Wie kann Corporate Purpose, der höhere Zweck eines Unternehmens, im Führungshandeln verankert werden? Professor Patrick Peters schildert die Aufgaben, die auf Führungskräfte zukommen.
Immer mehr Mitarbeitende suchen Erfüllung und Selbstverwirklichung über materielle Güter hinaus. Zugleich ist ihnen positive Kommunikation auf Augenhöhe wichtig.
Dass das Gehalt und Statussymbole wie Eckbüro, eigene Assistenz und opulenter Dienstwagen heute für viele Mitarbeitende keine übergeordnete Motivation mehr darstellen, sich einem Unternehmen anzuschließen und an dieses über die Jahre hinweg zu binden, ist mittlerweile nicht mehr als ein Allgemeinplatz. Vielmehr ist es die Suche nach immateriellen Gütern im Unternehmen, die sich am ehesten unter dem Begriff des Corporate Purpose zusammenfassen lassen.
Corporate Purpose ist der höhere Zweck eines Unternehmens, der über die Gewinnorientierung hinausgeht. Es gilt als die Daseinsberechtigung des Unternehmens, denn Geld verdienen reicht nicht mehr aus für eine breite Reputation und Legitimation für interne und externe Bezugsgruppen. Das Corporate Purpose ist somit eine spezielle Form der Motivation, die im Unternehmen tief verankert ist und dauerhafte Gültigkeit hat. Im Fokus stehen die ökonomische, ökologische und soziale Verantwortung eines Unternehmens (im Sinne des allgemeinen Nachhaltigkeitsansatzes) und damit der Beitrag, den das Unternehmen für die Gesellschaft erbringt (Corporate Social Responsibility).
Was müssen Führungskräfte tun, um Bedürfnisse wirklich zu erfüllen?
Dabei darf Corporate Purpose kein bloßes Schlagwort für Marketing, PR und Employer Branding bleiben, sondern muss wirklich implementiert und gelebt werden. Dass dies von der Unternehmensspitze und den Führungskräften ausgehen muss, ist ebenso unwidersprochen. Aber wie kann dieses moderne Managementkonzept im Führungshandeln verankert werden? Was müssen Führungskräfte tun, um diese immateriellen Bedürfnisse der Mitarbeitenden zu erfüllen? Wichtig ist, dass dieser Ansatz nicht aus dem Bauch, dem Gefühl heraus entwickelt wird, sondern auf validen Erkenntnissen beruht. Der Vorteil: In der internationalen Leadership-Literatur existieren Erklärungen dafür, woher diese Bedürfnisorientierung kommt und wie sie sich erklären lässt.
Menschen streben danach, ein sinnerfülltes Leben zu führen
Der britische Autor und Coach Richard Barrett ist unter anderem für seine Ansätze und Konzepte zu Leadership und Leadership Development bekannt geworden und unterscheidet in seinem Standardwerk „Werteorientierte Unternehmensführung. Cultural Transformation Tools für Performance und Profit“ (Wiesbaden: Springer Gabler, 2015) zwischen Grundbedürfnissen und Wachstumsbedürfnissen.
