Eignungsdiagnostik: Alexander Schwabe erklärt, welche Rolle Intelligenz im Hinblick auf die zu erwartende Arbeitsleistung spielen kann.
Häufig geistert im HR-Bereich noch immer folgendes Phantom umher: „Intelligenz ist der beste Prädiktor für zukünftige Arbeitsleistung“ Das ist auf den ersten Blick absolut verständlich, da nach diesem Ansatz einfach nachvollzogen werden kann – wer schlauer ist, wird besser arbeiten. In diesem Beitrag möchte ich mich kritisch dieser Aussage gegenüber äußern und in verschiedenen Punkten erklären, wieso diese nicht einfach undifferenziert und allgemeingültig übernommen werden kann. Dabei bezieht sich dieser kurze Beitrag auf Intelligenz in Bezug auf den klassischen IQ. Eine umfassende Betrachtung würde hier allerdings den Rahmen sprengen.
1) Herkunft
Die Studienlage zu diesem Thema scheint auf den ersten Blick recht eindeutig. Es finden sich viele wissenschaftliche Studien, die bestätigen, dass die Intelligenz die beste Erklärungsleistung auf langfristige Performance im Job hat. Wie zum Beispiel die häufig zitierte Metaanalyse von Hunter und Schmidt aus dem Jahr 1998. Selbst neuere Studien stellen sich bei genauem Hinschauen nur als weitere Studien oder Updates der älteren Studie heraus wie beispielsweise bei einer Analyse aus dem Jahr 2016 von Shaffer und Schmidt.
Dies ist ein Grund dafür, dass sich die Aussage so hartnäckig über einen langen Zeitraum hält. Die Frage ist jedoch, ob die Arbeitsleistung, die vor über 20 Jahren erbracht wurde, auch auf die heutigen Problemstellungen und Arbeitsprozesse anwendbar ist.
2) Das Problem mit der Definition
Schauen wir uns genauer an, wie Intelligenz definiert wird. In der Literatur finden sich hier zahlreiche Versuche Intelligenz zu definieren. Eine besonders gängige Definition beschreibt Intelligenz, als allgemeine Fähigkeit zu planen, Probleme zu lösen, abstrakt zu denken, komplexe Ideen verarbeiten zu können und schnell aus Erfahrungen zu lernen. Intelligent sein, bedeutet demnach nicht, konkretes Wissen aus einem Buch oder eine bestimmte akademische Kompetenz zu besitzen, sondern die eher abstraktere Fähigkeit, Zusammenhänge zu erkennen. Wichtig ist für uns zu verstehen, dass Intelligenz kein einfaches eindimensionales Merkmal darstellt, sondern eine äußerst komplexe und vielschichtige Fähigkeit ist. Das ist die Grundlage, die wir verstehen müssen, um überhaupt im nächsten Schritt daran zu denken, Intelligenz mit in die Eignungsdiagnostik einzubeziehen.
3) Die Umsetzung in der Praxis / Messung
In der praktischen Umsetzung von Intelligenztests gibt es eine Menge zu beachten. Wie wir schon gesehen haben, ist das vorausgesetzte Konzept von Intelligenz entscheidend, wenn wir Intelligenz messen möchten. Dabei muss klar sein, wenn man den Ansatz stringent verfolgen möchte, die Intelligenz der Bewerber in den Auswahlprozess mit einzubeziehen, dies einiges an Aufwand in der Messung und in der Auswertung bedeutet. Es stellt sich die Frage, welcher genaue Bereich ist denn für einen Arbeitgeber wichtig? Für eine annähernde Einschätzung der Intelligenz sollte ein umfangreicher Test mit einer Dauer von 1-2h eingeplant werden.
Aber woher kommen denn nun diese 15 Minütigen Kurztests, die häufig praktisch angewandt werden? Diese werden häufig in Kliniken eingesetzt, um in kurzer Zeit eine ungefähre Einschätzung von Patienten, die beispielsweise an Alzheimer erkrankt sind, vorzunehmen. Als Beispiel gibt es dort den sogenannten Mehrfach-Wortschatz-Intelligenztest. Allerdings erheben diese Tests in der alleinigen Anwendung keinen Anspruch auf umfangreiche Einschätzung der Intelligenz.
