Best Ager fühlen sich im Job abgehängt, wie eine Studie zeigt. Professorin Erika Regnet und Organisationsberater Boris Gloger stellen drei Maßnahmen vor, mit denen Führungskräfte und HR dieser Entwicklung frühzeitig entgegenwirken können.
Alarmierende Erkenntnisse: Unsere Befragung „Best Ager im Beruf – Potenzial im Fachkräftemangel?“ bei 484 Fach- und Führungskräften zeigt, dass schon ab 40 Jahren die wahrgenommenen Aufstiegschancen von Erwerbstätigen abnehmen, ab 50 Jahren noch einmal massiv. Dabei sind das Know-how und die Erfahrung der Älteren essenziell für den Arbeitsmarkt. Welche Gründe liegen diesen Ergebnissen zugrunde? Eine Erklärung könnte sein, dass sie in den Diskussionen rund um die Arbeitswelt oft unberücksichtigt bleiben. Denn: Die Bedürfnisse der Generation Z werden zur Genüge öffentlich diskutiert, die der Best Ager weniger.
Ältere Menschen länger im Berufsleben zu halten, ist eine Lösung, die gleichzeitig dem Fachkräftemangel entgegenwirkt und die Rentenkassen entlastet. Wie Führungskräfte und Personalverantwortliche die Best Ager besser „abholen“ können, zeigen die folgenden drei Hebel.
1. Motivieren und Binden von Best Agern zur Priorität machen
Ein zentrales Element, um ein motivierendes Arbeitsumfeld für alle Altersgruppen zu schaffen, ist das Fördern von selbstwirksamen Mitarbeitenden. Die Älteren möchten ihr Wissen weitergeben und Mentorenfunktionen übernehmen, auch mehr Freiraum und Verantwortung motivieren.
Eine Möglichkeit stellt eine Netzwerkstruktur dar, bestehend aus mehreren, fokussierten Teams, die auf soziokratischen und agilen Prinzipien basieren und jeweils andere Schwerpunkte haben (zum Beispiel nach Branchen ausgerichtet). Diese Struktur erlaubt es jedem Team und jedem einzelnen Mitarbeitenden, Projekte selbstständig auszuwählen, wobei die übergeordneten Unternehmensziele immer im Auge behalten werden. So kann sich jede(r) optimal einbringen.
Gerade für ältere Mitarbeitende ist hierbei die Rolle der Führungskraft entscheidend: Denn oft sind die Erwerbstätigen 50+ noch alte Führungsmuster gewohnt und sie benötigen eine Anlaufzeit, um sich auf neue, agile Führungsprinzipien einzulassen. Andererseits liegt hier auch die Chance für beide Seiten: Wenn Führungskräfte den älteren Teammitgliedern vermitteln können, dass ihr Beitrag geschätzt wird, ihre kontinuierliche Weiterentwicklung ein wichtiger Bestandteil der Unternehmenskultur ist und sie sich einbringen dürfen, ohne bei jedem Schritt kontrolliert zu werden, kann das die Freude an der Arbeit wieder zurückbringen.
Den größten Einfluss auf die Arbeitszufriedenheit haben nach unserer Analyse die Tätigkeit, wahrgenommene Wertschätzung, das Betriebsklima, berufliche Perspektiven und die eigene Führungskraft. Dazu ist es notwendig, dass auch die älteren Kolleginnen / Kollegen hinreichend geschult werden. Individuelle Weiterbildungsangebote, die es ermöglichen, Verantwortung für die persönliche Entwicklung zu übernehmen, sind deshalb ein weiterer wichtiger Baustein.
Wir haben bei borisgloger gute Erfahrungen mit einem unbegrenzten Weiterbildungsbudget gemacht: Dabei wird kein Maximalbudget festgelegt, sondern wir investieren großzügig in sinnvolle Weiterbildungen. Ein paar wenige, klare Rahmenbedingungen unterstützen die Mitarbeitenden in ihrer Selbstorganisation und das Unternehmen vor missbräuchlichem Verhalten. Dazu gehören zum Beispiel bei hochpreisigen Fortbildungen eine „Bindungsdauer“ und ein Pitch ab 10.000 Euro aufwärts. Führungskräfte und Personalverantwortliche sollten die Möglichkeiten zudem kontinuierlich kommunizieren. Dies signalisiert insbesondere den älteren Mitarbeitenden, dass ihr Beitrag und ihre Entwicklung genauso geschätzt werden wie die ihrer jüngeren Kolleginnen / Kollegen.
