Auch die Arbeitgeber sind in der Pflicht, das Thema Elternzeit positiv zu unterstützen, sagt Anja Pertzsch, HR-Generalist bei Alight. Durch flexible Arbeitsoptionen für Eltern beispielsweise.
Die bezahlte Freistellung rund um die Geburt eines Kindes war bisher allzu oft überwiegend Aufgabe der Mutter, während der Vater höchstens seinen Jahresurlaub um wenige Wochen oder Monate durch Elternzeit aufstockte. Werdende Väter werden beglückwünscht und arbeiten weiter an ihrer Karriere. Schließlich sind Männer immer noch viel zu oft der Hauptverdiener. Doch ist dies noch zeitgemäß? Nein. Denn laut einer ZDF-Studie finden zwei Drittel der Männer und Frauen, dass eine längere Elternzeit von Vätern wichtig ist. Oftmals ist es eine rein wirtschaftliche Entscheidung, doch der Wunsch nach einer gleichberechtigt geteilten Elternzeit wächst immer mehr.
Aufteilung der Familienarbeit noch lange nicht ausgeglichen
Vieles hat sich seit Einführung der Elternzeit im Januar 2007 zum Positiven verändert. Doch ist die Aufteilung der Familienarbeit zwischen den Elternteilen noch lange nicht ausgeglichen. In vielen Fällen nehmen Männer Elternzeit nicht in dem Maße, in dem sie Anspruch hätten. Das schadet nicht nur den Männern, sondern auch den Frauen, der Familie und der gesamten Gesellschaft. Das tradierte Risiko, stereotype Einstellungen und Stigmatisierung am Arbeitsplatz fortzuführen, wird verstärkt. Den frischgebackenen Vätern geht die Möglichkeit eine Bindung zu ihrem neugeborenen Kind aufzubauen unwiederbringlich verloren. Laut Statista war im Jahr 2020 für Frauen ein Elterngeldbezug von durchschnittlich 14,5 Monaten zu verzeichnen, während Männer dagegen nur durchschnittlich 3,7 Monate Elternzeit nahmen.
Die aktuelle Politik, die Mentalität von Arbeitgebern und der Belegschaften müssen sich ändern, um mehr Männer zu ermutigen, die ihnen zustehenden Erziehungszeiten in Anspruch zu nehmen. Es sollte zur Norm werden und nicht als „Ausnahme“ gelten. Wichtige Faktoren bei der Entscheidung sind Karriereentwicklung, Gender Pay Gap, Flexibilität der Arbeitszeitmodelle sowie die Rückkehr in den Beruf nach der Elternzeit – und das alles natürlich unabhängig von Geschlecht, weiterer Kinderplanung und der vorigen Position.
Aktuelle Gesetze und Trends
Die Regelungen zur Elternzeit variieren weltweit, so dass Eltern unterschiedlich viele Tage Elternzeit gesetzlich beanspruchen können. In Europa beträgt dabei die durchschnittlich realisierte Dauer der Elternzeit für Väter 12,5 Tage. In Deutschland bestehen für beide Elternteile gleiche und vielfältige Möglichkeiten Elternzeit zu nehmen. Teile der Elternzeit können auf den Zeitraum zwischen dem 3. und dem 8. Geburtstag des Kindes übertragen werden. Die Elternzeit kann zwischen den Elternteilen aufgesplittet oder nur von einem Elternteil in Anspruch genommen werden.
Die Gründe dafür, dass Männer die ihnen zustehende Elternzeit nicht in Anspruch nehmen wollen, sind oft in den wirtschaftlichen Einbußen zu suchen. Ein geringeres Gehalt zu erhalten, wenn man gerade ein Kind bekommen hat, ist für viele keine Option. So liegt laut dem Deutschen Institut für Wirtschaft der Anteil der Väter der aus Geldgründen weniger als zwei Monate Elternzeit nehmen auf zwei Drittel, aber die Probleme gehen tiefer. Eine vom CIPD durchgeführte Studie ergab zudem, dass drei Viertel (73 Prozent) der Männer sich stigmatisiert fühlen, wenn sie für die Sorge für ihre Kinder eine längere Auszeit nehmen oder auf Teilzeit wechseln, denn sie befürchten oftmals berufliche Nachteile für ihren weiteren Karriereweg.
Kulturelle Stigmata sind ein Hindernis
Untersuchungen der Europäischen Kommission haben ergeben, dass soziale Normen und Arbeitsplatzkulturen eine wichtige Rolle bei der Inanspruchnahme von Urlaub durch Väter spielen. Selbst wenn der Zugang zu den Leistungen klar ist, wirken sich die gesellschaftlichen Erwartungen darauf aus, dass Männer gegebene Ansprüche nicht realisieren.
Sie haben Angst, sich zu blamieren oder nicht als „karriereorientierter“ Mitarbeiter wahrgenommen zu werden. Sie könnten bei längerer Elternzeit ihren erarbeiteten Anspruch auf eine höhere Stellung im Unternehmen verlieren und in eine Abseitsposition ohne Aussicht auf weitere Entwicklung gelangen, sodass sie als meist noch immer Hauptverdiener in puncto Elternzeit den Verzicht billigend in Kauf nehmen.
