frauen in verantwortungsvolle Positionen zu bringen – und sie zu halten? Weshalb rückt dabei die Frage nach einer fairen, partnerschaftlichen Verteilung der Familien- und Care-Arbeit ins Zentrum? Welche Verantwortung tragen die Unternehmen?
Klassische Karriereverläufe – und nur ein Geschlecht profitiert
Wenn wir die die Karrierewege von Frauen und Männern genauer unter die Lupe nehmen, so zeigt sich immer wieder dasselbe Muster: Von einem Aufstieg ins mittlere und höhere Management profitieren Männer in Vollzeitanstellung, ohne biografische Unterbrechung und oftmals in einer Partnerschaft, in welcher sich mehrheitlich die Frau um Kinderbetreuung und Haushalt kümmert (u.a. Fitzsimmons, 2014). Die Ursache für die scheinbar unüberwindbare gläserne Decke liegt also in den nach wie vor sehr traditionellen, auf die männliche Normalbiografie ausgerichteten, Karriereverläufe.
(Potenzielle) Elternschaft und Familienarbeit als Karrierekiller
Trotz gleicher Qualifikationen, Ausbildungen und, zumindest zu Beginn der Laufbahn, ähnlichen Karriereverläufen beider Geschlechter, bricht für die Mehrheit der Frauen mit der Elternschaft die Karriereleiter. Insbesondere in Wohlfahrtsstaaten mit alteingesessenen Strukturen kommt es mit der Elternschaft zu einer Re-Traditionalisierung in Richtung veralteten Rollenbildern (Levy & Sander, 2020).
In Deutschland waren 2019 drei von vier Müttern (75 Prozent) erwerbstätig. Der Anteil der erwerbstätigen Väter betrug in diesem Jahr hingegen ganze 93 Prozent. Damit nimmt ein Viertel der Frauen aufgrund der Familienarbeit einen Erwerbsunterbruch in Kauf. Von jenen Frauen, die nach der Elternschaft erwerbstätig bleiben, arbeiteten 2019 zwei Drittel Teilzeit (66,2 Prozent), während es bei den Vätern gerade einmal 6,4 Prozent waren. (Destatis)
In der «Family Primetime» Karriereschritte verpassen
Genau bei diesem Übertritt in die Elternschaft, scheiden also die Karrierewege der Frauen und Männer. Dies ist deswegen so problematisch, weil 50 Prozent aller Beförderungen in die Zeit der «Family Primetime» fallen. Während Frauen in die Teilzeitfalle tappen oder ihren Erwerb unterbrechen, sehen sich Männer mit ihren Vollzeitpensen tendenziell auf dem Karrieresprungbrett (Gender Intelligence Report, 2021).
Damit tragen die Frauen nicht nur die größere Last bei der Familienarbeit, sie verpassen gleichzeitig auch wichtige Karriereschritte. Hinzu kommt, dass Frauen, sobald sie in das typische «Familien-Alter» kommen, bereits vor einer möglichen Mutterschaft im Vergleich gleichaltrigen Männern in Bezug auf Rekrutierungs- und Beförderungschancen benachteiligt sind («Maybe-Baby»-Bias, Gloor et al., 2021).
Sollen Elternschaft oder ein Teilzeitpensum nicht zum «Karriere-Bruch» führen, muss die aktuell ungleiche Verteilung der Arbeitslast zwischen den Geschlechtern in Familie und Beruf nachhaltig ausgeglichen werden. Dafür müssen sich Mitarbeitende und Unternehmen von traditionellen Karriere- und Rollenvorstellungen lösen.
Was können Unternehmen und HR tun?
Zunächst ist es wichtig, Führungskräfte ins Boot zu holen und sie zu für das Thema Elternschaft und Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu sensibilisieren. Personalabteilungen können dafür beispielsweise Schulungen organisieren, um Führungskräften ihre Vorurteile gegenüber Müttern (oder auch Vätern) bewusst zu machen und diese zu hinterfragen. Ist ein Vollzeitpensum beispielsweise tatsächlich eine Voraussetzung dafür, eine gute Führungskraft zu sein? Wird Arbeit, die von zu Hause aus verrichtet wird, aktuell gleich wertgeschätzt, wie wenn eine Person im Büro (sichtbar) ist?
