Expertenkarrieren: 5 Überlegungen, wie HR vorgehen könnte

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Expertenkarrieren zielen darauf ab, hochqualifizierten Fachkräften Perspektiven zu eröffnen. Assaf Greisman, Leiter Reward Management and International Executive Regulations bei der DB Cargo AG, stellt hier fünf Überlegungen vor, wie HR bei der Einführung von Expertenkarrieren vorgehen könnte. Dies ist der Teil 2 eines Grundsatzbeitrags zum Thema.

In Anbetracht der in Teil 1 des Gastbeitrags vorgestellten Schwierigkeiten und Voraussetzungen der Sinnhaftigkeit werden im Folgenden fünf praktische Überlegungen präsentiert, auf Basis derer die ersten Grundsätze von Expertenkarrieren im Unternehmen gestaltet werden können.

1. Keine Expertenkarrieren einführen:

Unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten und möglichen Kollateralschäden und in Abhängigkeit von der Unternehmenskultur, der Akzeptanz der Interessenvertretungen, der zur Verfügung stehenden Ressourcen und der Reaktion der Belegschaft, sollte sich das Unternehmen die Sinnhaftigkeit der Einführung von Expertenkarrieren grundsätzlich überlegen. Es gibt nämlich auch andere Wege, die Ziele hinter der Einführung von Expertenkarrieren zu erreichen, die mit der Aufbruchstimmung aber auch möglichen Unruhe nicht verbunden sind.

Vor allem wenn die Zielgruppe klein ist, können Weiterentwicklungs- und Wertschätzungsmaßnahmen individuell und „unter dem Radar“ vereinbart werden, ohne das Risiko des Unternehmens, von der restlichen Belegschaft missverstanden zu werden.

2. Die Selektionsrichtlinie:

Die Selektionsrichtlinie ist das Regelwerk, bestehend aus Kriterien und Ausprägungen, die darüber entscheiden, ob eine Stelle beziehungsweise ein Stelleninhaber / eine Stelleninhaberin in die Expertenkarriere aufgenommen wird. Die Kriterien und Ausprägungen werden also am Ende des Selektionsprozesses bestimmen, wie viele und welche Expertinnen / Experten es in der Organisation geben wird. Daher sollten diese formuliert werden, erst nachdem eine zum Unternehmen passende Doktrin zu diesem Thema formuliert („wie definieren wir in diesem Unternehmen den Begriff ‚Expertin / Experte‘?“) und das Budget für alle Maßnahmen und sonstige Kosten des Karriereprogramms festgelegt wurden.

Letztendlich wird eine finanzielle Investition benötigt, um das Karriereprogramm attraktiv zu gestalten und bei einem fixen Gesamtbudget sinkt die Investition pro Expertin / Experte, je mehr Expertinnen / Experten es im Unternehmen gibt. Je mehr das Gesamtbudget erhöht wird, um die Attraktivität des Programms trotz steigender Anzahl an Expertinnen / Experten aufrechtzuerhalten, desto zunehmend schwieriger könnte es werden, die Kosten des Programms zu amortisieren.

Neben den Kriterien und Ausprägungen hat die Art der Formulierungen im Regelwerk auch eine entscheidende Rolle für viele Aspekte der anschließenden Umsetzung. Eine weiche und abstrakte Formulierung der Zugangsvoraussetzungen, die Flexibilität in der Auslegung durch den Prüfer zulässt, ist vorteilhaft bei berechtigten Sonderfällen und erlaubt den Prüfern, eine Stelle aus einem breiteren Blickwinkel auf Eignung zu prüfen. Die Nachteile dieser Art sind eine tendenziell höhere Anzahl an Expertinnen / Experten, mehr Reibung mit und weniger Akzeptanz durch die Belegschaft und eine inkonsistente Anwendung, falls unterschiedliche Prüfer mit dem Selektionsprozess beauftragt werden. Eine eindeutige und konkrete Sprache im Regelwerk hat die gegenteiligen Vor- und Nachteile.

3. Der Selektionsfokus:

Im Anschluss an die Auseinandersetzung mit der passenden Doktrin, den Überlegungen zum Gesamtbudget und der gewünschten Anzahl der Mitglieder soll grundsätzlich entschieden werden, ob nur Expertinnen / Experten aus für die Organisation strategisch relevanten Fachgebieten in das Programm aufgenommen werden, oder ob auch identifizierte Expertinnen / Experten aus anderen Bereichen zugangsberechtigt sind.

Darüber hinaus soll ebenfalls entschieden werden, ob Stellen oder Stelleninhaber auf die Eignung zu Expertenkarrieren geprüft werden. Der Fokus auf Stelleninhaber erlaubt die Identifikation von Expertinnen / Experten im Unternehmen, auch wenn diese Nicht-Expertenstellen innehaben. Dieser Fokus macht aber den Selektionsprozess auch persönlicher und daher sozial gesehen schwieriger. Der Fokus auf Stelle macht den Prozess sachlicher, könnte aber eventuell vorhandene Einstellungsfehler verschlimmern: Geeignete Personen auf Nicht-Expertenstellen können übersehen werden, während ungeeignete Angestellte auf Expertenstellen gefördert werden können.

4. Die Führungsqualität der direkten Führungskraft:

Im Rahmen der Bemühungen, die Arbeitszufriedenheit der Experten des Karriereprogramms proaktiv zu managen, sollte neben allen anderen Maßnahmen auch die Führungsqualität der direkten Führungskraft berücksichtigt werden. Die Führungsqualität im Unternehmen ist auf allen Hierarchieebenen wichtig, da sie empirisch mit Bindung und Leistungsbereitschaft verbunden ist, aber gerade bei Expertinnen / Experten hat das Thema zusätzliche Facetten: Im Rahmen des Programms wird in die Expertinnen / Experten investiert und die Führungsqualität ist ein wichtiger Aspekt in der Amortisierung dieser Investition.

