Unbewusste Vorurteile beeinflussen täglich unsere Entscheidungen – auch in der Führung. Bias bei Führungskräften sind keine Ausnahme, sondern der Normalfall. Welche Folgen das für Karrieren und die Motivation von Mitarbeitenden hat und wie Unternehmen gegensteuern können, erklärt Ayse Semiz-Ewald, Leiterin Culture and Inclusion der Deutschen Telekom. Sie stellt die sieben häufigsten Bias vor – und gibt konkrete Tipps zur Veränderung.
Welche Mitarbeitenden werden befördert und warum? Weshalb erhalten manche Talente stets die besten Chancen, während andere im Verborgenen bleiben? Wie beeinflussen unbewusste Vorurteile (Bias) Karrierechancen? Und warum ist die Bekämpfung von Bias bei Führungskräften für Unternehmen essenziell? Diese Fragen sollten sich Führungskräfte regelmäßig stellen. Doch tun sie es wirklich? Viele glauben, fair zu entscheiden und zu fördern. Die hohen Fluktuationsraten und die Wechselbereitschaft von Mitarbeitenden (Ernst & Young Jobstudie, 2023) deuten jedoch auf eine Diskrepanz zwischen Selbstwahrnehmung und Mitarbeiterempfinden hin.
Diese Kluft offenbart eine unbequeme Wahrheit: Unsere Entscheidungen werden oft von unbewussten Vorurteilen beeinflusst. Diese unsichtbaren Faktoren sind nicht nur Karrierekiller, sondern auch Innovationsbremsen. Eine kritische Selbstreflexion ist der erste Schritt zur Überwindung dieser Bias. Nur so können Unternehmen ihr volles Potenzial entfalten und eine wirklich inklusive Arbeitsumgebung schaffen.
Wie Bias unsere Wahrnehmung verzerren
Bias beeinflussen subtil, aber nachhaltig unser Denken und unsere Entscheidungen. Führungskräfte müssen diese bei sich und ihren Mitarbeitenden erkennen und hinterfragen. Hier die sind die Top 7 relevanten Bias bei Führungskräften:
1. Ähnlichkeits-Bias (Similarity Bias)

Menschen bevorzugen unbewusst Personen, die ihnen ähnlich sind, sei es in Bezug auf Herkunft, Ausbildung oder Interessen. Dies kann dazu führen, dass Teams homogenen Charakter annehmen, da Führungskräfte dazu neigen, Kandidaten auszuwählen, die ihren eigenen Werten und Erfahrungen entsprechen. Die Konsequenz: Potenzialträger mit unterschiedlichen Hintergründen bleiben oft unberücksichtigt, obwohl gerade Vielfalt nachweislich die Innovationsfähigkeit steigert.
2. Bestätigungs-Bias (Confirmation Bias)
Informationen, die bestehende Annahmen bestätigen, werden bevorzugt wahrgenommen und interpretiert. Beispielsweise kann ein Führungskräfte-Feedback, das mit der eigenen Meinung übereinstimmt, überbewertet werden, während konträre Standpunkte ignoriert werden. Das Risiko dabei ist, dass Unternehmen in einer Echokammer gefangen bleiben, was die Innovationskraft und Problemlösungskompetenz stark einschränkt.
3. Anker-Bias (Anchoring)
Die ersten Eindrücke beeinflussen die weitere Bewertung von Mitarbeitenden. Ein Beispiel: Der erste Eindruck eines Kandidaten in einem Bewerbungsgespräch – sei er positiv oder negativ – kann das gesamte Urteil über die Person verfälschen. Dies führt dazu, dass nachfolgende Informationen weniger Gewicht haben, selbst wenn sie objektiv wichtiger wären.
4. Halo-Effekt
Ein einzelnes positives Merkmal – wie zum Beispiel ein Universitätsabschluss an einer renommierten Universität – überstrahlt alle anderen Eigenschaften. Dadurch kann es passieren, dass Schwächen in anderen wichtigen Kompetenzen übersehen werden. Dies führt oft zu Fehlbesetzungen, da die gesamte Bewertung einer Person durch ein einziges hervorstechendes Merkmal verzerrt wird.
5. Horneffekt
Der Horneffekt ist das Gegenteil des Halo-Effekts. Ein einziges negatives Merkmal – wie mangelnde Erfahrung in einem bestimmten Bereich – überlagert alle anderen positiven Eigenschaften einer Person. Dies kann dazu führen, dass qualifizierte Kandidaten unterschätzt oder abgelehnt werden, obwohl sie in anderen wichtigen Bereichen überdurchschnittlich abschneiden. Unternehmen laufen dadurch Gefahr, wertvolle Talente zu verlieren, die aufgrund eines einzigen Fehlers oder einer Schwäche falsch beurteilt wurden.
6. Recency Bias
Beim Recency Bias werden die aktuellen Eindrücke und Leistungen der Mitarbeitenden überbewertet, während ältere Leistungen oder Ereignisse in den Hintergrund rücken und ausgeblendet werden. So kann es vorkommen, dass Mitarbeitende, die kurz vor einer Bewertung eine herausragende Leistung erbracht haben, bevorzugt behandelt werden, während kontinuierlich gute Arbeit anderer Mitarbeitenden weniger beachtet wird. Dies verzerrt nicht nur das Urteil, sondern führt auch zu Frustration und Demotivation im Team.
7. Geschlechter-Bias (Gender Bias)