Motivieren Sie außerdem das Management, sich aktiv zu solchen Themen im Unternehmen zu äußern und eine Vorbildfunktion einzunehmen (portraitieren sie beispielsweise Teilzeitväter in höheren Kaderpositionen).
Etablieren Sie eine Kultur, in der grundsätzlich die Annahme herrscht, dass Frauen nach dem Mutterschutz ihren Beruf weiter ausüben. Kommunizieren Sie proaktiv die positiven Auswirkungen der von Vätern eingelösten Elternzeit (beispielsweise eine stärkere Bindung der Mitarbeitenden) und ermuntern Sie Ihre männlichen Mitarbeiter dazu, sich zu einem gleichwertigen Teil an den Betreuungsaufgaben zu beteiligen. Dafür braucht es auch flexibles Arbeiten auf allen Hierarchieebenen als integraler Bestandteil der Unternehmenskultur. Nicht die Anwesenheit im Büro, sondern die Leistung, gemessen an klaren Zielen, sollte wertgeschätzt werden.
Vorgesetzte und Personalverantwortliche sollten mit werdenden und neuen Eltern proaktiv das Gespräch suchen, um Bedürfnisse abzufragen und Unterstützung anzubieten (beispielsweise mit Elterncoachings).
Neue Strukturen schaffen, «Karriere» neu definieren
Neben einem Kulturwandel braucht es auch Anpassungen auf struktureller Ebene: Setzen Sie konkrete Ziele und machen Sie Führungskräfte für deren Erreichung verantwortlich (z.B. ein bestimmter Prozentsatz der Frauen kehrt aus dem Mutterschutz zurück).
Definieren Sie «Karriere» neu und bieten Sie flexible Laufbahnen an, die vereinbar sind mit der jeweiligen Lebensphase der Mitarbeitenden. Ermöglichen Sie, dass Schlüsselpositionen im Jobsharing ausgeübt oder das Arbeitspensum vorübergehend verringert werden kann. Eine wichtige Aufgabe der Personalabteilung ist es dabei, diese Möglichkeiten proaktiv allen Mitarbeitenden zu kommunizieren, dafür verschiedene Kommunikationskanäle zu nutzen und alle Informationen gut auffindbar zur Verfügung zu stellen.
Es braucht Veränderungen sowohl auf kultureller als auch struktureller Ebene. Prozessänderungen bringen nichts, solange die Werte nicht auch tatsächlich gelebt werden und im Umkehrschluss ist es nicht zielführend, wenn zwar die Denkweise verändert wird, die Strukturen in einem Unternehmen diese aber nicht unterstützten.
«Elternschaft sollte als normaler Teil der beruflichen Laufbahn von Männern und Frauen betrachtet werden. Unternehmen und die Gesellschaft als Ganzes sind in der Pflicht, neue Wege und Denkweisen zu definieren, wie wir unser Berufsleben mit anderen Lebenssphären kombinieren können»
Prof. Dr. Gudrun Sander ist Titularprofessorin für Betriebswirtschaftslehre mit besonderer Berücksichtigung des Diversity Managements, Co-Direktorin der Forschungsstelle für Internationales Management und Direktorin des Competence Centre for Diversity & Inclusion der Universität St.Gallen. Sie arbeitet seit mehr als 25 Jahren mit Firmen im Bereich Frauenförderung, Diversity & Inclusion, Chancengleichheit etc. zusammen und ist Autorin zahlreicher Artikel und Bücher.
Nicole Niedermann ist Co-Leiterin des St.Gallen Diversity Benchmarking und Senior Project Manager am Competence Centre for Diversity & Inclusion der Universität St.Gallen. Ihr Fokus liegt auf der strategischen Begleitung und Beratung von Unternehmen im Bereich Diversity & Inclusion sowie auf der Durchführung der jährlichen Diversity Benchmarking Studie. Sie ist Expertin für die Bereiche Diversity & Inclusion in Talent Management, faire HR Prozesse, Gleichstellung sowie Vereinbarkeit von Beruf und Familie.