Ferner handelt es sich um eine Arbeitsbeziehung zwischen dem Leiter / der Leiterin einer Organisationseinheit und, wie oft bei Experten, dem Leiter / der Leiterin einer Disziplin. Hier ist der hierarchieorientierte Führungsstil seitens der direkten Führungskraft sehr oft falsch. Gewünscht sind vielmehr geeignete Führungsstile mit der Fähigkeit, die Zielerreichung der Organisationseinheit mit dem Ausleben der Expertise zu harmonisieren. Der optimalen Führungskraft von Expertinnen / Experten gelingt es, die politischen Belange ihrer Vorgesetzten mit der Technokratie ihrer Expertinnen / Experten harmonisch und gewinnbringend in Einklang zu bringen.

5. Vergütung und Einsatz:

Regelungen zur Vergütungs- und Einsatzpolitik von Expertinnen / Experten können, je nach finanziellen und strukturellen Möglichkeiten des Unternehmens, wirkungsvolle Elemente im Gesamtkonzept des Karriereprogramms sein, denn diese haben mehrdimensional positive Auswirkungen auf die hierin diskutierten Schwierigkeiten von Expertenkarrieren. Als Lösung für die Problematik der aufwärts Karriereschritte von Expertinnen / Experten, als Verstärkung der Arbeitszufriedenheit und Bindung durch Lernen und Ausweitung der Expertise und als Beschleunigung der Amortisierung des Programms können Expertinnen / Experten im Unternehmen in strategische, C-Suite gesponsorte Projekte und Initiativen eingesetzt werden.

In Zusammenarbeit mit anderen Expertinnen / Experten in interdisziplinarischen Koryphäen-Teams können sie Projektteams, Lenkungskreise und Vorstände beraten, Ideen für neue Initiativen und Richtungen entwickeln und dabei einen großen Mehrwert für die Organisation durch die Lösung strategischer Fragestellungen erbringen. Die tiefgehende Expertise von spezifischen Expertinnen / Experten ist vielleicht nicht übertragbar auf andere Fachgebiete, aber die Denkweise schon, wenn es sich um Metaprobleme handelt.

Zugehörigkeit zu Koryphäen-Teams

Zudem kann die Zugehörigkeit zu Koryphäen-Teams verschiedener Ränge mit Verantwortung für Fragestellungen mit zunehmender Komplexität die aufwärts Karriereschritte der Führungslaufbahn imitieren.

Eine Vergütungssystematik mit Orientierung an der Wertigkeit der Expertenstelle in der Linie, die aber gleichzeitig dauerhafte Gehaltssprünge und Sondergehaltsbänder als Funktion der Einsatzhäufigkeit und des Rangs des Koryphäen-Teams vorsieht, hat ebenfalls positive Auswirkungen: Sie erhöht die Bindungschancen durch steigende Arbeitszufriedenheit und höhere Abwehr gegenüber externen Angeboten und sie löst das Vergütungsproblem, verursacht durch die Grading-Systematik. Aufgrund des zu erwartenden Mehrwerts im Koryphäen-Team müssen die zusätzlichen Gehaltskosten dementsprechend die Amortisierung des Karriereprogramms auch nicht unbedingt verlangsamen.

Das Koryphäen-Team ist nur ein repräsentatives Beispiel für die Regelung der Vergütung und des Einsatzes. Je nach unternehmerischer Lage, kann jedes andere Konzept, bei dem die Arbeitszufriedenheit von Expertinnen / Experten durch Ausleben, Vertiefung und Ausweitung der Expertise über die Linientätigkeit hinauswächst und der erbrachte Mehrwert für das Unternehmen den Anstiegt der Gehaltskosten rechtfertigt, eine sinnvolle Verwendung von Expertinnen / Experten in der Organisation darstellen.

Die Einführung von Expertenkarrieren kann die Rendite auf Expertise im Unternehmen signifikant erhöhen. Das ist eine besondere Investition, die die Bindung von Angestellten und die Verstärkung von kritischen Erfolgsfaktoren gleichzeitig adressiert. Die Auseinandersetzung mit dem Thema zeigt aber auch, dass diverse personalpolitische Schwierigkeiten und mögliche Kollateralschäden diese Rendite stark reduzieren können. Die Gestaltung des Karriereprogramms sollte daher unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse und deren Bedeutung für das jeweilige Unternehmen erfolgen. Mit einem wohlüberlegten Design und einer gelungenen Umsetzung kann dann ein schlagkräftiges Programm entstehen.

Der erste Teil des Beitrags erschien am 5. April 2023.

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Foto Assaf Greisman

Assaf Greisman verfügt über langjährige Erfahrung sowohl als Berater bei der Hay Group als auch als Spezialist und Führungskraft bei der Deutsche Bahn Cargo AG. Dort leitet er die Abteilung Reward Management and International Executive Regulations. Seine Handlungsschwerpunkte sind personalpolitische und -strategische Fragestellungen der Funktionsbewertung, des Vergütungsmanagements, der internationalen HR-Governance und der HR-Strategie. Er hat einen Bachelor of Science (B.Sc.) in Wirtschaftswissenschaften von der Goethe Universität in Frankfurt und einen Master of Business Consulting (M.BC.) von der Hochschule Wismar. Foto: ©PicturePeople

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