Die auch als Defizitbedürfnisse bekannten Grundbedürfnisse basieren auf Abraham Maslows Hierarchie der menschlichen Bedürfnisse (Maslowsche Bedürfnishierarchie) und umfassen die Ebenen „Überleben“, „Beziehungen“ und „Selbstachtung“. Erst wenn diese Grundbedürfnisse dauerhaft stabil erfüllt sind, treten Menschen auf die Ebene der Wachstumsbedürfnisse: „Transformation“, „Innerer Zusammenhalt“, „Einen Unterschied machen“ und „Dienen“. Durch die Wachstumsbedürfnisse im Sieben-Ebenen-Bewusstseins-Modell streben Menschen
„vor allem danach, ein sinnerfülltes Leben zu führen: Unsere Arbeit soll mit dem in Einklang stehen, was uns am Herzen liegt. Sobald wir unsere Berufung gefunden haben, wollen wir dadurch einen Unterschied machen. Wir suchen nach anderen, mit denen wir gemeinsam die Wirkung erhöhen können, die unser Handeln in der Welt hat. Und haben wir einmal die Freude erlebt, die es mit sich bringt, einen entscheidenden Beitrag geleistet zu haben, wollen wir ein Leben führen, das ganz dem selbstlosen Dienen gewidmet ist. Wir möchten ein Erbe hinterlassen, das einmal andere Menschen an uns erinnern wird.“ (Richard Barrett 2015, S. 22)
Wachstumsbedürfnisse und Purpose beruhen auf Kooperation und Kommunikation
Im Rahmen der Befriedigung der Wachstumsbedürfnisse spielen Geld und Statussymbole, wenn überhaupt, eine untergeordnete Rolle, wie Richard Barrett nachweist. Die Entwicklungsstufen „Transformation“, „Innerer Zusammenhalt“, „Einen Unterschied machen“ und „Dienen“ kommen nach dem Geldverdienen und der Erfüllung materieller Bedürfnisse. Sobald die wirtschaftliche Basis gesichert ist, suchen Menschen über die vier großen Entwicklungsstufen die Möglichkeit, sich selbst verwirklichen und einen echten Nutzen zu stiften. Diese Möglichkeit erwarten sie dementsprechend auch im Unternehmen – Corporate Purpose wird damit ein theoretisch begründbares Konzept und erfüllt die Vorstellungen von wertebasierten Mitarbeitenden.
Zugleich beruhen Wachstumsbedürfnisse und Corporate Purpose auf Gemeinschaft, Kooperation und Kollaboration und brauchen daher eine gelungene zwischenmenschliche Kommunikation. Das ist ein wichtiger Bestandteil der Führungskultur und des gemeinsamen Miteinanders, denn bekanntlich gilt: „People join companies and leave bosses“ – und das passt nicht mit der Erfüllung der Wachstumsbedürfnisse zusammen!
Gewaltfreie Kommunikation fördert Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Einfühlung
Die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) nach Marshall B. Rosenberg kann diesen Zweck erfüllen. Gewaltfreie Kommunikation soll bekanntlich dazu anregen, unabhängig vom Thema eines Gesprächs den eigenen wirklichen Bedürfnissen und denen des Gesprächspartners besser auf die Spur zu kommen, sorgfältig zu beobachten und störende Verhaltensweisen und Umstände genau zu bestimmen.
Gewaltfreie Kommunikation lehrt, in allen Situationen konkrete Bedürfnisse zu erkennen und präzise auszusprechen. Die GFK fördert laut Rosenberg Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Einfühlung und soll beiden Kommunikationspartnern den Wunsch erwecken, von Herzen zu geben. Das Konzept beruht also darauf, bewusster, respektvoller und aufmerksamer zuzuhören, damit sich die Menschen (auch im Sinne des Corporate Purpose) selbst, frei, kreativ und lebendig entwickeln zu können.
Das bedeutet: Führungskräfte und Mitarbeitende gleichermaßen müssen sich auf die Mechanismen der Gewaltfreie Kommunikation einlassen und über dieses Modell die echten Gefühle und Bedürfnisse gegenseitig kommunizieren und Bitten deutlich ausdrücken, um die gemeinsamen Ziele zu erreichen. Sie richten damit den Blick auf die kontinuierliche Erhöhung der Lebensqualität aller Beteiligten – und hilft dabei, die wesentlichen, mit dem Corporate Purpose verbundenen höheren Ziele und Bedürfnisse zu erreichen.
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Dr. Patrick Peters, MBA, ist Professor für PR, Kommunikation und digitale Medien an der Allensbach Hochschule in Konstanz, an der auch Wirtschaftsethik und Diversity Management lehrt. Er ist auch als freier Publizist und Berater tätig und befasst sich mit Ethik und Kommunikation.