Arbeitsrechtler Professor Peter Wedde: Die Anwendung der Corona-Schnelltests ist kein „Privatvergnügen“, sondern gehört zur Arbeitszeit.
Durch die jüngste Ergänzung der SARS-CoV-2 Arbeitsschutzverordnung (Corona-ArbSchV) sind Arbeitgeber seit dem 22. April 2021 verpflichtet, allen Mitarbeitenden, die nicht ausschließlich in ihren Wohnungen arbeiten, zwei kostenlose Schnelltests pro Woche anzubieten.
Die Frage, ob die Anwendung dieser Tests zur Arbeitszeit gehört, ist laut dem Arbeitsrechtler Professor Peter Wedde von der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) eindeutig zu beantworten: „Die Verpflichtung, kostenlose Tests zur Verfügung zu stellen, gehört zu den von Arbeitgebern durchzuführenden Maßnahmen des Arbeitsschutzes. Und damit gehören natürlich auch die Durchführung dieser Tests durch Beschäftigte und die anschließende Auswertung zur Arbeitszeit.“
Tests sind kein „Privatvergnügen“
Arbeitgeber können sich deshalb nicht auf die Position zurückziehen, dass die Anwendung der Corona-Schnelltests „Privatvergnügen“ ist und deshalb vor der Arbeit zu Hause oder in einer unbezahlten Arbeitspause zu erfolgen hat. Wedde: „Wenn Beschäftigte aus Gründen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes Sicherheitskleidung oder Schutzmittel anlegen müssen oder wenn Klinikpersonal vor Arbeitsbeginn Hände und Arme wäscht, desinfiziert und Handschuhe anzieht, gehört das ebenso zur Arbeitszeit wie ein COVID-19-Test, der verpflichtend zur Verfügung gestellt werden muss. Zumal der nur wenig Zeit in Anspruch nimmt. In den 15 Minuten bis zum Vorliegen des Testergebnisses kann ganz normal weitergearbeitet werden.“
Offen lässt die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung, wie Corona-Schnelltests in den Betrieben praktisch durchgeführt werden sollen. Wedde sieht hier große Spielräume. „In kleineren Betrieben wird die Ausgabe von Testsets die Regel sein, die dann in einem geschützten Raum oder zur Not auch im Waschraum angewendet werden können.“ Einzelne größere Betriebe und Unternehmen bieten die Tests in eigenen Testzentren an. Hierzu merkt Wedde an, „dass dort fachlich qualifizierte Personen die Tests durchführen müssen“. Gleiches gilt, wenn Arbeitgeber mit Testzentren „um die Ecke des Betriebs“ kooperieren.
Was geschieht, wenn der Test positiv ausfällt?
Kritisch wird es, wenn ein Schnelltest positiv ausfällt. Wedde weist darauf hin, dass Beschäftigte in einem solchen Fall nicht weiterarbeiten dürfen. Sie müssen sich stattdessen zur weiteren Abklärung direkt an eine Ärztin oder einen Arzt wenden. Dort wird im Regelfall ein weiterer Test durchgeführt. Auch ein betriebsärztlicher Dienst kann hier weiterhelfen, wenn Beschäftigte das wollen.
Eine arbeitsrechtliche Verpflichtung, den Arbeitgeber über ein positives Testergebnis zu informieren, sieht Wedde nicht. Er rät positiv getesteten Beschäftigten aber, Vorgesetzte oder direkte Kolleginnen und Kollegen ins Vertrauen zu ziehen, damit diese sich ebenfalls testen lassen können. „Bestätigt sich der positive Befund aus einem betrieblichen Schnelltest, wird das zuständige Gesundheitsamt im Regelfall auch Arbeitgeber informieren, falls die Gefahr weiterer Ansteckungen im Betrieb besteht“, so Wedde.
Ein positives Testergebnis verschweigen?