Wenn versucht wird, ein komplexes Merkmal wie die Intelligenz mit minimalem Aufwand in einem Kurztest zu erfassen, ist die Erklärungsleistung besonders fraglich.
4) Die Candidate Experience
Den letzten Punkt, den man beim Einsatz von Intelligenztests beachten sollte, ist die Candidate Experience. Ein/e RecruiterIn, der auf der Suche nach Fachkräften ist, die aktuell auf dem Arbeitsmarkt stark nachgefragt werden, stellt sich die Frage, welche Prozesse im Personalauswahlprozess eingesetzt werden können.
Von der ersten Betrachtungsweise wäre es einfach zu sagen, es werden nur Personen mit einem bestimmten IQ im eigenen Unternehmen beschäftigt. Dann steht ein Intelligenztest direkt am Anfang des Prozesses und es besteht eine einfache nahezu komplett automatische Filterfunktion. Selbst wenn die Sinnhaftigkeit dieser Methode ausgeklammert wird, bleibt der Effekt, den diese auf die Bewerber hat, bestehen. Eine Person, die sich bei solch einem Unternehmen bewirbt, fühlt sich direkt zu Beginn auf die pure kognitive Leistungsfähigkeit reduziert, ohne die eigene individuelle Persönlichkeit zeigen zu können.
Besonders wenn Kandidaten auf Grund des Tests abgesagt wird, bleibt die Frage, wie dies dem Kandidaten gegenüber kommuniziert wird. Eine standardisierte Absage ohne Transparenz wird in fast jedem Fall zu einer schlechten Erfahrung des Recruiting-Prozesses führen und dementsprechend auch negative Bewertungen nach sich ziehen.
Was folgt daraus?
Intelligenz hat definitiv einen Einfluss auf die zukünftige zu erwartende Arbeitsleistung. Diese kann je nach spezifischem Aufgabenbereich und Umfeld einen größeren oder kleineren Einfluss auf die Performance haben. Sich dem Mythos hinzugeben, jemand mit höherem IQ wird in jedem Fall eine bessere Job Performance abliefern, als jemand mit einem geringeren IQ, ist jedoch äußerst fraglich. Ob in der aktuellen Arbeitswelt Intelligenztests zur Personalauswahl eingesetzt werden sollten, muss jedes Unternehmen selbst bewerten. Jedoch lohnt es sich bei dieser Bewertung auch die Alternativen, wie beispielsweise Arbeitsproben, Fallstudien, Probearbeitstage etc., in Betracht zu ziehen.
Hunter, J. E. / Schmidt, F. L. (1998): The Validity and Utility of Selection Methods in Personnel Psychology: Practical and Theoretical Implications of 85 Years of Research Findings. In: Psychological Bulletin, Heft 124, S.262–274. Washington DC: American Psychological Association.
Gottfredson, L. (1994): Mainstream Science on Intelligence: An Editorial with 52 Signatories, History, and Bibliography. In: Wall Street Journal, S.13-22. New York: Dow Jones & Company.
Shaffer, J. A. / Schmidt, F. L. (2016): The Validity and Utility of Selection Methods in Personnel Psychology: Practical and Theoretical Implications of 100 Years. Iowa: University of Iowa.
Alexander Schwabe hatte zunächst Soziologie an Universität Osnabrück studiert (Bachelor of Arts). Als er für sich herausgefunden hatte, dass er gerne ins Personalwesen gehen wollte, begann er im Oktober 2017 ein Masterstudium in General Management bei der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK). Seit Juli 2018 baut er zudem bei dem Leipziger Energiehandelshaus Optimax Energy die HR-Abteilung auf. Zusätzlich arbeitet er als Kommunikationstrainer und unterstützt Start-Ups beim Aufbau der grundlegenden HR-Strukturen. Seine persönliche Leidenschaft in HR liegt in der Eignungsdiagnostik im IT-Bereich. Foto: Tim Hard