Weil soziale Erwartungen und Normen stark mit finanziellen Aspekten zusammenhängen, ist die Politik gefragt, mit der finanziellen Unterstützung, die sie für die Erziehung von Kindern gewährt, die richtigen Anreize zu setzen. Schweden ist das Aushängeschild für die Erziehungszeit von Vätern. Das Land zeigt, wie die richtigen Impulse gegeben werden. Es hat eines der großzügigsten Elternzeitsysteme der Welt. Neue Eltern haben Anspruch auf 480 Tage bezahlte Freistellung, wobei jedem Elternteil die Hälfte dieser Tage zusteht.
Der Kampf gegen die Stigmatisierung und die Infragestellung kultureller Normen wird in dem Land erfolgreich geführt. Im Jahr 2014 nahmen schwedische Männer ein Viertel des gesamten Elterngeldes, das einem Paar zur Verfügung steht, in Anspruch – mehr als ihren Mindestanteil. Vor Einführung der aktuellen Regelungen lag dieser Anteil bei nur 0,5 Prozent. Um die Inanspruchnahme bei den Männern zu erhöhen, hat die schwedische Regierung ihnen eine zusätzliche Anzahl an Elterntagen zugestanden, die sich 2017 auf 90 Tage erhöht hat.
Elternzeitregelung in Deutschland
Auch in Deutschland gibt es bereits sehr positive Ansätze. Seit 2018 hat jedes Elternteil Anspruch auf Elternzeit zur Betreuung und Erziehung des Kindes, bis dieses sein drittes Lebensjahr vollendet hat. Beide Elternteile können die Elternzeit in Deutschland bis zu drei Jahre in Anspruch nehmen. Eltern dürfen diese Zeit in bis zu drei Abschnitten aufteilen. Zwei Jahre dürfen sogar noch zwischen dem dritten und achten Lebensjahr des Kindes genommen werden. Bei einem dritten Abschnitt ist dem Arbeitgeber jedoch vorbehalten, diesen aus dringenden betrieblichen Gründen abzulehnen, wenn das Kind bereits älter als drei Jahre ist.
Diese neue Regelung hat bereits dafür gesorgt, dass der Anteil an Männern in Elternzeit in Deutschland in den letzten Jahren zugenommen. So war im Jahr 2020 jeder vierte Elterngeldbeziehende männlich (25 Prozent). Im Jahr 2015 waren es erst 21 Prozent. Zudem bestätigen 69 Prozent der Väter mit Kindern unter sechs Jahren im Väterreport 2021 des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jungend, dass sie sich mehr als ihre eigenen Väter an der Erziehung und Betreuung ihrer Kinder beteiligen als ihre eigenen Väter.
Aber dennoch liegen die finanziellen Anreize in Deutschland noch zu stark darauf, dass primär ein Elternteil – also meist die Mutter – die Erziehungsarbeit leistet. Wenn Väter Elternzeit nehmen, dann meist nur als „Einarbeitung“, um im Notfall als Back-up einzuspringen, wenn die Frau wider der allgemeinen Erwartung bei der Erziehungsarbeit nicht „ihren Mann stehen“ kann.
Grundlegender Bedarf nach Änderung
Doch auch die Arbeitgeber sind in der Pflicht, das Thema Elternzeit positiv zu unterstützen. Dies gilt sowohl für Frauen als auch Männer, denn am Ende sind beide Eltern. Unternehmen können damit beginnen, flexible Arbeitsoptionen für Eltern anzubieten und eine offenere Kultur zu schaffen, wenn es um Elternzeit geht. Dabei geht es einerseits um die gleiche Bezahlung von Mann und Frau in der gleichen Position und mit gleicher Qualifikation, um den höher Verdienenden nicht in die Versorgerrolle zu drängen.
Das Argument, ein junger Vater brauche eine Gehaltserhöhung, weil er jetzt Frau und Kind versorgen müsse, ist leider noch allzu weit verbreitet. Familienfreundliche Arbeitsmodelle allein lösen das Problem nicht, solange sie nicht auch von der gesamten Organisation kulturell gelebt werden. Autonomie und Flexibilität bei der Arbeitszeitgestaltung ermöglichen es erziehenden Mitarbeitern, Beruf und Erziehung besser miteinander zu vereinbaren. So gewinnen am Ende alle Beteiligten.
Im Ergebnis steht: Die Politik in Deutschland ist gefragt, die guten Ansätze konsequent fortzuführen und über finanzielle Anreize den begonnenen Wandel weiter zu fördern. Unternehmen spielen dabei eine ebenso große Rolle, da sie durch die Gestaltung ihrer Firmenkultur und entsprechende Strukturen sicherstellen können, dass bestehende Möglichkeiten nicht aus Sorge um die berufliche Zukunft ausgeschlagen werden.
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Anja Pertzsch ist HR-Generalist bei Alight und verantwortet neben der Beratung und Betreuung von Mitarbeitern und Führungskräften in Personalthemen auch die Umsetzung und Weiterentwicklung der HR-Strategie, -Prozesse, -Initiativen und -Ziele für den deutschsprachigen Raum. Sie verfügt über mehr 15 Jahre Erfahrung im Bereich Human Resources.