Manche Beschäftigte fürchten im Fall eines positiven Testergebnisses arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung und erwägen, besser nichts zu sagen. Das hält Wedde für keine gute Idee: „Wenn tatsächlich eine Infektion mit dem Coronavirus vorliegt und das zuständige Gesundheitsamt Beschäftigte deshalb unter Quarantäne stellt, werden Arbeitgebern die hierfür anfallenden Gehalts- oder Lohnkosten von den zuständigen staatlichen Stellen erstattet. Und bricht die Krankheit aus, handelt es sich um eine ganz normale Arbeitsunfähigkeit. Dann sind Arbeitgeber wie bei anderen Krankheiten auch für maximal sechs Wochen zur Entgeltfortzahlung verpflichtet. Ein Kündigungsgrund ist das nicht.“
Weddes Fazit: „Die in Betrieben und Dienststellen zur Verfügung gestellten Schnelltests tragen hoffentlich dazu bei, dass SARS-CoV-2-Infektionen häufiger und früher entdeckt werden. Wer als Arbeitgeber den Zeitverlust durch die Tests beklagt, sollte bedenken, dass jede so entdeckte Infektion davor schützt, dass andere Beschäftigte erkranken. Und das würde schnell sehr viel teurer als die paar Minuten Testzeit.“
Update 4. Mai:
Der Beitrag hat zu einer regen Diskussion auf LinkedIn geführt. Zu den Ausführungen von Pascal Verma und Volker Stück hat die Redaktion von Professor Peter Wedde eine ausführliche Antwort per Mail erhalten. Diese überschreitet die maximale Länge von Posts auf LinkedIn und wird deshalb hier veröffentlicht.
Zunächst einmal: Die Feststellungen der beiden Kollegen (Herr Verma und Herr Stück) sagen nichts dazu, dass die Durchführung von Selbsttests Teil der von Arbeitgebern durchzuführenden Maßnahme des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sind, obwohl schon der Name „SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordung“ auf diesen Kontext hinweist. Und genau auf diesem Kontext basieren meine Aussagen.
Zwischen der Feststellung von Herrn Stück und meinem Statement gibt es keinen grundsätzlichen Widerspruch. Seine Feststellung bestätigt meine Feststellung, dass Testen im Betrieb zur Arbeitszeit gehört, während die Durchführung zu Hause nicht zur Arbeitszeit gehört. Deshalb ist mein Statement ja auch „“Corona-Schnelltest im Betrieb zählen zur Arbeitszeit“ überschrieben.
Die Ausführungen von Herrn Verma sind aus juristischer Sicht ganz allgemein ebenfalls richtig. Auch dies ändert nichts an der spezifischen Situation im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, für den eine Primärverantwortlichkeit der Arbeitgeber besteht.
Das Arbeitsschutzrecht ganz allgemein (und hier insbesondere das Arbeitsschutzgesetz) geht davon aus, dass vom Arbeitgeber zu erbringende oder anzuregende Schutzmaßnahmen im Betrieb Teil der Arbeit und damit auch der Arbeitszeit sind. Das wird an so simplen Dingen deutlich wie dem zum Infektionsschutz durchweg empfohlenen regelmäßigen und intensiven Waschen der Hände im Betrieb oder deren Desinfektion nach dem Waschen. Ebenfalls eine Maßnahme des Arbeits- und Gesundheitsschutzes ist die Verwendung von Corona-Tests, die der Arbeitgeber zur Verfügung stellt – egal ob freiwillig oder auf Grund einer Arbeitsschutzverordnung. Durch diese Selbsttests sollen Infektionen entdeckt und dann Kolleginnen und Kollegen vor Ansteckungen geschützt werden. Auch die Verwendung dieser vom Arbeitgebern im Betrieb zur Verfügung gestellten Schutzmittel oder Schutzmaßnahmen ist folglich (genauso wie das Händewaschen) Arbeitszeit. Etwas anderes gilt, wenn Beschäftigte eigene Tests mitbringen oder wenn sie vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellte Tests zu Hause in der Freizeit anwenden.
Woher kommen die unterschiedlichen Auffassungen? Herr Verma weist ja darauf hin, dass es um eine Verhältnismäßigkeitsprüfung geht („sprechen nach meiner Meinung die überwiegenden Gründe dafür“). Es gibt in dieser Frage Interpretationsspielräume. Da mein Statement den Arbeits- und Gesundheitsschutz in den Vordergrund stellt, kann es aus meiner Sicht nur das von mir vertretene juristische Ergebnis geben. Allerdings gestehe ich zu, dass der Gesetzgeber es wieder einmal (wie schon zu vielen anderen „Corona-Themen“ vorher) versäumt hat, hier Rechtsklarheit zu schaffen.
Prof. Dr. Peter Wedde
Prof. Dr. Peter Wedde war bis zum Sommersemester 2021 Professor für Arbeitsrecht und Recht der Informationsgesellschaft an der Frankfurt UAS. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören das individuelle und kollektive Arbeitsrecht sowie Daten- und Beschäftigtendatenschutz. Er ist Herausgeber von juristischen Fachkommentaren zum gesamten Individualarbeitsrecht, zum Betriebsverfassungs- und zum Datenschutzrecht sowie Autor zahlreicher Buch- und Zeitschriftenbeiträge und Onlinepublikationen. Als Referent vertritt er seine Schwerpunktthemen regelmäßig auf Fachkonferenzen und in Praxisforen.