Führungskräfte sollten die psychologischen Bedürfnisse der Beschäftigten ernst nehmen, rät Sanjay Brahmawar, CEO der Software AG. So steigern sie deren Zufriedenheit. In der Führung setzt das in Zukunft vier wesentliche Fähigkeiten voraus: Engagement, Entwicklung, Delegieren, Verbinden.
Personalfragen sind in Zeiten des Fachkräftemangels kein reines HR-Thema mehr, sondern von zentraler strategischer Bedeutung. Die Verfügbarkeit der besten Köpfe und Talente und ihre Bindung an das eigene Unternehmen entscheiden über die künftigen Erfolge. Doch noch nie waren so viele Beschäftigte auf der Suche nach einem neuen Job. 83 Prozent der Beschäftigten haben eine geringe oder gar keine emotionale Bindung an ihr Unternehmen, berichtet das Marktforschungsunternehmen Gallup.
Obendrein gibt inzwischen mehr als ein Drittel der Beschäftigten an, sich ausgebrannt zu fühlen. Die innere Kündigung vieler ist immer öfter die Folge – und der volkswirtschaftliche Schaden immens. Den Schätzungen von Gallup zufolge belief er sich allein im vergangenen Jahr auf 92,9 bis 115,1 Milliarden Euro.
Natürlich schauen Unternehmen dieser Entwicklung nicht tatenlos zu, sondern versuchen, Arbeitsbedingungen attraktiver und nachhaltiger zu gestalten. Die Nominallöhne stiegen in den vergangenen Quartalen so stark wie schon seit Jahren nicht mehr. Auch bei Arbeitszeiten und Sozialleistungen steuern die Unternehmen nach. Hybrides Arbeiten ist immer häufiger im Angebot an die Beschäftigten mit dabei. Dass allein das reicht, um die Beschäftigten zu halten, ist indes zweifelhaft.
Denn deren Unzufriedenheit mit ihrem Job und den aktuellen Tätigkeiten reicht doch oftmals sehr viel tiefer – und führt letztendlich zu den psychologischen Bedürfnissen der Menschen. In Studien – unter anderem von McKinsey – weisen Expertinnen / Experten seit Jahren darauf hin, dass Aspekte wie zwischenmenschliche Beziehungen bei der Arbeit oder die Möglichkeit, einer interessanten Tätigkeit nachgehen zu können, ein höheres Gewicht haben als das reine Gehalt – und das über alle Karrierelevel hinweg.
Was für Beschäftigte zählt
Das ist keineswegs überraschend. Bereits in den 80er-Jahren entwickelten die Psychologen Edward Deci und Richard Ryan ihre Selbstbestimmungstheorie. Deci und Ryan gehen davon aus, dass alle Arbeitnehmerinnen / Arbeitnehmer drei grundlegende psychologische Bedürfnisse haben: Kompetenz, Autonomie und Verbundenheit. Gelingt es Unternehmen, diese Bedürfnisse zu befriedigen, erhalten sie Beschäftigte, die bessere Leistungen erbringen und sich wohl fühlen.
Den psychologischen Bedürfnissen lässt sich offenkundig nicht allein mit dem Gehaltscheck begegnen. Der Remote-Zugang zur Unternehmens-IT für das hybride Arbeiten trägt ebenso wenig zu diesen drei Punkten bei wie Obstkörbe oder ähnliche Maßnahmen. Der Schlüssel findet sich stattdessen in vier grundsätzlichen Fähigkeiten, die ein modernes Management jetzt braucht, um die Menschen so zu führen, dass ihre psychologischen Bedürfnisse bei der Arbeit erfüllt werden. Diese lassen sich mit den Schlagworten Engagement, Entwicklung, Delegieren, Verbinden zusammenfassen.
Lernbereitschaft und ein Agieren auf Augenhöhe
Was hat es damit im Einzelnen auf sich? Engagement meint, ein echtes Interesse für die eigenen Beschäftigten zu entwickeln, das über die Betrachtung der Kennzahlen hinausgeht. Gerade die Corona-Pandemie hat vor Augen geführt, wieso das wichtig ist. Wenn Menschen von heute auf morgen ins Homeoffice umziehen, verändert sich die Lebenssituation bei vielen dadurch grundlegend. Welche Belastungen resultieren daraus, welche Einschränkungen erfahren die Beschäftigten dadurch? In einer Welt, in der die Grenzen zwischen Job und Privatleben physisch zunehmend verschwinden, sollte ein Management nicht agieren, als befände es sich in einer Fabrik am Ende des 19. Jahrhunderts.