Unbewusste Stereotypen und Zuschreibungen über „typisch weibliche“ oder „typisch männliche“ Eigenschaften, die dann bestimmten Fähigkeiten und Kompetenzen von Männern und Frauen zugeschrieben werden und die Führungskräfte beeinflussen, werden Gender Bias genannt. Frauen werden oftmals stärker mit sozial-kommunikativen oder unterstützenden Aufgaben assoziiert, während Männern eher Führungsstärke und Entscheidungsfreude zugeschrieben werden.
Diese Wahrnehmungen führen dazu, dass Frauen trotz gleicher Qualifikation seltener für Führungspositionen berücksichtigt werden. Die Gefahr liegt darin, dass Unternehmen nicht das volle Potenzial ihrer Belegschaft ausschöpfen und wertvolle Perspektiven übersehen.
Die Folgen von Bias bei Führungskräften
Bias kostet nicht nur Talente ihre Karrieren – sie kostet Unternehmen Millionen. Unfaire Entscheidungen – egal ob bewusst oder unbewusst – verhindern, dass die besten Ideen und Talente gefördert werden. Die Folge: Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit leiden. Laut einer Studie von McKinsey (2024) können Unternehmen mit mehr Frauen in Führungspositionen ihre Rentabilität um bis zu 39 Prozent steigern. Doch trotz Diversity-Bemühungen bleibt die Realität ernüchternd: Frauen stellen zwar 46 Prozent der Belegschaft, aber nur 28 Prozent der Führungskräfte (Statistisches Bundesamt, 2023).
Wie Unternehmen den Teufelskreis durchbrechen können

Der erste Schritt im Kampf gegen Bias bei Führungskräften ist das Bewusstsein. Nur wer sich der eigenen Vorurteile bewusst ist, kann diese überwinden. Wer anerkennt, dass Bias keine Ausnahme sind, sondern Alltag, kann handeln. Folgende Möglichkeiten gibt es für Unternehmen, um unbewussten Denkmustern ihrer Führungskräfte entgegenzuwirken:
- Regelmäßige Schulungen zur Sensibilisierung von Führungskräften anbieten und ihnen helfen, unbewusste Denkmuster zu erkennen und zu hinterfragen (bei sich und auch bei anderen).
- Alle Personalentscheidungen sollten auf klaren, messbaren Kriterien basieren, nicht auf subjektiven Einschätzungen. Daher sollten Unternehmen mit Hilfe von Mitarbeitendenbefragungen regelmäßig Daten erheben und diese auswerten, um sich ein vollständiges Bild zu machen.
- Bewerbungs- und Bewertungsprozesse standardisieren und so unbewusste und individuelle Vorurteile minimieren.
- Regelmäßige Reviews und Feedback-Runden sorgen dafür, dass Entscheidungsprozesse hinterfragt und verbessert werden können.
- KI-gestützte Tools können dabei helfen, Bias bei Führungskräften in Bewerbungsprozessen zu reduzieren, indem sie Lebensläufe anonym auswerten oder auf Basis definierter Kriterien Empfehlungen geben. Zudem können KI-unterstütze Tools Muster in Personalentscheidungen analysieren und Unternehmen auf mögliche Bias hinweisen.
Vom Problem zur Chance: Ein neues Mindset etablieren
Unbewusste Vorurteile mögen allgegenwärtig sein, doch sie bergen auch enormes Potenzial für positive Veränderungen. Eine kritische Auseinandersetzung mit den eigenen Denkmustern eröffnet Wege zu faireren Entscheidungen und fördert Innovation sowie Vielfalt in Unternehmen. Der Schlüssel liegt in der Selbstreflexion: Warum denke ich so? Woher stammt meine Überzeugung? Würde meine Einschätzung anders ausfallen, wenn die Person andere Merkmale hätte?
Durch ein offenes Mindset und eine Kultur des kontinuierlichen Lernens können Organisationen Bias bei Führungskräften nicht nur entgegenwirken, sondern langfristig überwinden. So wandelt sich der unsichtbare Karrierekiller zum Katalysator für echten Fortschritt. Nur wenn wir Vorurteile aktiv hinterfragen und abbauen, können wir von einer wahren Bestenwahl sprechen und das volle Potenzial aller Talente ausschöpfen.
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Ayse Semiz-Ewald leitet das Diversity Management bei der Deutschen Telekom AG. Seit 2021 ist die Psychologin zusätzlich als Karriere-Coach aktiv und gründete 2023 das Start-Up JobMagnet Karrierecoaching. Ayse Semiz-Ewald ist auf der Business Punk Watchlist 2024 und Teil der T³ Community der Deutschen Telekom, einem ausgewählten Kreis von Führungskräften, die die Zukunft des Konzerns gestalten. Foto: Roxy Jenkins