2. Mit einem klaren Karrierepfad neue Perspektiven schaffen
Unsere Studie zeigt, dass mit zunehmendem Alter die Bedeutung der Arbeit tendenziell abnimmt: 37,4 Prozent der 35- bis 44-Jährigen empfinden ihre Arbeit als weniger bedeutsam im Vergleich zu vor zehn Jahren, was auf veränderte Prioritäten oder eine gewisse Resignation nach dem Berufseinstieg zurückzuführen sein könnte. Im Gegensatz dazu sehen 34,2 Prozent in dieser Altersgruppe ihre Arbeit als wichtiger an, angezogen durch interessante Aufgaben, Gestaltungsfreiräume und Karrieremöglichkeiten. Bei der Altersgruppe über 55 Jahre halten 42,1 Prozent ihren Beruf für weniger wichtig, während 37,2 Prozent die Bedeutung als gleichbleibend und 18,6 Prozent sie sogar als wichtiger einschätzen.
Führungskräfte und HR müssen die Leistungsbereitschaft der Best Ager erkennen und schätzen, indem sie klare Karrierewege im Unternehmen aufzeigen und altersunabhängig weiter interessante Aufgaben anbieten sowie berufliche Perspektiven ermöglichen. Dies kann eine Beförderung mit Ende 50 sein, ein später Funktionswechsel oder eine Auslandsstation mit Anfang 60. Die Älteren haben klare, aber durchaus unterschiedliche Vorstellungen von ihrer beruflichen Zukunft – Kommunikation ist hier das A und O.
3. Gesundheit mit Maßnahmen abseits des Mainstreams fördern
Die Best Ager gehen genauso stark wie die jüngeren Kolleginnen/Kollegen davon aus, den Arbeitsanforderungen körperlich wie psychisch gewachsen zu sein. So schätzen knapp 80 Prozent der von uns befragten Fach- und Führungskräfte ihre Arbeitsfähigkeit als (eher) gut ein, nur 3,4 Prozent bewerten diese als (eher) schlecht. Bei dieser Frage ließen sich keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern, den Altersgruppen und den Hierarchieebenen feststellen.
Demgegenüber steht eine hohe Arbeitszeitbelastung, die mit zunehmender Führungsverantwortung und Hierarchieebene deutlich ansteigt. Doch interne Gesundheitsprogramme stoßen auf wenig Begeisterung, wie die Studienergebnisse zeigen. Deshalb: Statt kaum genutzter interner Maßnahmen sollten Unternehmen für die Zielgruppe der Führungskräfte die Übernahme von Kosten für private Sportaktivitäten in Betracht ziehen.
Weiterhin ist eine Unterstützung und Beratung bis hin zur Übernahme von Therapiekosten bedenkenswert: Psychische Erkrankungen wie Burnout oder Befindlichkeits- und Persönlichkeitsstörungen gehören zu den häufigsten Leiden unserer Zeit. Sie können im Arbeitsumfeld zu Kommunikationsproblemen, nachlassender Leistung und Konflikten führen, die sich auch auf das Privatleben auswirken. Hier machen Arbeitgeber einen echten Unterschied, wenn sie in sinnvolle Maßnahmen investieren, die negativen Verhaltensmustern entgegenwirken.
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Prof. Dr. Erika Regnet ist Professorin für Personalmanagement an der Technischen Hochschule Augsburg. Sie ist Autorin und Herausgeberin von neun Büchern sowie zahlreichen Fachartikeln und Mitglied der Jury zur Vergabe des Deutschen Personalwirtschaftspreises. Arbeitsschwerpunkte sind Lehre, Forschung und Beratungstätigkeiten auf den Gebieten Arbeitgeberattraktivität und Fachkräftesicherung, Personalentwicklung, Führungsverhalten, demografische Entwicklung und weibliche Fach- und Führungskräfte. Foto: Barbara Gandenheimer
Boris Gloger ist Scrum-Pionier und Vordenker für neue Arbeitsformen. Mit seiner Unternehmensberatung borisgloger consulting unterstützt er nicht nur Unternehmen in agilem Organisationsmanagement, sondern treibt auch im eigenen Unternehmen neue Arbeitsweisen im Tagesgeschäft an. Boris Gloger ist Autor mehrerer Fachbücher zu den Themen Agilität und Scrum und hat bis heute mehr als 5000 Manager und Teams in Scrum ausgebildet. Als erster zertifizierter Scrum-Trainer in Deutschland, arbeitet er mit diesem Framework seit nunmehr zwei Jahrzehnten. Foto: ©borisgloger consulting