Das wiederum geht Hand in Hand mit dem Stichwort Entwicklung und lebenslangen Lernen. Gemeint ist damit sowohl die Fähigkeit des Managements, sich selbst weiterentwickeln, als auch die Entwicklung der Beschäftigten angemessen und entsprechend der individuellen Bedürfnisse fördern zu können. Die Führungskraft sollte hier das Vorbild sein und die Bereitschaft, sich weiterzuentwickeln und immer wieder Neues zu lernen, in ihr Unternehmen hineintragen.
Wir erleben eine Welt in der Transformation. Es vollzieht sich ein grundlegender Wandel. In dieser Welt erwarten Unternehmen von ihren Beschäftigten fortwährend, dass sie neue Qualifikationen mitbringen, neue Skills erlernen und neue Fertigkeiten beisteuern sollen, um den Erfolg des Unternehmens dauerhaft zu sichern. Doch derselbe Anspruch sollte auch in Richtung des Managements gestellt werden. Dafür muss es bereit sein, zuzuhören, Austausch zu suchen und andere Ideen zuzulassen. Gute CEOs sind nicht die, die sich einbilden, schon alles zu wissen, sondern die jederzeit bereit sind, die richtigen Fragen zu stellen.
Aufgaben abgeben, um Kompetenzen zu stärken
Eine wichtige Rolle spielt in dem Zusammenhang die Fähigkeit des Delegierens. Erfahrungsgemäß fällt das gerade vielen CEOs schwer. Schließlich mag es zunächst auch in der Tat nach einem Widerspruch klingen. Tatsächlich ist es für das Wohlbefinden der Beschäftigten jedoch wichtig, dass die Führung Aufgaben abgeben kann – angefangen bei der Chefinnen- /Chefetage. Dabei geht es explizit nicht um eine Command-and-Control-Kultur. Das Gegenteil ist der Fall. Wo Führungskräfte Aufgaben nicht angemessen delegieren können, sinkt die Bereitschaft der Beschäftigten, sich selbst aktiv einzubringen. Delegieren Führungskräfte Aufgaben hingegen gezielt an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder eine Gruppe von Beschäftigten, fördern sie Kompetenzen, stärken sie Selbstvertrauen und das Gefühl aller Beteiligten, aktiv zum Fortkommen des Unternehmens beizutragen.
All das führt zur vierten Fähigkeit: Ein Management sollte in der Lage sein, Verbindungen aufzubauen – zwischen den Beschäftigten und innerhalb der Organisation. Gerade dem mittleren Management könnte dabei eine Schlüsselrolle zukommen. Wenn das Top-Management sie lässt. Tatsächlich gaben in einer Befragung von Microsoft, über die unter anderem die Financial Times berichtet, 54 Prozent der Befragten jedoch an, dass die Führungskräfte überhaupt keinen Kontakt zu den Beschäftigten haben.
Gerade in Zeiten des hybriden Arbeitens ist das fatal. Videokonferenzen können dazu führen, dass Menschen sich weniger integriert fühlen, die falsche Technik kann zusätzliche physische Barrieren bei der Interaktion der Beschäftigten schaffen. Toxisches Verhalten hat es so leichter. Die innere Kündigung mögen viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereits ausgesprochen haben – doch es liegt am Management, ob daraus ein zweites Onboarding wird. Kommunikation ist hier der entscheidende Faktor für Führungskräfte. Ganz nach dem Motto „You can´t overcommunicate“.
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Sanjay Brahmawar ist Vorstandsvorsitzender der Software AG. Vor seinem Start bei der Software AG leitete Brahmawar als General Manager bei IBM den Bereich Watson IoT und verantwortete weltweit das Geschäft mit Datenanalyse- und KI-Software. Davor war er als General Manager, Vice President und Executive Partner in unterschiedlichen Bereichen bei IBM aktiv. Vor seiner Tätigkeit bei IBM arbeitete er bei PwC, Fedex, DSM und Honda. In Indien geboren und aufgewachsen führte ihn sein Weg nach England, Finnland, Belgien, Holland und Deutschland, wo er sowohl lebte als auch arbeitete. Foto: ©Olivier Hess