Menschen mit Behinderungen bringen spezielle Potenziale mit. Diversität & Inklusion erfolgreich etablieren: Janet Haupka, Geschäftsführerin von DONE!Berlin, erläutert, wie Firmen den Paradigmenwechsel im Recruiting und in der Unternehmenskultur hinbekommen.
Immer mehr Unternehmen schränken ihre Geschäfte aufgrund von Personalmangel ein. Laut ifo-Institut kämpfen 87 Prozent der Unternehmen in Deutschland mit einem Fachkräftemangel. Viele offene Stellen könnten besetzt werden, wenn Unternehmen Diversity und Inclusion zur Chefsache machen.
Diversität wird in Unternehmen oft einseitig angegangen. Dabei geht es nicht nur um die Gleichberechtigung von Frauen, sondern auch um Unterschiede in der Kultur, in der Herkunft, im Alter, in der Berufserfahrung, in der Ausbildung, in der sexualen Orientierung, in den geistigen und körperlichen Fähigkeiten.
Stichwort Inklusion: Gerade Menschen mit einer Behinderung werden dabei vernachlässigt. Jedoch sind sie die größte Minderheit auf dieser Welt: In Deutschland leben ungefähr 7,8 Millionen, weltweit mehr als 1 Milliarde. Das sind 15 Prozent der Gesamtbevölkerung – und ein völlig ungenutzter Talentpool.
Soft-Skills, Potenziale und Flexibilität in den Fokus rücken
Personalvermittlerinnen / Personalvermittler wollen offene Stellen mit den bestmöglichen Kandidatinnen / Kandidaten besetzen. Doch gerade in bestimmten Berufsfeldern wie Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technologie (MINT) fehlen qualifizierte Fachkräfte. Da jede unbesetzte Stelle Unternehmen viel Geld kostet, sollten sie in Bezug auf passende Universitätsabschlüsse, Berufsausbildungen und -erfahrungen umdenken und bei Stellenausschreibungen auch Wert auf relevante Soft-Skills legen.
Dazu gehören beispielsweise ein offenes Mindset, Flexibilität, Kreativität, Anpassungs- und Teamfähigkeit, funktionsübergreifende, empathische, interkulturelle und kommunikative Fähigkeiten. Auch bei Bewerbungsgesprächen sollten sie vielmehr auf Potenziale der Kandidatinnen / Kandidaten setzen als auf die Berufsexpertise.
Solche Ansätze geben Quereinsteigenden oder auch älteren Fachkräften eine Chance. Das heißt nicht, dass sie Bewerberinnen / Bewerber zweiter Wahl sind. Im Gegenteil: Gerade sie werden das Team divers bereichern, zur Weiterentwicklung und Zukunftsfähigkeit des Unternehmens beitragen. Ein solcher Perspektivwechsel kann sogar dafür sorgen, dass mehr Frauen in MINT-Teams kommen.
Die nötige Fachexpertise kann auch im Nachgang durch Mentoring, Job Shadowing oder Schulungen aufgebaut werden. Die Frauenquote verbessert sich auch, wenn sich Kandidatinnen / Kandidaten eine Position teilen dürfen. Auch solche Konzepte sollten gleich in Stellenausschreibungen verankert werden. Lassen Unternehmen ausschließliches Homeoffice zu, können HR-Managerinnen / -Manager auch im Ausland suchen und so die kulturelle Vielfalt erhöhen.
Inklusion bereichert: Menschen mit Behinderungen stärken jedes Team
Viele Tech-Unternehmen haben es bereits erkannt und für sie spezielle Einstellungsprogramme entwickelt: Mitarbeitende – beispielsweise mit neurodiversen Störungen wie Legasthenie, Autismus, ADHS und Tourette-Syndrom – bringen unterschätzte Potenziale mit, wie Mustererkennung, Gedächtnisleistung oder Mathematik. Deshalb können gerade sie wichtige Impulsgeber sein, um für mehr Kreativität und kollektive Intelligenz im Team zu sorgen. Insgesamt haben Studien festgestellt, dass Mitarbeitende mit Behinderungen engagiert und loyal sind und für ein besseres Miteinander im Unternehmen sorgen.
Um Menschen mit Behinderungen einzustellen, muss ein Unternehmen barrierefrei sein. Das beginnt mit der inklusiven Stellenausschreibung: Hier sollten Punkte wie ein barrierefreies Büro und spezielle Leistungen, wie zum Beispiel Programme für körperliche und geistige Gesundheit, Mentoring und flexible Arbeitszeiten, im Vordergrund stehen. Auch sollten Anzeigen auf Jobportalen wie MyAbility, Integrationsverbund.de oder EnableMe.de zu sehen sein. Dabei gilt zu berücksichtigen, dass jede Behinderung andere Anforderungen und Bedürfnisse mit sich bringt.
Hinzu kommt, dass Bewerbungsprozesse insgesamt anders gestaltet werden: Bei Kandidatinnen / Kandidaten mit neurodiversen Störungen kann es beispielsweise nicht um soziale und kommunikative Kompetenzen gehen, sondern ausschließlich um ihr praktisches Fachwissen und ihre technischen Fähigkeiten. Sie profitieren von einer reizarmen Umgebung, einer klar, strukturierten Organisation und Kommunikation beim Bewerbungsgespräch. Beim Onboarding sollten Mentoren, Buddies oder Coachs helfen. Dabei ist es ratsam, Personalfachkräfte für diese neuen Prozesse speziell zu schulen. Gemeinnützige Organisationen, die Erfahrungen mit Menschen mit Behinderung haben, können hier eine große Unterstützung sein.
Unternehmenskultur entscheidet über den Erfolg
Damit sich diese neuen Kolleginnen / Kollegen mittel- und langfristig wohlfühlen, ist eine Firmenkultur, die auf Respekt, Toleranz, Wertschätzung, gegenseitige Unterstützung und Verständnis beruht, eine Grundvoraussetzung. Ein weiterer Erfolgsschlüssel sind die Führungskräfte. Sie sorgen für eine barrierefreie Karriereentwicklung, ein integratives und sicheres Arbeitsumfeld. Schulungen helfen hier sehr. Eine Möglichkeit ist das Unconscious Bias Training. Es überwindet sogar die unbewussten Vorurteile. So können diskriminierende Verhaltensweisen am Arbeitsplatz gezielt beseitigt werden.
Der Fachkräftemangel ist zur größten Herausforderung für Unternehmen geworden. Diversitäts- und Inklusionsprogramme sind keine Option mehr, sondern ein Muss geworden. Damit dieser Ansatz erfolgreich wird, sollte das C-Level-Management das D&I-Engagement aktiv unterstützen und auf eine breite Basis stellen. Solche Maßnahmen sorgen nicht nur für die Besetzung offener Stellen, sondern fördern auch die Kreativität und Innovationskraft im Unternehmen.
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Janet Haupka ist HR-Expertin und eine von zwei Geschäftsführerinnen bei DONE!Berlin - einer Personalberatung für Startups und Mittelständler. Sie baut in Unternehmen Teams und Prozesse auf und berät das Management. Foto: ©Cherie Birkner